Brian Cronin, Einführung zum Denken Lonergans

1. Teil I - Denken: direkte und inverse Einsicht
1. Suche nach den Grundlagen
1. Die Bedeutungsstufen


1.1.1.2.1 Der griechische Durchbruch zur metaphysischen Theorie

Die frühen Griechen pflegten eine reiche Mythologie, vieles entlehnten sie dabei den benachbarten Kulturen . Das kritische Fragen dieser Mythen über die Götter und ihr Eingreifen in menschliche Belange bedeutete für sie jedoch den Anfang des Endes. Es erschien nicht als vernünftig oder geziemend, dass Götter betrunken werden oder heiraten und Kinder zeugen sollten, geschweige denn dass der Donner eine Verdauungsstörung der Götter sein sollte. Es entstanden Denkschulen, die alternative Erklärungen zu geben suchten im Hinblick darauf, warum das Geschehen der Dinge in der Welt so ist, wie es ist, auf welche Weise sich die Himmelskörper bewegen, warum sich einige Dinge verändern und andere nicht, wie sich ein Element in ein anderes verwandeln kann und woraus alles gemacht ist. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Antworten auf diese Fragen gegeben; diese Auffassungen wurden erörtert, verfeinert, und so entstand der neue Weg der Philosophie. Zur Zeit des Aristoteles wurde die Philosophie ganz und gar theoretisch. Wörter und Bedeutungen erfuhren in Grammatik, Rhetorik, der Logik der Propositionen und Argumente eine klare Bestimmung. Prinzipien, Definitionen und Unterscheidungen wurden klar gezogen und festgelegt und später zu einem System von aufeinander bezogenen Begriffen und Relationen erweitert. Nachdem Aristoteles einmal ein theoretisches System für seine Philosophie entwickelt hatte, wandte er es auf die Physik an, auf die Ethik, Astronomie, Biologie, Botankik und auf alle bekannten Wissenschaften dieser Zeit an. Das war eine Errungenschaft von herausragender Bedeutung. Sie lieferte die intellektuelle Grundlage für unsere westliche Zivilisation: alle aristotelischen Bücher wurden zu Standardlehrbüchern an den Universitäten des Mittelalters. Die Entwicklung der Geometrie ist ein schönes Beispiel für den Übergang von der Beschreibung des Common Sense zur systematischen Theorie. Euklid begann mit klaren Definitionen, Axiomen und Prinzipien und wandte diese auf die gerade Linie, das Dreieck, den Zirkel und auf andere ebene Figuren an, später auch auf dreidimensionale Figuren. Im Vorgang der Anwendung entwickelt Euklid die Prinzipien weiter, erweitert und erforscht sie, führt Ableitungen durch, überprüft und beweist sie, bis er beim erforderten Schluss angelangt ist. Dieses eindrucksvolle Beispiel diente vielen Theoretiker als Musterbeispiel, und oft ist es auch heute noch für uns eine frühe Einführung in das theoretische Denken. Was war geschehen? Eine neuartige Beherrschung und Kontrolle der Bedeutung entstand, wurde ausdrücklich. Die Wörter erhalten eine genaue Bedeutung, man formalisiert Beweise, errichtet Systeme, führt Ableitungen durch, man unterscheidet die Politik von der Ethik, die Logik von der Grammatik, und das Praktische vom Theoretischen. Viele grundlegende Irrungen der Common-Sense-Stufe erfahren eine Klärung. Man kann nun sagen was man meint, und meinen, was man sagt. Auseinandersetzungen können nun eher beigelegt werden, indem man sich auf die Form eines richtigen Beweises beruft, als dass man bloß traditionelle Überzeugungen wiederholt. Viele große Errungenschaften in der Architektur, Literatur und Technik werden möglich. Das griechische Vermächtnis der Theorie wurde in in die christliche Vision des Mittelalters aufgenommen. Die aristotelischen Texte wurden die grundlegenden Lehrbücher an den mittelalterlichen Universitäten. Die Theologie wurde bei Thomas von Aquin theoretisch und stützte sich auf metaphysische Kategorien; einige Aspkete des aristotelischen Systems mussten verfeinert oder verbessert werden, um sich in die christlichen Weltdeutung einzufügen. Diese Entwicklung in der Theologie brachte ihr alle Vorteile der Theorie mit ihrer Klarheit und Genauigkeit und die angemessene Unterscheidungen zwischen Glaube und Vernunft, Theologie und Philosophie, Natur und Gnade. Die Philosophie des Aristoteles, obwohl man sich ihrer als Magd der Theologie bediente, ermöglichte eine besseres Verstehen der göttlichen Geheimnisse der Trinität und Inkarnation, der Sakramente und der Wirksamkeit der Gnade. Dieses Vermächtnis wurde in der scholastischen Tradition an Universitäten und in Priesterseminarien unter dem Einfluss der katholischen Kirche bis in die Zeit des Zweiten Vatianischen Konzils weitergereicht. Es muss aber gesagt werden, dass die Offenheit früherer Denker in der Formalisierung und Systematisierung der Lehrbücher verloren ging. Die Theorie wurde als letztgültige Antwort angesehen. Man dachte, dass man die Wahrheit für immer in unveränderbaren Sätzen und Definition versiegeln könne, dass Uniformität schon Einheit sei und dass man die Wahrheit durch eine deduktive Logik beherrschen könne. Es gab nur eine einzige Kultur; alle Kulturen waren genötig sich an dieses Idealmodell anzupassen. Das war die vorherrschende Haltung der Neu-Scholastik zur Zeit des Vatikanischen Konzils.

 

Inhaltsverzeichnis

zurück  weiter

Home    Sitemap    Lonergan/Literatur    Grundkurs/Philosophie    Artikel/Texte   Datenbank/Lektüre   Links/Aktuell/Galerie    Impressum/Kontakt