Brian Cronin, Einführung zum Denken Lonergans

1. Teil I - Denken: direkte und inverse Einsicht
1. Suche nach den Grundlagen
1. Die Bedeutungsstufen


1.1.1.3 Der Übergang zur Interiorität
1.1.1.3.1 Die Krise der theoretischen Methode

Alle von uns genannten theoretischen Bereiche scheinen sich heute in einer Krise zu befinden. Erstens. Das gewaltige System der katholischen scholastischen Philosophie und Theologie ist unter dem Einfluss der historischen Methode und dem Ausgesetzsein im Hinblick auf die modernen Wissenschaften und Philosophien zusammengestürzt. Es ist beinahe verschwunden. Was tritt an den Universitäten und Priesterseminarien, in der moralischen Begründung und in der Lehräußerung der Kirche an seine Stelle? Einige suchen die Zuflucht in modernen Richtungen der Philosophie, andere in einem wohlwollenden Eklektizismus, wieder andere behaupten, dass wir überhaupt keine Theorien mehr nötig habe. Mein Vorschlag wäre, dass der einzige von nun an mögliche Weg, den christlichen Glauben in einer unserer Zeit entsprechenden Weise auszudrücken, im Überstieg zur Welt der Interiorität, der dritten Stufe der Bedeutung, liegt. Zweitens. Jede der drei konkurrierenden epistemologischen Theorien entwickelte eine Tradition, die sich entfaltet und verändert, Ideen übernommen und verworfen, sich verbessert, erweitert und verengt hat. Es wird offen zugegeben, dass sich die gegenwärtige Philosophie im Zustand einer Krise befindet; eine enorme Vielzahl an sehr unterschiedlichen Positionen wird vertreten. Es gibt selbst ein Verständigungsproblem zwischen den Gruppen, da sie keine gemeinsame Tradition, Terminologie oder ihnen zugrundeliegende Überzeugungen haben. Die Philosophie scheint ein Ödland geworden zu sein, wo der Verfall deutlicher ist als der Aufbau. Warum sind diese klassischen epistemologischen Systeme zusammengebrochen? Was ist die gemeinsame Grundlage, die alle Philosophen vereinen kann? Aufgrund welcher ihrer Tätigkeiten können wir sie Philosophen nennen? Gibt es eine Möglichkeit, dass sich die Richtigkeit einer Philosophie überprüfen lässt? Drittens. Während die wissenschaftliche Theorie sich weiterentwickelt, sind doch auch Probleme entstanden. Die frühe Ablehnung der Philosophie durch Wissenschaftler und Galileos Erklärung, unabhängig zu sein, führten in Wirklichkeit zur Annahme einer materialistisch deterministischen Philosophie , d.h. dass es nur Materie gibt und sie mathematischen Gesetzen folgt. Das alte Problem jedoch, was nun real ist, meldete sich wieder und konnte nicht beantwortet werden. Sind die physikalischen Gesetze real, obwohl wir sie nicht sehen können? In welchem Sinne sind sie real? Was ist die reale Welt, jene der Common-Sense-Erkenntnis oder die Welt der atomaren Teilchen und Naturgesetze? Vielfältige Positionen werden vertreten, von einem platten Realismus über einen gemäßigten Realismus bis hin zum Idealismus . Die Entdeckung der Unbestimmtheit in der Quantenmechanik war Anlass für eine weitere Krise. Die Annahme, dass alles determiniert sei und dem klassischen Naturgesetz folge, stand nun in Frage. Konnten Wahrscheinlichkeiten in die Naturwissenschaft einbezogen werden? Spielt Gott mit der Welt Würfel? Inwieweit macht der Wissenschaftler seine Gesetze selbst, inwieweit denkt er sie aus? Fügt der Verstand oder die Person etwas zum Erkenntnisprozess hinzu? Ist die Logik der Entdeckung etwas Objektives oder spielen dabei subjektive Elemente eine Rolle? Die Rationalität der wissenschaftlichen Verfahrensweisen wurde von Thomas Kuhn in Frage gestellt . Er behauptete, dass die Paradigmenwechsel, die die Geschichte der wissenschaftlichen Entdeckung kennzeichnen nicht bloß von Einsicht abhängen, sondern von Zufall und gesellschaftlicher Einflussnahme; dass die wissenschaftliche Dynamik weniger von der Einsicht des einzelnen Wissenschaftlers bestimmt wird, sondern von Organisation, die Stiftungen vergeben und entscheiden, welche Forschung mit Geldmittel ausgestattet wird. Die Grundhaltung der Wissenschaftler war reduktionistisch, ein Versuch, das Ganze von einem Teilaspekt aus zu erklären. Diese Haltung wurde zunehmend von den die entgegengesetzte Meinung vertretenden Holisten in Frage gestellt und durch eine Prozess-Philosophie , die behauptet, dass alles ein Prozess sei und es überhaupt keine Dauerhaftigkeit von Dingen gebe. Die Naivität der Forderung, dass die exakte Wissenschaft ohne Philosophie auskommen könne, kommt in dieser Verwirrung zum Vorschein, und das Fach einer Philosophie der Wissenschaft entstand in diesem Jahrhundert als Versuch, sich mit dieser Art von Problemen zu befassen. Es ist klar, dass Wissenschaftler dafür keine befriedigenden Antworten zur Verfügung haben und die exakte Wissenschaft ein umfassendes philosophisches Bezugssystem braucht, wenn sie sich gut entwickeln und diese theoretischen Probleme lösen will. Die Vorteil der Theorie gegenüber der Common-Sense-Stufe der Bedeutung liegt in der Klarheit, Genauigkeit und Beherrschbarkeit, die sie mittels Mathematik oder Logik einem von ihren Prinzipien und Methoden bestimmten Gebiet verleiht. Der Nachteil jedoch besteht darin, dass die Theorie sich selbst keine Rechenschaft zu geben vermag. Die Theorie vermag die Abfolge von Theorien nicht zu erklären und keine Kriterien für die Wahl zwischen widerstreitenden Theorien angeben. Die Theorie kann weder ihre Ursprünge klären noch einen Vergleich zwischen sich und dem Common-Sense anstellen. Dafür bedarf es mehr: Die Interiorität.

 

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