Primärliteratur
Primärliteratur - Lonergan, J. F. Bernhard, Die Einsicht
"Jedoch über die Vermittlung grundlegender philosophischer Einsichten hinaus zielt Lonergan darauf, den Leser zu einer persönlichen Aneignung der eigenen intelligenten, rationalen und moralischen Dynamik anzuleiten, die ihn zur Person macht - ein Buch also eher zum Üben als zum Lesen". (Giovannis B. Sala in seiner Einleitung zu "Die Einsicht")
Biographie(Aus: dem Nachwort von G. Sala zu B. Lonergan: Methode der Theologie) NACHWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABEBernard J. F. Lonergan wurde am 17. Dezember 1904 in Buckingham nahe der kanadischen Hauptstadt geboren. 1922 trat er in die Gesellschaft Jesu ein. Von 1926-1929 studierte er Philosophie im Heythrop College bei Oxford und 1929-1930 Sprachen und Mathematik an der Universität London. In die Jahre 1933-1937 und 1938-1940 fällt sein Studium der Theologie an der Gregoriana Universität in Rom. Die folgenden dreizehn Jahre verbrachte Lonergan wieder in Kanada, und zwar zuerst in Montreal und dann in Toronto als Professor der Theologie. Ab 1953 dozierte Lonergan an der Gregoriana Universität, bis er 1965 aus Gesundheitsgründen nach Toronto zurückkehrte. 1971-1972 lehrte er an der Harvard University. Von 1957-1983 war er als Visiting Distinguished Professor im Boston College, Cambridge, Massachusetts. Er starb am 26. November 1984 in Pickering bei Toronto. Das 'Lonergan Research Institute' des Regis College, Toronto, wird demnächst anfangen, die Collected Works auf Bernard Lonergan bei der University of Toronto Press zu veröffentlichen. Das Gesamtwerk soll etwa zwanzig Bände umfassen. In diesem Nachwort zur deutschen Ausgabe von Method in Theology Lonergans möchte ich die wichtigsten Etappen der Entwicklung seines Denkens nachzeichnen, um dem Leser den Kontext zu vermitteln, aus dem das Werk entstanden ist. Das Denken Lonergans hat sich von Anfang an in Richtung auf eine Methode der Theologie hinbewegt, die dem heutigen geistesgeschichtlichen Kontext angemessen sein soll. Dieses langfristige Projekt hat sich in seinem tragenden Strang als eine Untersuchung des menschlichen Subjekts in seiner Subjektivität konkretisiert. Warum der Verfasser diesen Weg gegangen ist, der sonst in den Veröffentlichungen zum Thema Methode der Theologie nicht üblich ist, hat er folgendermaßen erklärt: 'Theologien werden von Theologen hervorgebracht; Theologen haben einen Verstand und benutzen ihn; dieses ihr Tun sollte nicht ignoriert oder übergangen, sondern ausdrücklich in sich selbst und in seinen Implikationen anerkannt werden.' Methodologische Untersuchung und Reflexion über das Subjekt in der dynamischen Struktur seines Bewußtseins sind somit weitgehend in eins gefallen. Denn die von Lonergan vorgeschlagene Methode der Theologie hat eine anthropologische Komponente in der bewußten Dynamik des menschlichen Geistes. Dementsprechend galt es, diese Subjektivität als sinnliche, intelligente, rationale, verantwortliche und auf das absolut transzendente Geheimnis Gottes offene zu erhellen. Erst nachdem Lonergan das Subjekt in all seinen Dimensionen erhellt hatte, konnte er eine Methode für die Theologie ausarbeiten, deren Grundlage und Normen die der Bewußtseinsdynamik innewohnenden und operativen Forderungen sind. 2. Die Dissertation für das Doktorat in der Theologie über die Thomanische Gnadenlehre unter dem Titel 'St. Thomas' Thought on gratia operans' brachte Lonergan einen doppelten Gewinn. Erster und unmittelbarer Gewinn war die Klärung einiger Schlüsselideen der Gnadenlehre und überhaupt der Theologie des mittelalterlichen Meisters. Der andere, langfristige Gewinn für den Doktoranden bestand darin, daß er in diesem geschichtlich gut belegten Fall mit dem evolutiven Charakter des theologischen Denkens und der menschlichen Erkenntnis überhaupt konfrontiert wurde. In der Entwicklung der Gnadenlehre des Thomas von Aquin entdeckte Lonergan, daß die treibende Kraft der menschlichen Erkenntnis im Verstehen der relevanten Daten liegt. 3. Genau um die Eigenart der Intelligenz und damit um die intellektuelle Interiorität ging es in der breit angelegten Studie über den Begriff von Verbum in den Schriften des Thomas von Aquin, die Lonergan zwischen 1946 und 1949 veröffentlichte. Mit dieser Untersuchung setzte sich Lonergan zum Ziel, Thomas' Lehre über jene herkömmliche Trinitätsanalogie zu ermitteln, die im Geist des Menschen ein Abbild des dreieinigen Gottes sieht. In der Tat lief die textbezogene Untersuchung auf eine Studie in erster Linie über die Erkenntnistheorie, aber auch über die Seelenlehre und Metaphysik Thomas' hinaus. Wir haben hier Lonergans Wendung zum Subjekt. Denn diese Trinitätsanalogie, gerade weil sie bis auf Augustinus zurückgeht, kann das Abbild Gottes als Eines in drei Personen nicht in der metaphysischen Struktur der menschlichen Erkenntnis- und Willenstätigkeit erblicken. Eine solche metaphysische Struktur lag dem Interesse Augustinus' in seiner Sondierung des menschlichen Geistes mittels einer offenkundig introspektiven Analyse fern. Wenn andererseits Thomas seine Lehre vom Verbum im Kontext der Aristotelischen Metaphysik dargelegt hat, ist anzunehmen - dies war die Arbeitshypothese Longergans -, daß er metaphysische Begriffe und Lehrstücke benutzt hat, um bewußte Handlungen im Menschen systematisch auszudrücken. Es galt deshalb, diese bewußten Elemente ausfindig zu machen. Lonergan erläutert den Leitfaden seines Studiums folgendermaßen: 'Thomas' Lehre vom inneren Wort ist inhaltsreich und nuanciert: Sie ist nicht bloß eine metaphysische Bedingung einer bestimmten Erkenntnisart; sie will eine Aussage über psychische Fakten sein. Nun aber kann die genaue Natur dieser Fakten nur dadurch ermittelt werden, daß man ermittelt, was Thomas unter intelligere verstand.' Das Ergebnis der Untersuchung unter dieser neuen Perspektive erwies sich als bedeutend verschieden von der damals allgemein akzeptierten Thomas-Interpretation, die eher auf die Erkenntnismetaphysik Thomas' abzielte. Als erstes untersucht Lonergan die 'prima mentis operatio'. Ihr Kernmoment liegt im 'intelligere in sensibili': Verstehen heißt Erfassen, wie die Daten der Sinne (oder des Bewußtseins) aufeinander bezogen sind; das Verstehen fügt der Mannigfaltigkeit des Gegebenen einen Komplex von Beziehungen und damit einen Sinn hinzu, der das Mannigfaltige unter einem bestimmten Aspekt zur Einheit führt. Und gerade in dieser Einheit liegt die Intelligibilität des Gegebenen. Wenn dies stattfindet, wenn man verstanden hat, dann vermag unser Geist jenes innere Wort auszusprechen, das herkömmlich Begriff genannt wird. Dies bedeutet, daß das Verbum nicht mechanisch oder automatisch gebildet wird, sondern intelligenterweise nach der dem Geist eigenen Kausalität, die Thomas 'emanatio intelligibilis' nennt. Solcherart ist der Ursprung all unserer Begriffe: empirisch und einsichtig zugleich, insofern er im sentire und intelligere gründet. Die Untersuchung der 'secunda mentis operatio', die mit dem Urteil endet, wird nach demselben Muster angestellt. Auch hier liegt der Kern in einem Verstehensakt, diesmal aber einem reflexiven. Denn die voraufgehende mentale Synthese ist von sich aus bloß hypothetisch: Sie besagt eine mögliche Erklärung der Daten. Sie wird deshalb von unserem kritischen Geist auf ihren Absolutheitscharakter hin untersucht; sie weist diesen Absolutheitscharakter auf, wenn sämtliche, für sie relevanten Daten tatsächlich auf der Ebene der Sinneserfahrung oder des Bewußtseins und nur sie vorhanden sind; wenn also die Übereinstimmung zwischen Begriff und Daten festgestellt wurde. Erst dann vermag unser Geist rational zu urteilen, insofern er den notwendigen und zureichenden Grund für jene absolute Setzung ('es ist so') hat, in der das Urteil besteht. Der Ansatz zum Hervorgehen des Heiligen Geistes in Gott ist ähnlich: Das Hervorgehen unseres sittlich guten Willensaktes vom Werturteil. Die Entscheidung ist subjektiv gut, wenn sie zugunsten dessen gefällt wird, was als gut beurteilt wurde. Die Bildung eines inneren Wortes, weil wir verstanden haben, und der Willensakt im Gefolge eines Werturteils stellen für uns die Erfahrung eines Hervorgehens oder einer Abhängigkeit dar, die, weit entfernt davon eine letzte Dualität miteinzuschließen, eher auf eine Grundeinheit hinweist, nämlich auf die Einheit im Bewußtsein zwischen dem, was das Bewußtsein ist, und dem, wonach es strebt: das Wahre und das Gute. Die hier skizzierte Entdeckung des Subjektes in seiner Innerlichkeit war nicht nur die Wiedergewinnung dessen, was bei Thomas am wertvollsten ist, sondern ermöglichte außerdem Lonergan, über die vetera des mittelalterlichen Denkers hinauszugehen, um sie mit den novis zu integrieren, die seitdem die westliche Kultur errungen hat. Das Neue, das das Gültige aus der kulturellen Vergangenheit unseres Mittelalters aufnimmt und entwickelt, hat Lonergan 1957 in Insight. A Study of Human Understanding vorgelegt. 4. Insight setzt die in der Schule von Thomas gelernte Interioritätsanalyse fort. Lonergan nennt seinen Essay 'eine Hilfe zur persönlichen Aneignung des eigenen rationalen Selbstbewußtseins' . Insight wurde ursprünglich als ein Werk über die Methode der Theologie geplant. Zu diesem Zweck schickte sich Lonergan an, die Methoden in den verschiedenen Bereichen zu untersuchen, in denen sich heute das Wissen differenziert und spezialisiert hat (die Naturwissenschaft, die Geisteswissenschaften, die Philosophie), weil der Fortschritt in diesen Disziplinen, insbesondere in der Experimentalwissenschaft, es mit sich bringt, daß ihre Methoden entwickelter und exakter sind. Äußere Umstände veranlaßten Lonergan, seinen Plan zu ändern und den nur als Einleitung zur Methode der Theologie gedachten Teil zu einem eigenständigen philosophischen Werk abzurunden. Da es hier nicht möglich ist, den Inhalt von Insight eingehend zu erörtern - einem Werk außerordentlicher Strenge, das dem Leser keine Mühe erspart -, möchte ich die drei zusammenhängenden Themen anschneiden, um die der ganze Essay kreist: die Erkenntnis, die Objektivität, die Wirklichkeit. 4.1. Die Fragestellung, mit der Lonergan an das Erkenntnisproblem herangeht, lautet: 'Welche Handlungen führen wir aus, wenn wir erkennen? ' Die Frage zielt auf eine introspektive Untersuchung des im Bereich des Bewußtseins stattfindenden Erkenntnisvollzugs ab, und damit auf eine im selben Vollzug verifizierbare Antwort. Lonergan will zuerst die Natur der Erkenntnis klären: Darin liegt das eigentliche Erkenntnisproblem, insofern die übliche Frage nach der objektiven Gültigkeit unserer Erkenntnis vielfach von einer falschen Auffassung von der Erkenntnis vorbelastet ist, die sich dann in der Antwort auf die Gültigkeitsfrage auswirkt. Es gibt im Menschen zwei verschiedene Erkenntnisarten, die leicht verwechselt werden: eine Erkenntnis, die auf der Ebene der Erfahrung schon abgeschlossen ist - diese Erkenntnis teilt der Mensch mit den höheren Tieren -, aber auch eine Erkenntnis, für die die Erfahrung nur die erste Komponente ausmacht, nämlich die Vorstellung der Daten (nicht der Wirklichkeit!), welche durch intelligente Untersuchung und kritische Reflexion zur eigentlichen menschlichen Erkenntnis erhoben werden muß. Erkennen im vollen Sinne des Wortes, nämlich ein Objekt als Wirklichkeit erkennen, findet nicht ohne Erfahrung statt; aber es schließt andere Momente mit ein, deren jedes mit einer eigenen Gesetzlichkeit ausgestattet ist: fragen, untersuchen, verstehen, den Begriff bilden, zweifeln, reflektieren, das Für und Wider abwägen, den zureichenden Grund für die unbedingte Setzung der Verstandessynthese erfassen, urteilen. Diese Momente, die sich auf drei wesentlich verschiedene Stufen verteilen - Erfahrung, Einsicht und Urteil - können in ihrer Eigenart, in ihren gegenseitigen Beziehungen und in den ihnen innewohnenden Gesetzen durch die Aufmerksamkeit auf den Vollzug der Erkenntnis selbst erhellt werden. Als Gesamtresultat dieser Erhellung der Erkenntnistätigkeit gilt also, daß die menschliche Erkenntnis eine dynamische Struktur aus Erfahrung, Einsicht und Urteil ist, derart, daß erst aus der Zusammensetzung aller drei Momente die Erkenntnis als Erkenntnis der Wirklichkeit stattfindet. M. a. W. um eine Wirklichkeit zu erkennen, muß man Daten haben. Aber die bloße Erfahrung genügt nicht. Man muß außerdem die geeigneten Fragen stellen, um die intelligible (formale) Komponente der Wirklichkeit zu erkennen, deren Träger die Daten sind. Aber nicht jede Interpretation der Daten stimmt; daraus ergibt sich die Notwendigkeit, weiter zur Wahrheit voranzugehen, die erst in der absoluten Setzung der Interpretation stattfindet. Auf die Daten aufmerksam sein, seine Intelligenz üben, kraft eines zureichenden Grundes urteilen, ist das, was jeder Erwachsene spontan, aber nichtsdestoweniger intelligent und vernünftig tut, wenn er wissen will, was der Fall ist. 4.2. Die Untersuchung der Handlungen, die wir im Erkenntnisprozeß vollziehen, liefert die Elemente, um auf die Frage zu antworten, ob unsere Erkenntnis objektive Geltung hat. Die seit der Neuzeit als Anfang der Philosophie geltende Frage nach der Objektivität der Erkenntnis wird von Lonergan folgendermaßen formuliert: 'Warum erkennen wir [die Wirklichkeit], wenn wir diese Handlungen vollziehen?' Die Antwort lautet: Weil die herausgestellte Erkenntnisstruktur der Vollzug einer Intentionalität ist, deren Tragweite unbegrenzt und die deshalb der Erkenntnis der Wirklichkeit fähig ist, dessen nämlich, was 'ist' - wobei das 'ist' unbedingt gilt. Die Unbegrenztheit unserer intelligenten und rationalen Dynamik ist die notwendige und hinreichende Bedingung, daß wir das Objekt als Sein erkennen. Das rationale Urteil als absolute Setzung ist nun die Antwort auf die Frage nach dem Transzendenten, d. h. nach der Wirklichkeit in sich selbst; es hat also dieselbe transzendente Tragweite wie die Frage. 4.3. Auf derselben Linie der Intentionalitätsanalyse greift Lonergan das Seinsproblem auf: 'Was erkennen wir, wenn wir die oben herausgestellten Handlungen vollziehen?' und antwortet: die Wirklichkeit oder das Sein. Das Sein ist das Zielobjekt der Erkenntnisdynamik des Subjekts; es ist das, wonach es sucht, wenn es Fragen nach Einsicht (quid sit) und Fragen nach Reflexion (an sit) stellt. Das Sein ist also das, was durch Verstehen und Urteilen zu erkennen ist. Diese operative Definition vom Sein impliziert eine intelligente und rationale Auffassung von der Wirklichkeit. Hier liegt der Stein des Anstoßes für viele Leser von Insight. Die Lehre von der inneren Intelligibilität der Wirklichkeit kommt der Lehre gleich, daß wir die Wirklichkeit nicht durch eine problemlose Erfahrung erkennen, sondern erst im Urteil als abschließende Antwort auf unsere einsichtigen und vernünftigen Fragen. 'Der gleichsam ungreifbare Akt der rationalen Bejahung ist die notwendige und zureichende Bedingung für die Erkenntnis der Wirklichkeit.' Es ist dies eine Entdeckung, warnt Lonergan, die einer noch nicht gemacht hat, wenn er sich nicht ihrer überraschenden Merkwürdigkeit entsinnt. Es ist wahrhaftig keine Ubertreibung, wenn Lonergan in seinen späteren Schriften, vor allem in Method in Theology , von einer intellektuellen Bekehrung spricht, um von der Auffassung der Wirklichkeit als dem Zielobjekt einer extravertierten Tendenz nach dem Modell der sinnlichen Extraversion (die Wirklichkeit als das 'Schon-draußen-dort-jetzt') zur Auffassung der Wirklichkeit als dem, was durch ein richtiges Verstehen der Daten erkannt wird (die Wirklichkeit als Sein), überzugehen. 5. Die Periode nach Insight wurde durch die Reflexion auf die Welt des Menschen und auf die existentielle Komponente des Subjektes gekennzeichnet. Dies fehlte zwar auch nicht in Insight; aber in ihm hatte sich Lonergan auf das erkenntnismäßige Moment der Dynamik des Subjekts konzentriert. Schaffung einer menschlichen Welt und Freiheit und Verantwortung im Vollzug der Intentionalität sind zwei weitere Aspekte jener Subjektivitätserhellung, der die lebenslange Forschung Lonergans gegolten hat. 5.1. In den Jahren nach der Veröffentlichung von Insight begann das Thema der Bedeutung oder des Sinnes (meaning) eine größere Rolle zu spielen. Während Lonergan vorher die Intentionalität hauptsächlich als Vermittlerin der Wirklichkeit in der Erkenntnis der Natur untersucht hatte, betrachtete er sie jetzt als konstitutives Prinzip einer von der Natur verschiedenen Welt: die menschliche Welt oder Kulturwelt. Es ist dies die Wirklichkeit, die z. T. durch Sinngehalte und durch Werte (die Bedeutung auf der Ebene der Moralität) konstituiert wird, da ja das Leben als menschliches von Bedeutung geprägt und von Wertvorstellungen geleitet wird. Die menschliche Welt umfaßt 'die Ordnungen des Lebens in Staat, Gesellschaft, Recht, Sitte, Erziehung, Wirtschaft, Technik und die Deutungen der Welt in Sprachen, Mythus, Kunst, Religion und Wirtschaft' . Keine dieser Wirklichkeiten liegt schon als Naturprodukt vor, da sie alle als formale Bestimmung einen Sinngehalt und einen Wert haben, die von Menschen entworfen und verwirklicht worden sind. Die neuere Unterscheidung der Wissenschaft in Natur- und Geisteswissenschaften wurde vom verschiedenen ontologischen Status von Natur und Kultur erfordert. Die Untersuchung Lonergans auf diesem Gebiet galt dem Ursprung der Bedeutung im menschlichen Bewußtsein, ihren vielfältigen Funktionen hinsichtlich der Welt des Menschen, ihrer Differenzierung an verschiedenen Orten und im Laufe der Zeit. Aber die Bedeutung als Bestandteil der menschlichen Welt ist auch eine geschichtliche Wirklichkeit. Denn sie wandelt sich im Verlauf des Lebens eines Menschen, einer Klasse, einer Gesellschaft, eines Volkes, eines Staates. Die Thematisierung der Welt der Bedeutung führte somit zur Untersuchung jener Geisteswissenschaften, die nicht eine allgemeine Erkenntnis nach dem Modell der Naturwissenschaft anstreben (allgemeine Prinzipien und Gesetze), sondern die die menschliche Welt in dem betrachten, was einzeln und geschichtlich ist. Aus diesem Grund führte Lonergan im Bereich der Geisteswissenschaften eine weitere Unterscheidung ein zwischen den Human Sciences einerseits und den Human Studies oder Scholarship andererseits. Zur letzteren gehören beispielsweise Literaturwissenschaft, Exegese, Geschichte, Theologie. 5.2. Die Studie des Menschen als eines intentionalen Wesens hat auch zum existentiellen Moment derjenigen Intentionalität geführt, die Insight vorwiegend in ihrer erkenntnismäßigen Eigengesetzlichkeit untersucht hatte. Denn der Mensch ist keine reine Vernunft; er strebt nach dem Sein auf dem Weg des Wahren, ist aber zugleich aufgefordert, frei und verantwortlich zum Sein Stellung zu nehmen. Die Frage, in der sich die weitere Operativität unserer Intentionalität ausdrückt, ist die Frage nach der Entscheidung: 'Was soll ich tun?' In ihr liegt die Notion des Wertes, daß nämlich das Sein der Anerkennung und Förderung in dem Maße würdig ist, in dem es Sein ist; die Notion der Verpflichtung als unbedingte Aufforderung, den Wert zu wählen und zu verwirklichen; und die Notion der Freiheit, insofern die Durchführung des moralischen Imperativs unserer versagen könnenden Verantwortung anvertraut ist. Wenn nun Erkennen und Wollen zwei verschiedene aber zusammenhängende Vollzugsweisen der einen und selben Dynamik sind, dann folgt daraus, daß zwischen ihnen eine gegenseitige Abhängigkeit herrscht, d. h. also: Nicht nur das Gute setzt das Wahre voraus, sondern auch das Wahre erweist sich als etwas Gutes und infolgedessen als einen möglichen Gegenstand freier Wahl. Es gibt auch eine Freiheit und Moralität der Erkenntnis, so daß unsere Erkenntnis der Wirklichkeit nicht unabhängig von unserer freien Stellungnahme zum Guten ist. Die moralische Bekehrung, der existentielle Übergang von dem, was gefällt, zu dem, was wahrer Wert ist, hat Folgen auch für die Erkenntnis, da diese kein unausbleibliches Resultat einer reinen Vernunft, die nach einer unpersönlichen Logik handelt, sondern die Errungenschaft eines aufmerksamen, einsichtigen, vernünftigen und verantwortlichen Subjekts ist. Durch die Wahrheit transzendiert das Subjekt intentional sich selbst, indem es zu dem gelangt, was vom Subjekt, von dessen Zeit, Ort und psychologischen, gesellschaftlichen, historischen Bedingungen unabhängig ist. Aber 'die Frucht der Wahrheit muß auf dem Baum des Subjekts wachsen und reifen, ehe sie gepflückt und in ihr absolutes Reich eingebracht werden kann' . 'Echte Objektivität ist die Frucht authentischer Subjektivität' lautet die Kurzformel, auf die Lonergan mehrmals das Ergebnis seiner Intentionalitätsanalyse bringt. Ein solcher Zusammenhang zwischen objektiver Geltung der Erkenntnis und Subjektivität ist eine Schlüsselidee von Method in Theology und liegt auf der Linie jener Subjektserhellung, die der Leitfaden des Denkens Lonergans von Anfang an gewesen ist. 6. Es möchte scheinen, daß mit der Analyse des existentiellen Moments unseres Geistes Lonergan alle Voraussetzungen gewonnen hatte, die für eine theologische Methode nötig sind, welche dem 'Verstand' der Theologen Rechnung trägt. In der Tat war es nicht so. Die Untersuchung des Subjekts zwecks der Methode in Theologie hat dazu geführt, auch die religiöse Dimension des Menschen in Betracht zu ziehen als unverzichtbar für einen christlichen theologischen Diskurs. In diesem Kontext spricht Lonergan von einer religiösen Bekehrung. Wie die intellektuelle Bekehrung in der Zustimmung zur Wahrheit besteht, die durch die kognitive Selbsttranszendenz erreicht wird, und wie die moralische Bekehrung in der Zustimmung zu den Werten besteht, die durch die reale Selbsttranszendenz erreicht werden, so besteht die religiöse Bekehrung in der Selbsthingabe ohne Vorbehalte an einen personalen Wert, der absolut transzendent ist. Eine solche Bekehrung, erinnert Lonergan in Anlehnung an Paulus, ist die Frucht der Liebe Gottes, die in unsere Herzen ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Im Laufe seines Method in Theology erwähnt Lonergan mehrmals vier Vorschriften, die die normativen Forderungen unseres intentionalen Bewußtseins ausdrücken: 'Sei aufmerksam; sei intelligent; sei vernünftig; sei verantwortlich' die jeweils das Erfahren, das Verstehen, das Urteilen und das Sich-Entscheiden betreffen. Eine weitere Vorschrift kommt hinzu: 'Sei verliebt [be in love]' , die die religiöse Dimension im Menschen angeht. Die religiöse Bekehrung stiftet ins Subjekt ein neues Handlungsprinzip ein, das als eigentümliches Fundament der Theologie füngiert, während es die vier oben genannten transzendentalen Vorschriften, die prinzipiell eine Ausstattung des Menschen in seiner Natur sind, in all ihrer Geltung aufbewahrt. Was ist aber die Theologie, die die religiöse Bekehrung des Subjekts schließlich zu begründen hat? Die Frage stellt sich um so mehr, da die Theologie heute ein vielschichtiges Unternehmen geworden ist, in dem verschiedene Bereiche oder Momente je anderen Gesetzen unterstehen. 7. Die bisher verfolgte Untersuchung des Verstandes der Theologen auf dem Weg einer Subjektserhellung lief bei Lonergan parallel zu seiner Lehrtätigkeit, die in zwei Bereichen stattfand. Erstens in den Traktaten der dogmatischen Theologie. Vor allem sind hier der De Deo Trino und der De Verbo Incarnato zu erwähnen, auf die sich Lonergan in seiner römischen Periode konzentrieren konnte. Zweitens in den speziellen Vorlesungen und Seminaren derselben Jahre, die sich direkt mit der Problematik der theologischen Methode befaßten. Lonergan hat also über den 'Verstand' der Theologen reflektiert mitten in seiner Lehrtätigkeit und in einem kulturellen Kontext, dessen tragende Komponenten er zu klären suchte: Die neue Auffassung von der Wissenschaft und der Philosophie und die moderne 'Scholarship' d. h. die hermeneutisch-historischen Studien. Der entscheidende Durchbruch geschah in der ersten Hälfte von 1965. Die hier oben skizzierte Analyse der Subjektivität lieferte ihm den Schlüssel, um die verschiedenen Bereiche, in denen sich heute die theologische Arbeit artikuliert, unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu erfassen. Wenn Theologie eine geistige Leistung der Theologen ist, liegt es nahe, die Struktur der menschlichen Subjektivität als Prinzip der Differenzierung und zugleich der Einheit der theologischen Arbeit zu nehmen. Die vier Stufen des intentionalen Bewußtseins geben das Prinzip der Einteilung und zugleich der Verknüpfung für sämtliche Spezialisierungen der Theologie her. In ihr unterscheidet Lonergan zunächst zwei Phasen: die Begegnung mit der Vergangenheit der christlichen Gemeinde und die persönliche Stellungnahme zu derselben, um die christliche Gemeinde jetzt auf ihr Ziel hin zu leiten. Daraus ergeben sich acht 'funktionale Spezialisierungen 'in deren jeder der Theologen, indem er auf allen vier Ebenen tätig ist (er handelt ja menschlich: wissend und wollend!), das Ziel verfolgt, das einer der vier Ebenen der Intentionalität eigen ist. Die Einteilung entspricht, zumindest teilweise, Disziplinen, die in der Theologie eine lange Tradition haben. Neu in der Methode Lonergans ist, daß diese acht Teile als ebensoviele miteinander verknüpfte Prozesse gelten, die fortschreitend und kumulativ sind. Sie schöpfen das Prinzip ihrer Unterscheidung und ihre Normen nicht aus bloßen Zweckmäßigkeitsgründen oder aus willkürlichen Vereinbarungen, sondern aus der der Intentionalität innewohnenden Struktur. Sie sind acht verschiedene Aufgaben, die acht verschiedene unmittelbare Zwecke verfolgen und die gemäß verschiedenen Normen auszuführen sind. Deshalb faßt Lonergan jede dieser Aufgaben als eine funktionale Spezialisierung auf, d. h. als eine komplexe Handlung, die sich mit anderen komplexen Handlungen zu jenem übergeordneten dynamischen Ganzen zusammensetzt, was den heutigen Theologie-Betrieb ausmacht. Erst durch die gesamte theologische Arbeit mit all ihren Mitteln wird das eigentlich theologische Objekt, nämlich die Heilswahrheit, erreicht, die uns als unbedingte Herausforderung angeht. Von Method in Theology gilt, was F. Crowe vor dreißig Jahren von Insight geschrieben hat, indem er auf die Bedeutung hinwies, die Lonergans Untersuchung über das Verstehen als Kernmoment in der Erkenntnisstruktur haben könnte: 'In diesem Bereich ist die Folge des Verstehens nicht notwendig eine Umwertung herkömmlicher Verfahren; es kann auch einfach das sein, daß wir intelligenterweise von den Verfahren sprechen können, die wir schon praktizieren.' Und dies ist beileibe nicht wenig! 8. Nach der Beurteilung K. Rahners, der allerdings nur das fünfte Kapitel des Werkes zu Gesicht bekommen hatte, ist 'die theologische Methode Lonergans ... so generisch, ... daß sie eigentlich auf jede Wissenschaft paßt, also keine Methodologie der Theologie als solcher ist, sondern nur eine allgemeinste Methodologie von Wissenschaft überhaupt, mit Beispielen aus der Theologie illustriert' . Nun stimmt zwar, daß Lonergan einen strikt methodologischen Diskurs führt und deshalb sämtliche theologischen Fragen den Theologen überläßt, die in den verschiedenen funktionalen Spezialisierungen arbeiten. Dies hindert ihn aber nicht daran, den methodologischen Diskurs ausdrücklich im Hinblick auf eine christliche Theologie zu entwickeln. Es ist die religiöse Bekehrung, die die Theologie als Reflexion über das Heilsereignis in Jesus Christus, näherhin die letzten drei funktionalen Spezialisierungen begründet, in denen die Theologie, über die hermeneutisch-historische Untersuchung der Vergangenheit hinaus, zu diesem Heilsereignis Stellung nimmt, nämlich: welche seine Wahrheiten und Werte sind, was sie eigentlich bedeuten, wie sie allen Menschen zu vermitteln sind. Die Echtheit der religiösen Bekehrung, d. h. der eigenen Antwort auf das innere Wirken der Gnade, liefert das Kriterium, demzufolge einer die christliche Botschaft anzuerkennen vermag in dem Maße, wie Gott es ihm persönlich bestimmt hat. Was jeder Gläubige spontan tut, tut der Theologe in der zweiten Phase der Theologie auf der Ebene einer wissenschaftlichen Reflexion: Er anerkennt und formuliert den gelebten Glauben. Deswegen muß er selbst die Bekehrung vollzogen haben; sonst hat er nichts, was er durch Reflexion zur Sprache bringen kann. Dies bedeutet weiter, daß keine christliche Theologie möglich ist, wenn man sie von einer neutralen oder gar entgegengesetzten Position aus betreibt. In der Theologie spielt die persönliche Bekehrung und die Bemühung um die christliche Heiligkeit eine unersetzbare Rolle. Dies deswegen, weil der Schlüssel zur Methode einer sich entwickelnden Disziplin das konkrete Subjekt ist, das den fortschreitenden und kumulativen Prozeß begründet, vollzieht und unter Kontrolle hält. Nun aber ist das authentisch christliche Subjekt allein das adäquate Prinzip der theologischen Reflexion, insofern es allein mit jenem Verstehenshorizont ausgestattet ist, der den Wahrheiten und den Werten der christlichen Offenbarung entspricht. Die Rolle, die Lonergan der religiösen Bekehrung in der Theologie zuweist, paßt zu dem, was in der Fundamentaltheologie wohl bekannt ist, daß nämlich die Kirche als Institution, die die Heilige Schrift aufbewahrt, die Sakramente spendet, mit einem autoritativen Lehramt ausgestattet ist, die Dogmen verkündet, usw. nicht die letzte Begründung unserer christlichen Existenz darstellt. Diese Begründung besteht eher in der Gnade Gottes und in unserer Glaubenszustimmung; sie besteht also in einer unmittelbaren Beziehung zu Gott und Jesus Christus, kraft deren wir der Kirche beitreten bzw. in ihr bleiben als dem Ort, in dem die religiöse Grunderfahrung ihre authentische Auslegung findet und sich in ein christliches Leben umsetzt. Ähnliches gilt für die Begründung der Theologie: Allein die religiöse Bekehrung verbürgt im Prinzip eine Theologie, die die Heilswirklichkeit wahrheitsgetreu zur Sprache bringt. In welchem Maße, bei welcher Glaubensgemeinschaft und bei welchen Theologen dies der Fall ist, ist aber keine notwendige Folge. Es gilt dennoch, daß je mehr die religiöse Bekehrung in der Kirche verbreitet ist, desto eher sie dazu führen wird, das Unechte in der Tradition der Kirche auszuscheiden. In seiner Bemühung um eine angemessene Methode hat Lonergan eine tiefgehende Analyse unseres gegenwärtigen geistesgeschichtlichen Kontextes angestellt in den für die Theologie relevanten Komponenten: die neue Auffassung von der Wissenschaft und der Philosophie, und der besondere erkenntnistheoretische Status der hermeneutisch-historischen Studien. Er hat die Struktur der menschlichen Erkenntnis untersucht, die allen Erkenntnisarten als transzendentale Methode zugrunde liegt; er hat die Bedeutung in ihrem Ursprung, ihren Ausformungen und Funktionen analysiert; Hermeneutik, Geschichtswissenschaft und Dialektik wurden herangezogen als Momente der theologischen Arbeit. Aber ähnlich wie das Wahrheitsproblem schließlich auf das konkrete Subjekt im Vollzug seiner intelligenten, rationalen und verantwortlichen Subjektivität verweist, so ergeht auch in der Frage nach der geeigneten Methode der Theologie die Frage letztlich an das Subjekt selbst, das Theologie betreibt. Die funktionale Spezialisierung der Fundamente hat die Aufgabe, die religiöse - und in deren Folge -, die moralische und die intellektuelle Bekehrung zu thematisieren und damit den entsprechenden Horizont zu erhellen, der es dem Theologen ermöglicht, auf die Heilswahrheiten aufmerksam zu sein, sie richtig zu interpretieren, wahrheitsmäßig auszudrücken und wirksam mitzuteilen. Das konkrete, gesellschaftlich und historisch verfaßte Subjekt, das sich ständig zum Evangelium bekehren muß, ist in der Reflexion über die Methode der Theologie nicht auszuschalten. Lonergans jahrzehntelange Untersuchung zur Methode der Theologie ist zu einem Fundament und Kriterium vorgestoßen, das allen Gläubigen, ob Theologen oder nicht, zuteil wird und das eine Gottesgabe und zugleich eine existentielle Aufgabe ist. Christliches Leben und Theologie erweisen somit ihre radikale Einheit. München im August 1987; Giovanni B. Sala
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