Autor: Coreth, Emerich Buch: Metaphysik Titel: Metaphysik Stichwort: Das Sein als Bedingung der Frage Kurzinhalt: Das Sein ist mir wesenhaft nicht in begreifendem Wissen, sondern in der Frage oder als Frage zugeeignet. Die Frage nach dem Sein ist mit dem Wesen des Menschen gesetzt, Textausschnitt: 221/1
1. Das Sein im ganzen - wie es im Vorwissen der Frage erschlossen ist - ist die Bedingung der Möglichkeit des Fragens überhaupt. Ich kann gar nicht anders fragen als im Horizont des Seins überhaupt. Das Sein im ganzen ist immer und notwendig vorausgesetzt und im Vollzug des Fragens als gewußt mitgesetzt. (120; Fs)
222/1 Das Sein kann aber nur dann Bedingung der Möglichkeit alles Fragens sein, wenn es den Horizont der Fragbarkeit bildet. Fragbar ist nur, was ich - vorwissend oder vorgreifend - schon weiß; sonst könnte ich noch nicht danach fragen. Alles aber, wonach ich - im einzelnen oder im ganzen - fragen kann, ist fragbar in dem, was es 'ist'; es ist fragbar als Seiendes. Der Grund seiner Fragbarkeit ist das Sein. Wenn aber alles nur fragbar ist, insofern es 'ist', dann muß das Sein das schlechthin Fragbare sein. Das Sein ist aber nur fragbar, wenn ich um das Sein oder den Sinn von Sein immer schon in allem Fragen weiß. Dieses Wissen oder Vorwissen eröffnet den Horizont, innerhalb dessen ich erst - nach einzelnem oder nach allem in einem fragen kann. Die Möglichkeit des Fragens überhaupt gründet in der Fragbarkeit des Seins im ganzen. (120; Fs)
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2. Doch kann das Sein nur dann Bedingung der Möglichkeit alles Fragens sein, wenn es zugleich den Horizont der Fraglichkeit bildet. Fraglich ist nur, was ich - erschöpfend und begreifend - noch nicht weiß; sonst könnte ich nicht mehr danach fragen, die Fraglichkeit des Gefragten und damit die Möglichkeit der Frage wären durch das Wissen überholt. Alles aber, wonach ich fragen kann, ist fraglich in dem, was es 'ist'; es ist fraglich als Seiendes. Der Grund seiner Fraglichkeit ist das Sein. (120f; Fs)
224/1 Wenn aber alles nur fraglich ist, insofern es 'ist', dann muß das Sein das Fragliche schlechthin sein. Das Sein ist aber nur fraglich, wenn ich um das Sein oder den Sinn von Sein nicht erschöpfend weiß, wenn es in begreifendem Wissen nicht eingeholt und niemals einholbar ist; wenn das Sein also mein Wissen um Sein je noch übersteigt als dasjenige, was sich mir entzieht in unüberholbarer Unbegreiflichkeit. Dennoch weiß ich darum und greife wissend-nichtwissend immer neu nach dem Sein aus, ohne es jemals im Wissen einholen zu können. Dieses Nichtwissen - oder wissende Nichtwissen - eröffnet den Horizont, innerhalb dessen ich erst - nach einzelnem oder nach allem in einem - fragen kann. Die Möglichkeit des Fragens gründet also in der Fraglichkeit des Seins im ganzen. (121; Fs)
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3. Nur weil das Sein überhaupt fragbar und fraglich zugleich ist, nur weil es dasjenige ist, was vor allem und in allem Seienden, nach dem ich fragen kann, gewußt und nicht gewußt ist in jenem wissend-nichtwissenden Vorgriff, kann ich überhaupt fragen. (121; Fs) (notabene)
226/1 Der reine Vorgriff der Frage als Frage ist der reine Vorgriff nach dem Sein. Die Möglichkeit des Fragens überhaupt gründet also in der Möglichkeit, nach dem Sein zu fragen. Nach dem Sein fragen kann ich aber nur, wenn mir das Sein fragbar ist, d. h., wenn ich zwar um Sein weiß, es aber nie in begreifendem Wissen einholen kann; sonst wäre die Möglichkeit der Frage nach dem Sein und mit ihr die Möglichkeit alles Fragens im Wissen überholt. (121; Fs)
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