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Autor: Cantalamessa, Raniero

Buch: Als neuer Mensch leben

Titel: Als neuer Mensch leben

Stichwort: Abtötung und Gebet; Reinheit der Augen

Kurzinhalt: »Wenn ihr durch den Geist die (sündigen) Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben« (Rom 8,13)

Textausschnitt: 5. Die Mittel: Abtötung und Gebet

299a Mit diesen Worten habe ich bereits begonnen, über die Mittel zur Erlangung und Bewahrung der Reinheit zu sprechen. Das erste dieser Mittel ist nämlich gerade die Abtötung. Die wahre innere Freiheit, die es erlaubt, jeder Kreatur im Licht zu begegnen, jedes Elend anzuhören und aufzunehmen, ohne selbst davon verdorben zu werden, ist nicht das Ergebnis einer schlichten Gewöhnung an das Böse. Das heißt, man erlangt sie nicht, indem man alles auskostet und versucht, sich dadurch zu immunisieren, daß man sich den Bazillus eben des Bösen, das man bekämpfen will, in kleinen Dosen einimpft, sondern man erlangt sie, indem man in sich den Infektionsherd erstickt. Kurz, man erlangt sie durch die Abtötung:

»Wenn ihr durch den Geist die (sündigen) Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben« (Rom 8,13). (Fs)

299b Wir müssen unser Möglichstes tun, um das Wort »Abtötung« von dem Argwohn zu befreien, der seit langem auf ihm lastet. Der Mensch von heute hat sich eine besondere Philosophie geschaffen, um die unterschiedslose Befriedigung der eigenen Triebe oder - wie man gern sagt - der eigenen natürlichen Impulse zu rechtfertigen, ja sogar anzupreisen, weil er darin den Weg zur Selbstverwirklichung der Person sieht. Als sei es nötig, den Menschen auf diesem Gebiet mit einer entsprechenden Philosophie noch zu ermutigen, und als reichten nicht seine gebrochene Natur und der menschliche Egoismus allein schon aus! Die Abtötung - das ist wahr - ist vergeblich und selbst ein Werk des Fleisches, wenn sie Selbstzweck wird, ohne Freiheit geschieht oder - was noch schlimmer ist - wenn sie geübt wird, um Rechte vor Gott anzumelden oder sich damit vor den Menschen zu brüsten. So haben viele Christen sie erfahren, und jetzt fürchten sie sich, dahin zurückzufallen, weil sie vielleicht die Freiheit des Geistes kennengelernt haben. Aber es gibt noch eine andere Weise, die Abtötung zu betrachten, die das Wort Gottes uns aufzeigt, eine ganz und gar geistliche Weise, denn sie kommt vom Heiligen Geist: »Wenn ihr durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, werdet ihr leben.« Diese Abtötung ist Frucht des Geistes und dient dem Leben. (Fs)

300a Wenn von Reinheit die Rede ist, muß - wie ich glaube - vor allem ein Typ der Abtötung ins Gedächtnis gerufen werde: die der Augen. Das Auge, sagt man, ist das Fenster der Seele. Wenn draußen der Sturm Blätter und Staub aufwirbelt, läßt niemand die Fenster seines Hauses weit offenstehen, denn der Staub würde alles bedecken. Der das Auge geschaffen hat, schuf auch das Augenlid, um es zu schützen ... Im Zusammenhang mit der Abtötung der Augen können wir die große neue Gefahr unserer Zeit nicht schweigend übergehen: das Fernsehen und - noch schlimmer - das Internet. Jesus hat gesagt: »Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg!« (Mt 5, 29), und er hat das gerade im Hinblick auf die Reinheit des Blickes gesagt. Das Fernsehen ist für uns sicher nicht nötiger als das Auge; man muß also auch von ihm sagen: »Wenn dein Fernseher dich zum Bösen verführt, dann wirf ihn weg!« Es ist viel besser, als einer dazustehen, der schlecht informiert ist über die letzten Ereignisse und Schauspiele der Welt, als bestens über alles informiert zu sein und darüber die Freundschaft Jesu zu verlieren und das eigene Herz zu verderben. Wenn jemand eingesehen hat, daß es ihm trotz aller Vorsätze und Anstrengungen nicht gelingt, sich auf das zu beschränken, was wirklich nützlich und einem Christen angemessen ist, dann ist es seine Pflicht, die Ursache zu beseitigen. Viele christliche Familien haben sich entschieden, den Fernseher aus ihrem Haus zu verbannen, weil sie der Meinung sind, daß der Nutzen letztlich nicht den Schaden aufwiegt, den er auf christlicher wie auch auf rein menschlicher Ebene anrichtet, und sie sind dann wahrlich bestürzt, wenn sie aus manchen Anzeichen im Gespräch entnehmen müssen, daß ein Priester oder eine Ordensfrau gewisse Sendungen verfolgt hat, deren Tendenz wohlbekannt ist. Wie kann denn ein Priester oder ein Ordensmann am Abend seine Augen und seinen Geist stundenlang mit Bildern anfüllen, die allesamt eine Verspottung der Seligpreisungen des Evangeliums, im besonderen der Reinheit, darstellen, und dann am nächsten Morgen zu früher Stunde ohne weiteres der Meinung sein, er könne den Lobpreis des Herrn feiern, sein Wort verkünden, das eucharistische Brot brechen oder den Leib Christi in der Kommunion empfangen?

301a Greifen wir also auf die Abtötung zurück und nehmen wir auch wieder Zuflucht zum Gebet. Die Reinheit ist nämlich weit mehr eine »Frucht des Geistes«, d. h. Geschenk Gottes, als das Ergebnis unserer Anstrengung, auch wenn diese unverzichtbar ist. Der hl. Augustinus beschreibt uns im anfangs erwähnten Zusammenhang seine persönliche Erfahrung in dieser Hinsicht:
»In meiner Unerfahrenheit glaubte ich, die Enthaltsamkeit hinge von meinen eigenen Kräften ab, und ich war mir bewußt, daß ich sie nicht besaß. Ich war so dumm, daß ich nicht wußte, was in der Schrift steht, daß nämlich niemand enthaltsam sein kann, wenn du es ihm nicht gewährst (vgl. Weish 8, 21). Und du hättest es mir zweifellos gewährt, wenn ich mit dem Seufzer meines Herzens an deine Ohren geklopft und mit sicherem Glauben meine Sorgen auf dich geworfen hätte ... Tu gebietest mir die Keuschheit: Nun gut, gewähre mir, was du mir gebietest, und dann verlange von mir, was du willst!« 1
Und wir wissen schon, daß er auf diese Weise die Reinheit erlangte. (Fs)

302a Ich habe zu Anfang gesagt, daß eine äußerst enge Verbindung besteht zwischen Reinheit und Heiligem Geist: Der Heilige Geist schenkt uns nämlich die Reinheit, und die Reinheit schenkt uns den Heiligen Geist! Die Reinheit in uns zieht den Heiligen Geist an, wie sie ihn in Maria angezogen hat. Zur Zeit Jesu wimmelte die Welt von »unreinen« Geistern, die unter den Menschen ungestört ihr Unwesen trieben. Als Jesus nach seiner Taufe im Jordan erfüllt vom Heiligen Geist die Synagoge von Kafarnaum betrat, begann ein von einem unreinen Geist Besessener zu schreien:

»Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Du bist gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen! Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!« (Mk 1, 24). (Fs)

302b Wer weiß, seit wie langer Zeit jener Mann schon ungestört in die Synagoge ging, ohne daß irgend jemand etwas bemerkte! Doch als Jesus, der das Licht und den Wohlgeruch des Geistes ausstrahlte, seinen Fuß an jenen Ort setzte, wurde der unreine Geist entlarvt und geriet in Aufregung; er konnte seine Anwesenheit nicht ertragen und verließ den Mann. Das ist der große, lautlose Exorzismus, der auch heute dringend nötig ist; das ist der Exorzismus, den wir auf Jesu Geheiß in unserer Umgebung praktizieren sollen: die unreinen Geister und den Geist der Unreinheit aus uns und unserer Umgebung austreiben, indem wir unseren Mitmenschen, und besonders den Jugendlichen, wieder die Freude vermitteln, für die Reinheit zu kämpfen. (Fs)

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