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Autor: Sertillanges A. D. (Gilbert)

Buch: Der heilige Thomas von Aquin

Titel: Der heilige Summa von Aquin

Stichwort: Wille, Begehren (petere aliquid; tender in aliquid); Harmonie d. Welt; Verlangen - Tätigkeit - das Gute; Verbundenheit im Sein, ideale Erkenntnis: keine vollkommene Erklärung d. Verlangens; Erkennen, Synthese

Kurzinhalt: ... wenn auch die Verbundenheit aller Dinge im Sein der letzte Grund des Verlangens und die ideale Verbundenheit in der Erkenntnis ... dessen unmittelbare Bedingung ist, doch weder das eine noch das andere dessen nächste ... Erklärung ist.

Textausschnitt: 1828 Begehren heißt soviel wie: etwas fordern [petere aliquid]; es bedeutet: zu etwas hinstreben, weil man auf es hingeordnet ist [quasi tendere in aliquid, ad ipsum ordinatum]1. (521; Fs)

1829 Diese Hinordnung und dieses Streben wurzeln in einer Beziehung der Angemessenheit, indem die Seinswesen, die schon in dem Sein eine gewisse Beziehung der Verbundenheit haben, noch darüberhinaus durch besondere 'verwandtschaftliche' Beziehungen verbunden sind, die sie gegenseitig der Vervollkommnung fähig machen. Auf Grund der Harmonie, die das oberste Gesetz der Welt ist, ordnen diese Zweckverbindungen das eine dem andern zu. (521; Fs)

1830 Hieraus haben wir ja die Tätigkeit im allgemeinen erklärt; wir müssen auch das Verlangen seinem allgemeinsten Sinn nach von hier aus verstehn; denn das Verlangen ist die treibende Kraft der Tätigkeit. Wenn etwas ohne dies Verlangen sich betätigte, so wäre es Objekt einer Gewalt, und die Natur, die zusammengesetzt wäre aus derart von außen bewegten Wesen, wäre nicht mehr die Natur2. (521; Fs)

1831 Doch es gibt unter diesem Gesichtspunkt tiefe Unterschiede zwischen den Wesen. Einzelne verlangen unbewußt, da sie zwar das Prinzip, nach dem sie streben, das heißt jene 'verwandte' Form, von der die Rede war, in sich tragen, aber nichts besitzen, was ihnen selbst diese Verbundenheit innerlich vergegenwärtigt und sie zum Richter darüber macht. (521; Fs)

1832 Der Regen strebt nach der Erde, und die Erde wartet auf ihn; allein weder der Regen noch die Erde hat in sich die eigentlich bewegende Kraft des natürlichen Verlangens, das sie treibt. Diese bewegende Kraft ist das Gute, und das Gute ist hier dem Träger der Tätigkeit ganz und gar äußerlich; es hat in ihm keinerlei innere Vergegenwärtigung, es sei denn jene Angemessenheit, aus der das Streben erwächst und die eine reine Beziehung ist. (521f; Fs)

1833 Die erkennenden Wesen dagegen ganz gleich, ob sie bloß die Sinnes- und Einbildungskraft besitzen oder darüber hinaus auch die Vernunft [beide Fälle sind freilich wohl zu unterscheiden] - tragen in sich selbst die Kraft des Verlangens, nämlich das wahrgenommene und erfaßte Gut, das heißt eine vergegenwärtigende und vorstellende Form des ihnen verwandten Gegenstandes, in der die Verbundenheit sich kundgibt. (522; Fs)

1834 Diese letztere Bedingung ist wohl zu beachten, und man muß sich darüber klar sein, daß, wenn auch die Verbundenheit aller Dinge im Sein der letzte Grund des Verlangens und die ideale Verbundenheit in der Erkenntnis [secundum esse intentionale] dessen unmittelbare Bedingung ist, doch weder das eine noch das andere dessen nächste und vollkommen entsprechende Erklärung ist. Denn im ersten Falle würde alles nach allem streben, und im zweiten Falle würde ein erkanntes Ding schon rein als solches begehrt werden. Das ist aber, wie die Erfahrung lehrt, offensichtlich nicht der Fall; den tiefern - im Wesen des Seins liegenden Grund dafür haben wir soeben gesehn. (522; Fs) (notabene)

1835 Die Erkenntnis könnte das Subjekt nur in dem Fall immer zu dem Gegenstand hinziehn, wenn das Subjekt zugunsten des Objekts abdankte, und wenn die Erkenntnis, statt eine Synthese zu sein, eine Ablösung eines Seins durch ein anderes wäre. Der Gegenstand, der zu meinem Ich geworden ist, strebt in mir, doch da er durch mich strebt, muß er auch gemäß meiner Natur streben, denn wenn er sich, wie wir gesagt haben, vollenden will, so darum, weil er mich vollenden will, der ich seine Form zu der meinigen gemacht habe. (522; Fs) (notabene)

Kommentar (14.10.11): 1834 u. 1835 durchenken im Blick auf Lonergans Verständnis von Wille.

1836 Wenn Verlangen und nicht im Gegenteil Flucht vorliegen soll - auch die Flucht ist übrigens eine Art des Verlangens -, muß zwischen dem Erkennenden und dem Erkannten eine mehr oder minder große Ähnlichkeit der Natur vorliegen, mit der Besonderheit, daß das, was in dem Einen ist, der Reichtum eines Andern werden kann, das es bis dahin nur dem Vermögen nach besaß. (522; Fs)

1837 Man würde nicht verlangen, wenn man das, wonach man verlangt, nicht schon 'dem Vermögen nach' besäße; man würde freilich noch weniger verlangen, wenn man es schon tatsächlich besäße, dann würde man in dem Besitz ruhn. Das Verlangen gründet also auf einem Reichtum und auf einer Armut zugleich: auf der tatsächlichen Armut und dem möglichen Reichtum. Das ist der tiefste Sinn des berühmten Satzes: 'Du würdest mich nicht suchen, wenn du mich nicht schon gefunden hättest3.' (522f; Fs)

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