Autor: Rhonheimer, Martin Buch: Natur als Grundlage der Moral Titel: Natur als Grundlage der Moral Stichwort: Ehe; Erschaffung der Seele; Kreationismus; causa secunda Kurzinhalt: Die Eltern sind vielmehr Ursache auch der Beseelung, des Personseins, aber auf instrumentale Weise. Das heißt: Gott wirkt nicht "neben" den Eltern in die kategoriale Welt hinein, ... Textausschnitt: 102a [...] Die Weitergabe des menschlichen Lebens besitzt nicht jene Autonomie der "causa secunda", die sonst allgemein allen Naturphänomenen zuzusprechen ist; sie ist vielmehr ein Zusammenwirken von geschöpflichem Wirken des Menschen ("causa secunda") und dem schöpferischen Wirken Gottes, bezüglich dessen - d. h., was die Erschaffung der Seele und damit das menschliche Leben überhaupt betrifft - die "causa secunda" in etwa eine Art "causa instrumentalis" ist. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt, aufgrund dessen die nur beschränkte Verfügungsgewalt des Menschen über das menschliche Leben (das eigene und jenes des Nächsten) zu begründen ist.1 Das unmittelbar-schöpferische Wirken Gottes beim Entstehen eines jeden einzelnen menschlichen Lebens ist letztlich auch der Grund dafür, weshalb man von der "Heiligkeit" dieses Lebens spricht: Denn menschliches Leben ist nicht nur ein Naturphänomen; es ist das einzige Phänomen der körperlichen Welt, das sowohl in seiner Entstehung wie auch in seinem Bestehen die Natur gleichzeitig in den konstitutiven Prinzipien seines Seins transzendiert.
Fußnote:
10 Dies zu betonen ist angesichts der oftmaligen Schwierigkeiten, z. B. die sittliche Dimension des Selbstmordes richtig zu beurteilen, wichtig. Bezüglich des Verfügungsrechtes, das der Mensch über das menschliche Leben besitzt, kann man nicht aufgrund der sonst generell einschlägigen Struktur der "causa secunda" argumentieren, weil der Mensch als "causa secunda" allein das menschliche Leben gar nicht weiterzugeben vermöchte; er kann dies nur in einer Mitwirkung mit der unmittelbar schöpferischen Kausalität Gottes, in etwa vergleichbar mit einer "causa Instrumentalis", so daß das Leben eines jeden einzelnen Menschen in einer ganz besonderen und einmaligen Weise "Geschenk" und "Leihgabe" ist, über die also der Mensch nicht als "Eigentümer", sondern als "Verwalter" verfügt. Bedauerlicherweise hat B. Schüller in seiner Kritik traditioneller Argumente für das Tötungsverbot diesen entscheidenden Aspekt übergangen und die metaphysische Beziehung der Geschöpflichkeit des Menschen auf ein (sowieso bezüglich aller Geschöpfe bestehendes) "exklusives Herrscherrecht" Gottes reduziert (vgl. B. SCHÜLLER, Die Begründung sittlicher Urteile, 2. Aufl. Düsseldorf 1980, S. 238-251). Der Vorwurf des Anthropomorphismus, den J. FUCHS gegenüber dem sogenannten "Kreationismus" (unmittelbare Erschaffung der Seele durch Gott) vorgebracht hat, scheint mir auf einem Fehlverständnis göttlicher Kausalität zu beruhen (vgl. J. FUCHS, Das Gottesbild und die Moral innerweltlichen Handelns, in: Stimmen der Zeit 202 (1984), S. 363-382). Nach Fuchs wäre, gemäß diesem Argument, Gott durch Eingreifen Ko-Operator der Eltern. Durch die Erschaffung der Seele würde sich Gott dabei ein innerweltliches Recht vorbehalten. Die Eltern wären nur Ursache des "biologischen Substrats"; Gott Ursache des Personseins. Gott wirke in dieser Welt nur durch Zweitursachen; deshalb müssen auch die Eltern Ursache des ganzen Menschen sein, d. h. der Seele in derselben Weise wie des Körpers. Diese Auffassung, gemäß dem "Kreationismus" seien die Eltern nur Ursache des "organischen Substrates", oder Gott wirke als ko-operative Ursache in die kategoriale Welt hinein, muß jedoch als fundamentales Mißverständnis bezeichnet werden. Die Eltern sind vielmehr Ursache auch der Beseelung, des Personseins, aber auf instrumentale Weise. Das heißt: Gott wirkt nicht "neben" den Eltern in die kategoriale Welt hinein, sondern erhebt im Zeugungsakt die Eltern aus der kategorialen Ebene der Zweitursächlichkeit auf die Ebene geschöpflicher Ursächlichkeit; die Eltern wirken kooperativ mit Gott, und nicht umgekehrt. Das ist nicht eine anthropomorphe Erklärung. Vielmehr scheint Fuchs den Fehler zu begehen, das "kreationistische" Argument anthropomorph zu verstehen, um es dann aufgrund dieses Vorverständnisses zu kritisieren.
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