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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Ehe; drei Ziele: finis primarius - finis secundarius - sakramentaler Sinn; Analogie zu "actus primus" (Substanz) und "actus secundus"

Kurzinhalt: Deshalb nennt man diesen gemeinschaftlichen Aspekt auch einen "finis secundarius"; nicht weil er nebensächlich wäre, sondern weil er auf dem "finis primarius" aufruht und ohne diesen gar nicht bestehen würde

Textausschnitt: 101b Eheliche Liebe (nicht als Liebe, sondern in ihrer Spezifität als eheliche Liebe zwischen Mann und Frau) ist ebenso nicht ein gewissermaßen nachträglich "inkarniertes", aber ursprünglich rein geistiges Phänomen. Sie entspringt vielmehr fundamental und ursprünglich dieser natürlichen Neigung der animalischen Natur des Menschen, zeigt sich jedoch aufgrund ihrer seinsmäßigen Integration in das Suppositum als etwas Neues: als menschliche Liebe zwischen Mann und Frau, die, wiederum aufgrund der spezifischen Würde des Menschen als geistiges Wesen, die Eigenart von ehelicher Liebe besitzt.1 (Fs)

101c Auch die Finalität der Fortpflanzung selbst - sowie das "bonum commune naturae" - erhält im Kontext des Suppositums "Mensch" eine höhere und neue Dimension. Denn sie ist jetzt nicht mehr nur auf das "bonum commune naturae" der Spezies gerichtet, sondern direkt auf das "bonum" eines neuen geistigen Individuums, einer Person in ihrer Individualität, die ebenfalls die "imago Dei" in sich trägt und aufgrund der Geistigkeit ihrer Seele, die Unsterblichkeit (= Inkorruptibilität) impliziert, auch als Individuum die Spezies transzendiert.2 Es handelt sich deshalb nicht nur um bloße Weitergabe des Lebens auf jener Ebene, der die entsprechende "naturalis inclinatio" entspringt, sondern um die Weitergabe von menschlichem Leben, also letztlich darum, "das Gottebenbild von Mensch zu Mensch weiterzugeben".3 (Fs)

102a In einer noch weitergehenden Durchdringung der Sinnfülle dieses Aktes und der Liebe, die seine Grundlage bildet, - ohne damit schon auf die eigentlich übernatürliche, theologische Ebene einzugehen -, unter der Berücksichtigung der Tatsache, daß beim Entstehen jeden menschlichen Lebens ein unmittelbarer göttlicher Schöpfungssakt bezüglich der menschlichen Seele impliziert ist, wird menschliche Fortpflanzung als direkte Mitwirkung an einem göttlichen Schöpfungsakt erkennbar.4 Damit wird auch deutlich - was hier nur am Rande vermerkt sei - daß die Weitergabe menschlichen Lebens (wie auch das menschliche Leben überhaupt) unter sämtlichen anderen in der Natur vorkommenden Phänomenen eine völlige Sonder- und Ausnahmestellung einnimmt. Die Weitergabe des menschlichen Lebens besitzt nicht jene Autonomie der "causa secunda", die sonst allgemein allen Naturphänomenen zuzusprechen ist; sie ist vielmehr ein Zusammenwirken von geschöpflichem Wirken des Menschen ("causa secunda") und dem schöpferischen Wirken Gottes, bezüglich dessen - d. h., was die Erschaffung der Seele und damit das menschliche Leben überhaupt betrifft - die "causa secunda" in etwa eine Art "causa instrumentalis" ist. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt, aufgrund dessen die nur beschränkte Verfügungsgewalt des Menschen über das menschliche Leben (das eigene und jenes des Nächsten) zu begründen ist.5 Das unmittelbar-schöpferische Wirken Gottes beim Entstehen eines jeden einzelnen menschlichen Lebens ist letztlich auch der Grund dafür, weshalb man von der "Heiligkeit" dieses Lebens spricht: Denn menschliches Leben ist nicht nur ein Naturphänomen; es ist das einzige Phänomen der körperlichen Welt, das sowohl in seiner Entstehung wie auch in seinem Bestehen die Natur gleichzeitig in den konstitutiven Prinzipien seines Seins transzendiert. (Fs)





Fußnote zu 101b

6 Die Ehe ist ja auch aufgrund der vernünftigen Natur des Menschen eine "communitas", die selbst als solche durch das Fundament, auf dem sie aufruht, ihre Spezifität erlangt. Deshalb nennt man diesen gemeinschaftlichen Aspekt auch einen "finis secundarius"; nicht weil er nebensächlich wäre, sondern weil er auf dem "finis primarius" aufruht und ohne diesen gar nicht bestehen würde. Auch das "dritte" Ziel oder Gut, der sakramentale Charakter der Ehe, bestünde ja gar nicht ohne die ersten beiden. Er ist aber im Kontext eines christlichen Lebens der entscheidende und wichtigste Gesichtspunkt, schließt jedoch die anderen Ziele ein. Die "Rangordnung" bezeichnet einen Konstituierungszusammenhang, ist aber kein wertendes Urteil über die Bedeutsamkeit der einzelnen Ziele. Das Verhältnis ist analog zu jenem zwischen "actus primus" (Substanz) und "actus secundus" (die "operatio"); der erste ist fundierend; ohne ihn gäbe es keinen "actus secundus"; der letztere, die "operatio" steht aber gerade in der Ordnung der Vollkommenheit höher ("operatio est ultima perfectio rei"), denn er schließt das Gründende ein, setzt es voraus und vervollkommnet es. Anders ist auch die Lehre vom "finis primarius" und "secundarius" der Ehe nicht zu verstehen.

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