Autor: Voegelin, Eric Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte Stichwort: Partizipation, Sein, Unwissenheit, Symbol; Symbole: Klärung d. Momente des Seinsfeldes; Erkennbares - Unerkennbares Kurzinhalt: Die Partizipation am Sein jedoch ist nicht eine Episode im Leben des Menschen, sondern nimmt seine gesamte Existenz in Anspruch, denn seine Partizipation ist seine Existenz selbst. Textausschnitt: 1/2 "Gott und Mensch, Welt und Gesellschaft bilden eine ursprüngliche Gemeinschaft des Seins. Die Gemeinschaft mit ihrer Vierer-Struktur ist ein Datum menschlicher Erfahrung - und ist es auch wiederum nicht. Sie ist ein Datum von Erfahrung, insofern sie dem Menschen kraft seiner Partizipation am Geheimnis ihres Seins ist. Sie ist kein Datum von Erfahrung, insofern sie nicht nach Art eines Objektes der Außenwelt gegeben ist, sondern nur in der Perspektive der Partizipation an ihr erkannt werden kann. (28; Fs)
2/2 Die Perspektive der Partizipation muß in der ganzen Fülle ihrer beunruhigenden Natur verstanden werden. Sie bedeutet nicht, daß der Mensch, mehr oder minder günstig in der Landschaft des Seins plaziert, sich nur umzuschauen und zu Protokoll zu nehmen braucht, was er sieht, soweit er sehen kann. Eine derartige Metapher - oder ähnliche Variationen über das Thema Grenzen menschlichen Wissens - würde den paradoxen Charakter der Situation zerstören. Sie würde auf einen autarken Betrachter deuten, der im Besitz wie im Bewußtsein seiner Fähigkeiten, der Mittelpunkt eines - wenngleich begrenzten - Seinshorizontes ist. Doch der Mensch ist kein auf sich selbst gestellter Betrachter. Er ist ein Schauspieler, der im Drama des Seins eine Rolle spielt und durch das Faktum seiner Existenz verbunden ist, sie zu spielen, ohne zu wissen, worin sie besteht. Es ist verwirrend genug, wenn jemand sich durch Zufall in einer Situation findet, in der er nicht genau weiß, was gespielt wird und wie er sich zu verhalten hat, um nicht alles zu verderben; doch mit etwas Glück und Geschick wird er sich herauswinden und in die weniger verwirrende Routine des Alltags zurückkehren. (28; Fs)
3/2 Die Partizipation am Sein jedoch ist nicht eine Episode im Leben des Menschen, sondern nimmt seine gesamte Existenz in Anspruch, denn seine Partizipation ist seine Existenz selbst. Weder gibt es einen Blickpunkt außerhalb der Existenz, von dem aus ihr Sinn erkannt und planmäßiges Verhalten entworfen werden könnte, noch eine Insel der Seligen, auf die sich der Mensch zurückziehen kann, um sein Ich wiederzufinden. Die Rolle der Existenz muß in der Ungewißheit ihres Sinnes gespielt werden, als ein Abenteuer der Entscheidung auf der Grenze von Freiheit und Notwendigkeit. (28f; Fs)
4/2 Das Spiel ist ebenso unbekannt wie die Rolle. Ja schlimmer noch: der Schauspieler weiß nicht mit Sicherheit, wer er selber ist. An diesem Punkt kann die Metapher des Spiels, wird sie nicht mit Vorsicht verwendet, in die Irre führen. Die Metapher ist gerechtfertigt, vielleicht sogar notwendig, insofern sie die Einsicht vermittelt, daß die Partizipation des Menschen am Sein nicht blind erfolgt, sondern durch sein Bewußtsein erhellt ist. (29; Fs)
5/2 Es gibt eine Erfahrung der Partizipation, eine reflektive Spannung der Existenz, deren Sinnstrahlung sich auffangen läßt in dem Satz: Der Mensch, in seiner Existenz, partizipiert am Sein. Doch dieser Sinn verkehrt sich in Unsinn, wenn man vergißt, daß Subjekt und Prädikat dieses Satzes Ausdrücke sind, die eine Spannung der Existenz artikulieren, aber nicht Begriffe sind, die Objekte bezeichnen. Es gibt nicht so etwas wie einen 'Menschen', der am 'Sein' partizipiert, so als wäre das Sein ein Unternehmen, von dem er auch ebensogut Abstand nehmen könnte; vielmehr gibt es ein 'Etwas', einen Teil des Seins, fähig, sich selbst als solchen zu erfahren und darüber hinaus auch fähig, Sprache zu benutzen und dieses erfahrende Bewußtsein mit dem Wort 'Mensch' zu belegen. Dieses Nennen beim Namen ist ein fundamentaler Beschwörungsakt, ein Akt des Hervorrufens, in dem dieser Teil des Seins als ein unterscheidbarer Partner in der Gemeinschaft des Seins konstituiert wird. (29f; Fs)
6/2 Dennoch, so fundamental dieser Akt der Beschwörung auch ist - denn er bildet für all das, was der Mensch im Laufe der Geschichte über sich lernen kann, die Grundlage - so ist er doch kein Akt der Erkenntnis. Die sokratische Ironie des Nichtwissens ist zum Paradigma für das Wissen um den blinden Fleck im Zentrum alles menschlichen Wissens über den Menschen geworden. Im Zentrum seiner Existenz ist sich der Mensch selbst unbekannt und muß es bleiben, denn der Teil des Seins, der sich selbst Mensch nennt, könnte nur dann voll erkannt werden, wenn die Gemeinschaft des Seins wie auch ihr Drama in der Zeit vollständig bekannt wären. Die Partnerschaft des Menschen im Sein ist das Wesen seiner Existenz, und dieses Wesen hängt von dem Ganzen ab, von dem die Existenz ein Teil ist. Die Kenntnis des Ganzen ist jedoch infolge der Identität des Wissenden mit dem Partner ausgeschlossen, und das Nichtwissen vom Ganzen schließt wesentliches Wissen vom Teil aus. Diese Situation der Unwissenheit hinsichtlich des wesentlichen Kerns der Existenz ist mehr als nur verwirrend: sie ist zutiefst beunruhigend, denn aus der Tiefe dieser letzten Unwissenheit steigt die Existenzangst empor. (30; Fs)
7/2 Die letzte wesentliche Unwissenheit ist freilich keine völlige Unwissenheit. Der Mensch vermag beträchtliches Wissen über die Ordnung des Seins zu gewinnen, und der nicht geringste Teil dieses Wissens ist die Unterscheidung zwischen dem Erkennbaren und dem Unerkennbaren. Zu dieser Leistung kommt es allerdmgs erst spät in dem lang sich hinziehenden Prozeß von Erfahrung und Symbolisierung, die beide Gegenstand der vorliegenden Studie bilden. Die Sorge des Menschen über den Sinn seiner Existenz im Feld des Seins bleibt nicht aufgestaut in den Qualen der Angst, sondern vermag sich in der Schaffung von Symbolen Luft zu machen, die das Ziel haben, die Beziehungen und Spannungen zwischen den unterscheidbaren Momenten des Seinsfeldes einsichtig zu machen. (30; Fs)
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