Autor: Lonergan, Bernard J.F. Buch: Die Einsicht Titel: Die Einsicht Bd. I und II Stichwort: Verdrängung; Aberration, Ablehnung Kurzinhalt: Unterschied zw. Aberration (repression) und bewusster Ablehung Textausschnitt: 2.7.2 Verdrängung [192-93]
56/06 Und es ist auch nicht bloß der Verstand, der in Verwirrung versetzt wird. Die Scotosis ist eine Aberration, nicht nur des Verstandes, sondern auch der Zensurfunktion. So wie der Wunsch nach Einsicht die Oberfläche durchdringt, um schematische Bilder hervorzubringen, welche dann die Einsicht aufkommen lassen, so hat das Nicht-Wollen einer Einsicht die entgegengesetzte Wirkung der Verdrängung eines Schemas, welches die Einsicht suggerieren würde, aus dem Bewußtsein. Nun ist diese Aberration der Zensurfunktion umgekehrt zu dieser. Die Zensurfunktion ist primär konstruktiv; sie wählt aus und ordnet Materialien an, welche im Bewußtsein in einer Perspektive aufkommen, die eine Einsicht entstehen lassen; diese positive Aktivität impliziert einen negativen Aspekt, indem nämlich andere Materialien links liegengelassen und andere Perspektiven nicht ans Licht gebracht werden. Dieser negative Aspekt der positiven Aktivität führt allerdings nicht irgendwelche Anordnung oder Perspektive ein in die unbewußten Forderungsfunktionen der neuralen Muster und Prozesse. (233; Fs) (notabene)
57/06 Im Gegensatz dazu ist die Aberration der Zensurfunktion primär repressiv; ihre positive Aktivität ist es, Perspektiven vom Auftauchen im Bewußtsein abzuhalten, welche unerwünschte Einsichten entstehen lassen würden; sie führt, wenn man so sagen will, den Ausschluß von Anordnungen ein in das Feld des Unbewußten; sie schreibt die Weise vor, in der neuralen Forderungsfunktionen nicht begegnet werden soll; und der negative Aspekt dieser ihrer positiven Aktivität ist die Zulassung beliebiger Materialien in jeder anderen Anordnung oder Perspektive im Bewußtsein. (233; Fs) (notabene)
58/06 Schließlich unterscheiden sich beide, Zensurfunktion und ihre Aberration, von einer bewußten Zuwendung zu einer möglichen Verhaltensform und von einer bewußten Ablehnung, sich in einer solchen Weise zu verhalten. Denn die Zensurfunktion und ihre Aberration sind vor der bewußten Aufmerksamkeit operativ und sie betreffen direkt nicht, wie wir uns zu verhalten haben, sondern was wir zu verstehen haben. Eine Ablehnung, sich in einer gegebenen Weise zu verhalten, ist keine Ablehnung zu verstehen; weit davon entfernt, bewußte Aufmerksamkeit zu verhindern, intensiviert die Ablehnung sie und macht ihr Wiederauftreten umso wahrscheinlicher. Während es schließlich wahr ist, daß bewußtes Ablehnen verbunden ist mit einem Aufhören der bewußten Aufmerksamkeit, beruht diese Verbindung doch nicht auf einer Umwölkung der Intelligenz, sondern auf einer Verschiebung der Bemühung, des Interesses und der Sorge. Entsprechend sind wir gehalten, den Terminus Verdrängung auf das Wirken der abirrenden Zensurfunktion zu beschränken, welche damit beschäftigt ist, die Einsicht zu verhindern. (233f; Fs)
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