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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gottesmord, Marx (Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie); Religion als Opium des Volks

Kurzinhalt: Der Marxische homo novus ist nicht ein Mensch ohne religiöse Illusionen, sondern der Mensch, der ontisch Gott wieder in sich aufgenommen hat. Der 'Unmensch', der Illusionen hat, wird zum Vollmenschen dadurch, daß er den 'Übermenschen' absorbiert.

Textausschnitt: 98b Das Dokument des Übergangs zur revolutionären Praxis sind die Sätze, mit denen Marx seine Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie von 1843 eröffnet. Das Argument wird so klar hingesetzt, daß es kaum einen Kommentar erfordert. (Fs)

98c Wie bei Nietzsche ist der Gottesmord die Voraussetzung für das magische opus. 'Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.' Gott war nie etwas anderes als Menschenwerk. Die Kritik bringt diese Enthüllung und stellt dadurch die Vollnatur des Menschen wieder her. 'Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat.' Ist dies Verhältnis einmal durchschaut, dann wird die Wirklichkeit des Menschen wieder sichtbar. 'Der Mensch, der in der phantastischen Wirklichkeit des Himmels, wo er einen Übermenschen suchte, nur den Widerschein seiner selbst gefunden hat, wird nicht mehr geneigt sein, nur den Schein seiner selbst, nur den Unmenschen zu finden, wo er seine wahre Wirklichkeit sucht und suchen muß.'1 (98f; Fs)

99a Marx steht mit diesen Überlegungen Nietzsche sehr viel näher, als der Gebrauch des Symbols 'Übermensch' zur Bezeichnung Gottes aufs erste Lesen hin vermuten läßt. Denn Gott existiert ja nicht: 'Gott' ist, im Sinne der Feuerbachschen Religionspsychologie, die Projektion des Besten im Menschen in eine Überwelt. Aber wenn auch die Projektion in die Überwelt illusionär ist, so ist darum nicht der Inhalt der Projektion eine Illusion. Das Beste im Menschen ist real; es muß - und damit geht Marx über die Projektionspsychologie, welche die Religion als Illusion enthüllt, hinaus - in den Menschen zurückgeholt werden. Der Marxische homo novus ist nicht ein Mensch ohne religiöse Illusionen, sondern der Mensch, der ontisch Gott wieder in sich aufgenommen hat. Der 'Unmensch', der Illusionen hat, wird zum Vollmenschen dadurch, daß er den 'Übermenschen' absorbiert. Der neue Mensch ist also in der Tat, wie Nietzsches Übermensch, der Mensch, der sich selbst zum Gott macht. (Fs)

99b Wenn durch die Kritik der Religion der Mensch Gott wieder in sich aufgenommen hat und damit in den Vollbesitz seiner Kräfte getreten ist, beginnt die Kritik der Politik. 'Die Forderung, die Illusion über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusion bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.' 'Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.'2 Denn der wirkliche Mensch, 'das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät'.3 Nur wenn die Welt verkehrt ist, produziert sie das verkehrte Weltbewußtsein der Religion. 'Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.' Es ist darum die Aufgabe der Geschichte, 'nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren'.4 'Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.'5 (99f; Fs)

100a Die verwandelte Kritik ist nicht mehr Theorie, sondern Praxis. 'Ihr Gegenstand ist ihr Feind, den sie nicht widerlegen, sondern vernichten will [...] Sie gibt sich nicht mehr als Selbstzweck, sondern nur noch als Mittel. Ihr wesentliches Pathos ist die Indignation, ihre wesentliche Arbeit ist die Denunziation.'6 (Fs)

100b Hier spricht der Mordwille des gnostischen Magiers. Das Realitätsband ist zerrissen; der Nebenmensch ist nicht mehr Partner im Sein; die Kritik ist nicht mehr Argument. Das Urteil ist gesprochen; es folgt die Exekution. (Fs)

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