Autor: Voegelin, Eric Buch: Der Gottesmord Titel: Der Gottesmord Stichwort: Gottesmord; Golem, Golemlegende; emeth - meth (Wahrheit - tot); Gleichnis Architekt Kurzinhalt: Seinsordnung: aus rein menschlicher Kraft - vorgegeben, Dekapitation des Seins, parusitischen Gnosis, Kardinalpunkt: das 'Durchsichselbstsein' des Menschen Textausschnitt: 93a Der Gottesmord ist, ebenso wie der prometheische Götterhaß, eine generelle Möglichkeit menschlichen Verhaltens zu Gott. Er ist nicht an die parusitische Spekulation gebunden. Um das Phänomen zu klären, werde ich es daher zuerst in der verhältnismäßig einfachen Form beschreiben, in der es in der Kabbala auftritt, in den Golemlegenden des zwölften und frühen dreizehnten Jahrhunderts. Die Legenden wurden vor einigen Jahren durch Gerschom Scholem in seiner Studie über Die Vorstellung vom Golem in ihren tellurischen und magischen Beziehungen zugänglich gemacht.1 (Fs)
93b Im Kommentar des Pseudo-Saadia zum Buch Jezirah, vom Ende des zwölften Jahrhunderts, ist die Golemlegende in folgender Form enthalten: 'So heißt es im Midrasch, daß Jeremia und Ben Sira einen Menschen durch das Buch Jezirah schufen, und auf seiner Stirn stand emeth, wie der Name, den Er über das Geschöpf als Vollendung seines Tuns gesprochen hatte. Aber jener Mensch radierte das aleph aus, um damit zu sagen, Gott allein ist die Wahrheit, und er mußte sterben.'2 (Fs)
93c Das hebräische Wort emeth bedeutet 'Wahrheit'; wenn der erste der drei Konsonanten (im Hebräischen wird der Anfangslaut des Wortes emeth durch einen Konsonanten wiedergegeben), die das Wort bilden, gestrichen wird, bleibt meth übrig: meth bedeutet 'tot'. Die Adepten schaffen den Menschen 'durch das Buch Jezirah', d.h. durch eine magische Operation mit den Buchstaben des hebräischen Alphabets. Es ist eine Operation von grundsätzlich der gleichen Art wie die Marxische Schöpfung des 'sozialistischen Menschen' mit Hilfe der gnostischen Spekulation. Durch die Golemlegende nun fällt neues Licht auf deren Aktcharakter. Von der Wirklichkeit der Seinsordnung her, in der wir leben, mußte das Frageverbot als ein Versuch charakterisiert werden, den 'intellektuellen Schwindel' der Spekulation gegen Auflösung durch die Vernunft zu decken; vom Standpunkt des Adepten Marx war der Schwindel die 'Wahrheit', die er durch seine Spekulation schuf, und das Frageverbot hatte den Zweck, die Wahrheit des Systems gegen die Unvernunft des Menschen zu schützen. Die merkwürdige Spannung zwischen erster und zweiter Realität, erster und zweiter Wahrheit, auf deren pneumopathischen Charakter wir hingewiesen haben, enthüllt sich nun als die Spannung zwischen Gottesordnung und Magie. Diese Spannung, die durch den Machtwillen der Magie entsteht, kann jedoch auch wieder aufgehoben werden. Denn was tut der Golem, der das Siegel der Wahrheit auf der Stirn trägt, wie der Adam, der Mensch, den Gott geschaffen hat? Er radiert das aleph aus, um die Adepten zu warnen, daß die Wahrheit Gottes sei; die zweite Wahrheit ist der Tod. Der Golem stirbt. (93f; Fs)
94a Die Implikation der Spannung und ihre Auflösung werden genauer ausgelegt in einer zweiten Fassung der Golemlegende. Sie findet sich in einem kabbalistischen Text, dem Juda ben Bathyra zugeschrieben, aus dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts. Im ersten Teil sagt die Legende: 'Der Prophet Jeremia beschäftigte sich allein mit dem Buch Jezirah. Da erging eine himmlische Stimme und sprach: Erwirb dir einen Genossen. Er ging zu seinem Sohn Sira, und sie studierten das Buch drei Jahre lang. Danach gingen sie daran, die Alphabete nach den kabbalistischen Prinzipien der Kombination, Zusammenfassung und Wortbildung zu kombinieren, und es wurde ihnen ein Mensch geschaffen, auf dessen Stime stand: IHWH Elohim Emeth. Es war aber ein Messer in der Hand jenes neuerschaffenen Menschen, mit dem er das aleph von emeth auslöschte; da blieb meth. Da zerriß Jeremia seine Kleider uns sagte: Warum löschst du das aleph von emeth aus?'3 (Fs)
95a Sinngehalte der magischen Schöpfung, die in der ersten Legende nur impliziert waren, werden jetzt verdeutlicht. Der zweite Golem trägt auf seiner Stirn das Siegel: Gott ist die Wahrheit. Durch das Auslöschen des aleph wird es zur Verkündigung: Gott ist tot. Nach dieser Handlung aber stirbt der zweite Golem nicht wie sein Vorgänger. Er steht da, in der Hand das Messer, mit dem er den Mord begangen hat. Er lebt und trägt das neue Siegel auf der Stirn. Jeremia zerreißt seine Kleider: in der rituellen Geste des Entsetzens über die Blasphemie. Er fragt sein Geschöpf nach dem Sinn des Tuns und erhält die Antwort: (Fs)
95b 'Ich will dir ein Gleichnis erzählen. Ein Architekt baute viele Häuser, Städte und Plätze, aber niemand konnte ihm seine Kunst abmerken und es mit seinem Wissen und seiner Handfertigkeit aufnehmen, bis ihn zwei Leute überredeten. Da lehrte er sie das Geheimnis seiner Kunst, und sie wußten nun alles auf die richtige Weise. Als sie sein Geheimnis und seine Fähigkeiten erlernt hatten, begannen sie ihn mit Worten zu ärgern, bis sie sich von ihm trennten und Architekten wie er wurden, nur daß sie alles, wofür er einen Taler nahm, für sechs Groschen machten. Als die Leute das merkten, hörten sie auf, den Künstler zu ehren, und kamen zu ihnen und ehrten sie und gaben ihnen Aufträge, wenn sie einen Bau brauchten. So hat euch Gott in seinem Bilde und seiner Gestalt und Form geschaffen. Nur aber, wo ihr, wie Er, einen Menschen erschaffen habt, wird man sagen: Es ist kein Gott in der Welt außer diesen beiden!'4 (Fs)
95c Gerschom Scholem deutet die Legende: Eine gelungene Golemschöpfung würde den 'Tod Gottes' einleiten; die Hybris des Schöpfers würde sich gegen Gott kehren. Der Adept Jeremia ist der gleichen Ansicht, und darum fragt er den Golem nach dem Ausweg aus der entsetzlichen Situation. Er empfängt von ihm das Rezept zur Zerstörung der magischen Kreatur, wendet es an, 'und jener Mensch wurde vor ihren Augen zu Staub und Asche'. Jeremia fragt - und wenn er die Antwort bekommt, die ihn bewegen soll, sein Werk zu zerstören, verbietet er nicht das Fragen, sondern zerstört sein Werk. (Fs)
96a Die Legende schließt mit einem Wort des Jeremia: 'Wahrlich man sollte diese Dinge nur studieren, um die Kraft und Allmacht des Schöpfers dieser Welt zu erkennen, aber nicht, um sie wirklich zu vollziehen.'5 (Fs) ____________________________
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