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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Thomas Collier, Cromwell, Puritanismus; Neuer Himmel -> Bruch mit Christentum, christliche Spannung -> immanenter Geschichtsprozess, gnostische Politik, Gnosis; Welt und Überwelt: immanent zeitlich aufeinanderfolgende Äonen

Kurzinhalt: Beide Welten sind auf der 'Erde', beide in der Geschichte... Die Erde, wie sie ist, kann Welt der Finsternis oder Welt des Lichtes, Teufelsreich oder Gottesreich sein. Dies ist der entscheidende Bruch mit dem Christentum.


Textausschnitt: 36a Die Puritanerbewegung des 17. Jahrhunderts hatte einen radikalen Flügel, der die Revolution als die Errichtung des Reiches Gottes auf Erden verstand. Die Heiligen des Herrn, geführt vom Sohn und erfüllt vom Geist, kämpften um die Staatsmacht, nicht um eine neue politische Ära zu eröffnen, sondern um ein neues gnostisches Äon dem alten der Verderbnis folgen zu lassen.1 Sprachlich drückte dieser radikale Flügel seine Haltung zu Gesellschaft und Welt mit den Mitteln biblischer Symbolik aus. Der Riß durch die Zeiten war gekommen, den II Esdras 6:9 prophezeit, und in Erfüllung sollte gehen, was Jesaja 65:17-19 verkündet hatte: 'Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken wird noch zu Herzen nehmen; sondern sie werden sich ewiglich freuen und fröhlich sein über dem, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem schaffen zur Wonne und ihr Volk zur Freude. Und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk; und soll nicht mehr drinnen gehört werden die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.' (Fs)

37a Diese Dinge, als Tatsachen der Geschichte, sind wohl bekannt; weniger bekannt, selbst heute, ist ihre Bedeutung als eine entscheidende Phase in der Entwicklung moderner Politik. Ihr Verständnis stößt auf Schwierigkeiten, weil wir noch zu tief in dem Weltbild befangen sind, das durch die Gnosis der puritanischen Revolutionäre und ihrer säkularisierenden Nachfolger geschaffen wurde; es fehlt an kritischer Distanz, und vor allem an den begrifflichen Mitteln der Kritik im öffentlichen Bewußtsein - denn das Vorhandensein dieser Mittel in den Werken von Philosophen und Gelehrten hat wenig Bedeutung in einer Zeit der Massendemokratie, in der rationale Diskussion ihren Status als öffentliche Macht verloren hat. An diesen Mitteln fehlt es sogar heute mehr als in der Puritanerzeit mit ihrem schärferen christlichen Bewußtsein. Der Versuch, das Reich Gottes durch Generäle auf dem Schlachtfeld zu begründen, wurde damals noch in seiner Seltsamkeit empfunden; und die Pamphlete der radikalen Puritaner waren darum ebenso defensiv gegen christliche Argumente wie aggressiv in ihrer Verdammung des Reiches der Finsternis, das vernichtet werden sollte. Unter dem Druck der Kritik waren Armeeprediger und Sektenführer genötigt, das Besondere ihres Unternehmens im Gegensatz zur christlichen Tradition genauer zu charakterisieren; und die Prüfung des einen und ändern dieser Defensivargumente möge die weitere Untersuchung einleiten. (Fs)

37b Die bis an die Zähne bewaffneten Gefäße des Geistes hatten sich mit dem Wort Christi auseinanderzusetzen: 'Mein Reich ist nicht von dieser Welt.' Die Schwierigkeit dieses Wortes wurde zum Teil durch buchstabengläubige Rabulistik des Konfrontierens mit anderen Stellen überwunden. Gewiß hat Christus gesagt, sein Reich sei nicht von dieser Welt; aber hat er gesagt, es solle nicht auf der Erde begründet werden? Im Gegenteil, Offenbarung Johannis 5:10 versichert ausdrücklich: 'Du hast uns unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht und wir werden Könige sein auf Erden.' Welt und Erde müssen also unterschieden werden. Welt bedeute die Zeit der weltlichen Herrschaft, der menschlichen Monarchie, der die Puritaner unterworfen sind; und diese Welt werde auf Erden von jener anderen gefolgt werden, von der Hebräer 2:5 spricht: 'die zukünftige Welt, davon wir reden'. (Fs)

38a Tiefer in die Motive dieses Setzens von Text gegen Text führt eine Predigt, die Thomas Collier 1647 in Cromwells Hauptquartier hielt. Collier ging von der Verteidigung zum Angriff über. Der neue Himmel und die neue Erde seien das Reich Gottes durch den Geist in den Heiligen; der Himmel als ein übernatürlicher Gnadenort sei ein Mißverständnis: 'Wir hatten, und wir haben noch immer, sehr niedrige und fleischliche Vorstellungen vom Himmel, insofern wir ihn für einen Ort der Glorie über dem Firmament halten, unsichtbar, und seine Freuden nur jenseit des Lebens zu genießen. Aber Gott selbst ist das Reich der Heiligen, ihr Genuß und ihre Glorie. Wo Gott sich manifestiert, dort ist sein und der Heiligen Reich, und er manifestiert sich in den Heiligen. Hier ist das große und verborgene Mysterium des Evangeliums, diese neue Schöpfung in den Heiligen.' (Fs; tblVrw)
38b Die eben zitierte Stelle aus Colliers Predigt ist eines der bemerkenswertesten Dokumente puritanischer Spekulation, insofern als sie ausspricht, was anderwärts als hintergründiger Gedanke nur vermutet werden darf: Es gibt eine alte und eine neue Welt, eine alte und eine neue Schöpfung. Beide Welten sind auf der 'Erde', beide in der Geschichte. Unter Erde ist die Konstitution des Seins zu verstehen, und im besonderen des menschlichen Seins in Gesellschaft. Unter Welt ist der gnostische Status des Seins als unerlöste Finsternis oder erlösendes Licht zu verstehen. Die Erde, wie sie ist, kann Welt der Finsternis oder Welt des Lichtes, Teufelsreich oder Gottesreich sein. Dies ist der entscheidende Bruch mit dem Christentum. (Fs)

39a Die christliche Welt, als Schöpfung Gottes, ist nicht ein Reich der Finsternis; gewiß, sie ist verdunkelt durch das Allzumenschliche des Falls; aber durch die Verleiblichung des Gottes ist sie wieder geadelt als die Stätte vollkommenen Menschentums in den Schranken kreatürlichen Seins. Diese christliche Spannung nun zwischen kreatürlichem und göttlichem Sein, zwischen Grenzen des Seins und Verklärung durch Gnade im Tod, wird aufgelöst in einen immanenten Geschichtsprozeß, der Welt und Überwelt als zeitlich aufeinanderfolgende Äonen umfaßt. Und diese Immanentisierung löst sogar das Symbol des 'Himmels' auf, indem sie dem Mysterium der seligen Schau Gottes im Tod einen Paradiesesmaterialismus unterschiebt und dann gegen diese 'niedrige Vorstellung' die zeitliche Verwirklichung des ewigen Reiches als sein geistiges Verstehen fordert. In diesem vernichtenden Angriff auf die christliche Symbolik ist Collier wohl so weit gegangen, wie man überhaupt gehen kann, ohne sie ganz fallen zu lassen. Die antiphilosophische und antichristliche Propagandatechnik der aufgeklärten Intellektuellen, ein Jenseitssymbol nicht seinsanalogisch zu verstehen, sondern es buchstäblich, als direkte Aussage über ein finites Objekt mißzuverstehen, um dann den buchstäblichen Unsinn lächerlich zu machen, ist voll entwickelt. Die geschichtliche Linie ist vorgezeichnet, auf der gnostische Politik sich von christlicher Symbolsprache zur antichristlichen Symbolik des Marxismus bewegen wird. (Fs) (notabene)

39a Die Natur eines Dinges ist das, wodurch es in seinem Wesen eben dieses Ding ist und nicht ein anderes. Die Natur ist ex definitione unveränderlich. Die gnostischen Politiker jedoch wollen die Natur auf eine vorläufig nicht näher geklärte Weise verändern. Insofern die Absicht, das Unmögliche zu verwirklichen, zum Ziel politischer Aktion gemacht wird, kann das Programm nicht durchgeführt werden; insofern diese Absicht gefaßt wird, verrät sich der seelische Zustand der Menschen, die sie fassen, als ein pneumopathologischer. Das Wesen gnostischer Politik muß als eine Erkrankung des Geistes verstanden werden, als ein nosos im Sinne Platos und Schellings, eine Störung im Leben des Pneuma, zum Unterschied von Geisteskrank-heit im psychopathologischen Sinne. (Fs)

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