Autor: Sertillanges A. D. (Gilbert) Buch: Der heilige Thomas von Aquin Titel: Der heilige Summa von Aquin Stichwort: Thomas, Einfachheit, Unterscheidung, Sein, Wesen Kurzinhalt: distinctio realis, Sosein, Dasein; esse, existentia, 'hohe Wahrheit, 'Grundwahrheit der christlichen Philosphie' Textausschnitt: Fußnote zu 560:
Diese 'hohe Wahrheit', wie sie Thomas [C. G. I, 22] nennt, von der Seite Gottes genommen, schließt als offenbares Korrelat den gegensätzlichen Schluß in bezug auf die Geschöpfe ein. In jedem Geschöpf sind Sosein und Dasein unterschieden. Nach dem, was wir über den Gottesbeweis gesagt haben, braucht das kaum mehr betont zu werden. - Die Notwendigkeit, Gott anzunehmen, ruht in der Tat darauf, daß das den Gegenstand unserer Erfahrung bildende Sein sich selbst nicht genügt, daß es sich nicht durch sich selbst rechtfertigt, daß 'das, was es ist' - d. h. seine Wesenheit, sein So-Sein - in keiner Weise erfordert, daß es ist, und daß also sein tatsächliches Da-Sein einer ersten Ursache bedarf, einer Mitteilung dieser Ursache, d. h. also einer Zusammensetzung aus dem, was so mitgeteilt ist, und aus dem, dem es mitgeteilt ist. - Mit anderen Worten: Das, was also nicht erste Wirklichkeit ist, ist an sich bloß möglich; wenn ihm das Dasein verliehen wird, so empfängt es dasselbe als etwas, was ihm hinzugefügt wird. Nicht als ob wir aus Sosein und Dasein zwei Positivitäten machen wollten; aber es sind doch zwei verschiedene Dinge. Sie sind real verschieden, d. h. auf Grund einer wirklichen und tatsächlichen Zusammengesetztheit: nicht einer bloß gedachten Unterscheidung. Wenn man hier von einer bloß gedachten Unterscheidung sprechen wollte, so würde man damit behaupten, in der Wirklichkeit selbst ziehe das Sosein das Dasein nach sich; das Sosein existiere also durch sich selbst damit würde man es Gott entziehen; Gott würde überflüssig, insofern er die Ursache dafür ist, daß das, was ist, ist. Auf Grund dessen hat man sagen können, die reale Unterscheidung von Sosein und Dasein in den Geschöpfen und ihre Identität in Gott stelle die 'Grundwahrheit der christlichen Philosphie' dar.
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552 Zunächst folgt aus der Tatsache, daß Gott erstes Sein, erster Beweger, erste Ursache usw. ist, daß er vollkommen einfach ist. Es gibt in ihm keinerlei Zusammensetzung irgendwelcher Art: weder aus ausgedehnten Teilen wie bei den Körpern, noch aus Materie und Form, noch aus Träger und Wesenheit, noch aus Wesen und Dasein, noch aus Gattung und Artunterschied, noch aus Substanz und Akzi denz, noch aus irgend etwas anderm. Er ist einfach dadurch, daß er ganz er selbst durch sich allein ist und nicht mit irgend et was anderm zusammengezählt werden kann. (171; Fs)
553 Der Beweis für diese verschiedenen Sätze füllt die dritte quaestio der Summa. Daß Gott kein Körper ist, ist leicht einzu sehn. Kein Körper bewegt sich, ohne bewegt zu sein; wir haben aber Gott gefunden als den ersten unbewegten Beweger [erster Weg]. Mehr noch: Gott ist das erste Sein [vierter Weg]. Nun kann aber das erste Sein kein Körper sein, wie aus den Prinzipien her vorgeht, die wir, um Gott zu finden, angewandt haben. (171; Fs)
554 Überdies muß das erste Sein ganz 'Wirklichkeit' sein, denn dadurch allein ist es das Erste. Die Wirklichkeit geht der Möglichkeit voran [wie wir gesagt haben], denn nur durch eine vor hergehende Wirklichkeit läßt sich der Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit erklären [erster und zweiter Weg]. In unsern Gottesbeweisen haben wir also ein 'ganz in der Wirklichkeit Seiendes' bewiesen; es ist klar, daß ein derartiges Wesen kein Körper sein kann, weil dieser es mit dem Zusammenhängenden zu tun hat, das auf Grund seiner Definition unendlich teilbar, daher innerlichst mit 'Möglichkeit' vermischtest1. (172; Fs)
555 Ferner kann kein toter Körper an Wert dem lebendigen gleich kommen wollen; ein lebendiger Körper aber ist eben lebendig durch etwas, was ihm als Körper überlegen ist - wir nennen es seine Seele. Nun haben wir Gott gefunden als das höchste unter allen Wesen oder [besser gesagt] als das Wesen, das alle Werte des Seins gleichsam als Quelle in sich enthält [vierter Weg]; es ist also unmöglich, daß Gott ein Körper sei2. (172; Fs)
556 Hieraus folgt, daß er keine Materie in sich enthält; denn al les, was aus Materie und Form zusammengesetzt ist, ist ein Kör per, da ja die Ausdehnung, die das Kennzeichen der Körper ist, das erste Attribut der Materie darstellt3. Ferner ist die Materie in allen Dingen das Prinzip der 'Möglichkeit', und wir haben ge sagt, daß es in dem ersten Sein keine 'Möglichkeit' geben kann. (172; Fs)
557 Weiter: was aus Werden und Verwirklichung, aus Materie und Form zusammengesetzt ist, das ist vollkommen und gut durch seine Form, also nicht aus sich selbst und wesensmäßig, so wie wir es gefordert haben [vierter Weg], sondern nur kraft einer Teilnahme, das heißt, insofern seine Materie teil hat an einer bestimmten Form; das zwingt uns aber, ein höheres Prinzip für diese Teil nahme zu suchen, und es geht darum nicht an, ein so zusammenge setztes Sein als erste Ursache anzusehn. (172; Fs)
558 Da endlich die Tätigkeit zum Prinzip den Akt oder die Form hat, so muß auch derjenige, der aus sich selbst und wesensmäßig tätig ist [erster und zweiter Weg], aus sich selbst und wesens mäßig Akt und Form sein. Gott ist dies aber durch seine Wesenheit und nach seiner ganzen Wesenheit, sonst wäre er nicht der, den wir durch unsere Beweise gefunden haben4. (172; Fs)
559 Es folgt daraus unmittelbar, daß Gott - wenn man das Wort hier gebrauchen darf - ein 'Einzelwesen' auf Grund seiner Natur selbst und ohne irgendeine Zusammensetzung ist. Mit andern Worten: man kann nicht unterscheiden zwischen Gott und seiner Gottheit, zwischen Gott und dem Leben Gottes, noch irgend etwas ähnlichem. Die Vereinzelung geschieht, wie wir gesehn haben5, durch Aufnahme einer Form in eine Materie, und da eine derartige Zusammensetzung in Gott nicht angenommen werden darf, so folgt, daß Gott durch nichts anderes als seine Natur vereinzelt sein kann, wofern das Wort 'Natur' noch einen Sinn hat bei dem, der ganz 'Wirklichkeit' ist und infolgedessen jenseits der Scheidung des Seins in Naturen steht6. (173; Fs)
560 Weiterhin folgt, daß Gott und das Dasein Gottes sich vollkommen decken. Wenn man sie unterscheiden wollte, so müßte man Gott als ein Vermögen zum Sein auffassen und das Dasein als dessen Verwirklichung: es gäbe dann in Gott Möglichkeit und Wirklichkeit; er wäre also nur teilnehmendes Sein; er hätte eine Ursache und wäre nicht mehr erste Ursache [erster, zweiter und vierter Weg]7. (173; Fs)
561 Hieraus ergibt sich weiter, daß Gott keine Stelle in irgend einer Gattung einnehmen kann, und daß man ihn im eigentlichen Sinne weder als Substanz noch als Person, noch als mit Eigenschaften behaftet, noch als von Beziehungen betroffen bezeichnen kann, noch als irgend etwas, was ihn zu bestimmen beanspruchen könnte, so wie wir mit Hilfe der Kategorien die Gegenstände unserer Erfahrung bestimmen. (173; Fs)
562 Es kann ja etwas in zweifacher Weise zu einer Gattung gehö ren: einmal schlechthin und eigentlich, nämlich als Art, dann in folge einer Rückführung als Prinzip oder als entsprechendes Nega tiv einer Vollkommenheit: so lassen sich einerseits der Punkt und die Einheit auf die Gattung Quantität zurückführen als Prinzip der Linie und der Zahl, anderseits aber läßt sich auch die Blind heit und jedes andere Negativ auf die entsprechende positive Gattung zurückführen. (173; Fs)
563 Daß Gott kein Negativ ist, ist selbstverständlich. Eigentli ches Prinzip einer Gattung - wie die Einheit das Prinzip der Zahl ist - könnte er nur sein, wenn er in diese Gattung eingeschlossen wäre und damit aufhörte zu sein, was er ist.- das Prinzip des ganzen Seins [zweiter und vierter Weg]. Daß er nicht als Art einer Gattung in diese Gattung eintreten kann, ist leicht zu beweisen. jede Art wird begründet durch einen Artunterschied, der die Gattung näher bestimmt, und der also für sie das bedeutet, was der bestimmende Akt für die Unbestimmtheit der Potenz bedeutet. Nun gibt es aber in Gott keine Potenz. (173f; Fs)
564 Ferner ist die Gattung Teil der Wesenheit; die Wesenheit Got tes aber unterscheidet sich, wie gesagt, nicht von seinem Sein: es wäre also sein Sein Gattung für ihn, und wir wissen, daß das Sein keine Gattung ist, denn es gibt nichts außer ihm Seiendes, wodurch es näher bestimmt werden könnte. Überdies haben die Arten einer Gattung und die Einzelwesen dieser Arten untereinander die allgemeine Wesenheit, die sie verbindet, gemeinsam; aber sie un terscheiden sich durch ihr Dasein, und so gibt alles, was in einer Gattung oder einer Art ist, Anlaß zu jener Unterscheidung von Sosein und Dasein, die wir von Gott ausgeschlossen haben. (174; Fs)
565 Gott, der weder Gattung noch Artunterschiede hat, ist also undefinierbar, und was man von ihm aufzeigen kann, das kann man nur mittelbar - und von seinen Wirkungen aus - aufzeigen; denn wie sollte man etwas definieren, wenn nicht durch Gattung und Artunterschied, und woher sollte man die Bestandteile eines Be weises holen, wenn nicht aus einer definierten Wesenheit8? (174; Fs)
566 Gott ist nicht im eigentlichen Sinne eine Substanz, er ist ebensowenig eine 'Person', da das Wort Person nur ein besonderer Ausdruck für eine geistige Substanz bezeichnet. Wenn wir Gott Person nennen, so tun wir es, wie wir noch sehn werden, in analo ger Weise. Erst recht handeln wir so, wenn wir Gott nach den neun Arten der Akzidenzien bezeichnen, die unabhängig von der Substanz die Kategorien darstellen9. Es gibt kein 'zu-fäl-liges' Sein [Akzidenz] in Gott; was wir seine Weisheit, seine Macht, seine Erkenntnis usw. nennen, das ist nur analog gemeint. Das Akzidenz bestimmt ja die Substanz; es setzt sie also als bestimmbar vor aus, das heißt als in der Möglichkeit befindlich gegenüber dieser Bestimmung, und dem stehn immer wieder der erste und der zweite Weg entgegen. (174; Fs)
567 Überdies unterscheiden sich [wie gesagt] Gott und sein Sein nicht; positiv ausgedrückt heißt das: Gott ist sein Sein. Nun versteht man sehr wohl, daß das, was dieses oder jenes ist, durch etwas anderes bestimmt werden kann: zum Beispiel 'das Warme' kann gleichzeitig weiß sein. 'Die Wärme' aber kann eben nichts anderes als Wärme sein. So kann das, was sein Sein ist, in keiner Weise näher bestimmt werden: es ist in sich geschlossen, das Wort 'ist' kann nicht mehr in besonderer und unterschiedener Weise auf es angewandt werden. (174f; Fs)
568 Wenn Gott das erste Sein ist, kann ihm ferner alles nur durch sich zukommen. Wer aber Akzidenz sagt, der sagt Teilnahme, und wenn man selbst von Akzidenzien sprechen könnte, die Gott eigen wären, so würden diese zum wenigsten eine innere Ursächlichkeit einschließen, insofern von diesen Akzidenzien gesagt werden müßte, daß sie aus der Natur des Trägers Gott sich ergäben. Das kann aber der ersten Ursache [wie wir gesehn haben - vierter Weg] nicht zugeschrieben werden. (175; Fs)
569 Man kann übrigens ganz allgemein mit Hilfe der dargelegten Prinzipien beweisen, daß jede Zusammengesetztheit, welcher Art sie auch sei, von dem ersten Prinzip ausgeschlossen sein muß. Von jedem Zusammengesetzten und von jeder Art der Zusammensetzung gilt, daß das Zusammengesetzte später als seine Teile ist und so mit nicht das Erste sein kann; es gibt eine Ursache für die Vereinigung seiner Bestandteile, es ist also nicht erste Ursache; es gibt in ihm Bestimmendes und Bestimmtes, es ist also nicht ganz 'Wirklichkeit'; es gibt in ihm endlich etwas, was nicht es selbst oder ganz es selbst ist; es ist also nicht reine Form, das heißt Wirklichkeit und Sein im Zustand der Vollkommenheit10. (175; Fs)
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