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Autor: Spaemann, Robert

Buch: Das unsterbliche Gerücht

Titel: Das unsterbliche Gerücht

Stichwort: Gottesgerücht 03; Gott - Verborgenheit; Antinomie: mächtig - gut -> Gnostiker, Urschuld; Wille Gottes - List der Vernunft (Mephisto); Thomas: zwei Willen Gottes; Richtschnur d. Handelns (das sittlich Gebotene ... Beispiel: König, Frau)

Kurzinhalt: Der absolute Wille Gottes zeigt sich in dem, was geschieht. Er ist uns in seinem Grund verborgen und kann uns deshalb nicht zur Richtschnur des Handelns dienen. Es wäre sogar böse, schreibt Thomas, immer zu wollen, was Gott will. Richtschnur unseres ...

Textausschnitt: 19a
12. Warum ist Gott verborgen? Gegenfrage: Warum sollte er nicht verborgen sein? Warum müssen die Zuschauer von Platons Höhlenkino wissen, daß sie in einer Höhle sind und daß es ein Draußen gibt? Weil sie Menschen sind, zu denen es gehört, wissen zu wollen, »was in Wahrheit ist« (Hegel). Und weil sie eine Erfahrung von Unbedingtheit haben, die im Kontext des Films, den sie sehen, nicht verstehbar ist. Warum also ist dann Gott verborgen? Mit der absurden Konsequenz - absurd, wenn Gott ist -, daß das Dasein Gottes den Status einer kontroversen Hypothese hat? Die Gnostiker lösten das Problem, indem sie die beiden antinomischen Prädikate auf zwei Träger verteilten, einen bösen Schöpfer beziehungsweise Demiurgen und Fürsten dieser Welt und den »ganz Anderen«, den Gott des Lichtes, das von ferne leuchtet. Dies ist der Verzicht auf das, was das Gerücht sagt. Die andere Antwort erzählt die Geschichte von einer unvordenklichen Schuld, die das Mächtige und das Gute trennte und deren anfängliche Einheit ins Verborgene geraten ließ, dorthin, wo wir nicht sind, in den »Himmel«. (Fs)

13. Aber gehört es nicht zum Begriff Gottes, daß sein Wille immer geschieht? Ja, aber nicht wie im Himmel, so auf Erden, das heißt so, daß menschlicher Wille und göttlicher Wille im Einklang sind, sondern als »List der Vernunft«, die sich gegen die Absicht der Handelnden durch ihr Handeln vollzieht. Mephisto weiß sich als »Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft«. In die gleiche Richtung weist das Wort: »Der Menschensohn muß zwar verraten werden, aber wehe dem Menschen, durch den er verraten wird.« Die Ambivalenz im Begriff eines göttlichen Willens, die in der Spannung von Geschichtsphilosophie und Moralphilosophie bei Kant und bei Hegel ihren letzten Ausdruck fand, ist am präzisesten gefaßt in der Lehre von den zwei Willen Gottes bei Thomas von Aquin. Der absolute Wille Gottes zeigt sich in dem, was geschieht. Er ist uns in seinem Grund verborgen und kann uns deshalb nicht zur Richtschnur des Handelns dienen. Es wäre sogar böse, schreibt Thomas, immer zu wollen, was Gott will. Richtschnur unseres Handelns ist das, wovon Gott will, daß wir es wollen. Und das können wir wissen. Es ist das sittlich Gebotene, über das uns Vernunft und Offenbarung belehren. Es ist im übrigen nicht für alle Menschen dasselbe. Thomas’ Beispiel ist der König, der die Pflicht hat, nach einem Verbrecher fahnden zu lassen, und die Frau des Verbrechers, deren Pflicht es ist, ihren Mann zu verstecken. Keiner von beiden darf dem anderen die Erfüllung seiner Pflicht zum Vorwurf machen, und jeder muß den Willen Gottes in dem verehren, was dann wirklich geschieht. Denn, wie Martin Luther es formuliert: »Es ist das gewiß Zeichen eines bösen Willens, daß er nicht leiden kann seine Verhinderung.« Aktivität und Resignation gehen hier Hand in Hand und spiegeln die Ambivalenz im Begriff eines Willens Gottes, die doch nur deshalb existiert, weil die kreatürlichen Willen nicht a priori mit dem übereinstimmen, »wovon Gott will, daß wir es wollen«. (Fs; tblStw: Wille) (Fs) (notabene)
Kommentar (11.11.2014), zu oben, vgl. S. th. I—II, q. 19, a. 10
Spaemann, RationalityFaith, 625b f.

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