Autor: Voegelin, Eric Buch: Die neue Wissenschaft der Politik Titel: Die neue Wissenschaft der Politik Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 7; Celsus (Verteidigung d. Polytheismus); De-Divinisation der Welt (revolutionäre Substanz): Ende einer geschichtlichen Epoche Kurzinhalt: Da die Regionen der Erde von Anbeginn verschiedenen herrschenden Geistern und überwachenden Mächten zugewiesen worden seien, sei der religiöse Aufruhr zugleich eine politische Revolte. Wer den nationalen Kult zerstören wolle, plane auch die Zerstörung ... Textausschnitt: 7 Celsus über den revolutionären Charakter des Christentums
143a Die Probleme der Reichstheologie konnten jedoch nicht durch einen linguistischen Kompromiß gelöst werden. Die Christen wurden mit gutem Grund verfolgt; denn im Christentum war eine revolutionäre Substanz enthalten, die es mit dem Heidentum unvereinbar machte. Die neue Allianz mußte die soziale Wirksamkeit dieser revolutionären Substanz fördern. Was das Christentum so gefährlich machte, war seine kompromißlose, radikale De-Divinisation der Welt. Das Problem ist vielleicht am deutlichsten von Celsus formuliert worden in seinem Alethes Logos (ca. 180 n. Chr.), der kompetentesten Kritik des Christentums von heidnischer Seite. Die Christen, so klagte er, verwerfen den Polytheismus mit der Begründung, man könne nicht zwei Herren dienen.1 Dies sah Celsus als die "Sprache der Revolte (stasis)" an.2 Er gab zu, daß unter Menschen diese Regel gelte. Aber Gott könne nichts entzogen werden, wenn man seiner Göttlichkeit in den vielen Erscheinungsformen seines Reiches diene. Im Gegenteil ehren wir den Allerhöchsten und sind ihm wohlgefällig, wenn wir viele von denen ehren, die ihm angehören.3 Suchen wir dagegen einen Gott heraus und ehren ihn allein, so führen wir Klüngelbildung in das Gottesreich ein.4 Eine solche Haltung werde nur von Menschen eingenommen, die außerhalb der menschlichen Gesellschaft stehen und ihre sie isolierenden Leidenschaften auf Gott übertragen.5 Die Christen seien daher Unruhestifter im Bereich von Religion und Metaphysik, sie seien ein Aufruhr gegen die Gottheit, welche die ganze Welt bis in all ihre Verästelungen harmonisch beseele. Da die Regionen der Erde von Anbeginn verschiedenen herrschenden Geistern und überwachenden Mächten zugewiesen worden seien,6 sei der religiöse Aufruhr zugleich eine politische Revolte. Wer den nationalen Kult zerstören wolle, plane auch die Zerstörung der nationalen Kulturen.7 Und da sie alle im Imperium ihren Platz gefunden hätten, sei der Angriff der radikalen Monotheisten auf die Kulte ein Angriff auf das Gefüge des Imperium Romanum. Nicht, daß es etwa nicht wünschenswert sei, sogar nach Meinung des Celsus, wenn Asiaten, Europäer, Libyer, Hellenen und Barbaren sich auf einen einzigen nomos einigen, aber, so fügt er geringschätzig hinzu - "wer dies für möglich hält, weiß nichts".8 Die Antwort des Origines in seinem Contra Celsum war, daß dies nicht nur möglich sei, sondern sicherlich geschehen werde.9 Celsus, so darf man wohl sagen, sah die Implikationen des Christentums sogar noch klarer als Cicero die der griechischen Philosophie. Er erfaßte das existentielle Problem des Polytheismus, und er wußte, daß die christliche De-Divinisation der Welt das Ende einer geschichtlichen Epoche brachte und die ethnischen Kulturen des Zeitalters radikal umwandeln würde. (Fs) (notabene) ____________________________
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