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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 3; Augustinus, Civitas Dei; Altar der Victoria; Ambrosius (Theokratie)

Kurzinhalt: "Während alle Menschen, die der römischen Herrschaft unterstehen, Euch Kaisern und Fürsten der Welt dienen (militare), dient (militare) Ihr Eurerseits dem allmächtigen Gott und dem heiligen Glauben."

Textausschnitt: 3 Die politische Funktion der Civitas Dei

120a Die Klassifizierungen entstanden im Laufe des Kampfes um die Repräsentation; sie waren geladen mit den Spannungen von innerer Unsicherheit und Widerstand. Die Analyse dieser Spannungen wird zweckmäßig mit einer Kuriosität der Civitas Dei beginnen. Das Werk war, was seine politische Funktion betrifft, ein livre de circonstance. Die Eroberung Roms durch Alarich 410 n. Chr. hatte die heidnische Bevölkerung des Reiches aufgewühlt, die den Fall Roms als Strafe der Götter für die Vernachlässigung ihres Kultes ansah. Die gefährliche Welle der Empörung schien eine umfassende Kritik und Widerlegung der heidnischen Theologie im allgemeinen und ihrer Argumente gegen das Christentum im besonderen zu erfordern. Die augustinische Lösung dieser Aufgabe war sonderbar, insofern sie die Gestalt eines kritischen Angriffs auf Varros Antiquitates annahm, eines Werkes, das nahezu fünf Jahrhunderte früher verfaßt worden war, um die schwindende Begeisterung der Römer für ihre zivile Religion neu zu beleben. Die Begeisterung war seit Varro nicht merklich gewachsen; und von der nicht-römischen Bevölkerung konnte man kaum größeren Eifer als von den Römern selbst erwarten. Zur Zeit des Augustinus zählte die heidnische Reichsbevölkerung in ihrer Mehrheit zu den Anhängern der Mysterien von Eleusis, der Isis, des Attis und des Mithras und nicht der kultischen Gottheiten des republikanischen Rom; und dennoch erwähnte er die Mysterien nur flüchtig, während er die theologia civilis der eingehenden Kritik im VI. und VII. Buch unterzog. (Fs)

120b Die Antwort auf diese Kuriosität ist nicht in einer Statistik der Religionszugehörigkeit zu finden; sie muß vielmehr im Problem der öffentlichen Repräsentation der transzendenten Wahrheit gesucht werden. Die Loyalisten der römischen Zivilreligion waren in der Tat nur eine kleine Gruppe, aber der römische Kult war bis weit in die Hälfte des vierten Jahrhunderts hinein der Staatskult des Reiches geblieben. Weder Konstantin noch seine christlichen Nachfolger hatten es für ratsam gehalten, ihre Funktion des pontifex maximus von Rom aufzugeben. Zwar kam es unter den Söhnen Konstantins zu schweren Eingriffen in die Freiheit der heidnischen Kulte, doch der große Schlag fiel erst unter Theodosius mit dem berühmten Gesetz von 380, welches das orthodoxe Christentum zum obligatorischen Glauben für alle Untertanen des Reiches machte, alle Andersgläubigen als töricht und geistesgestört brandmarkte und ihnen mit dem ewigen Zorn Gottes wie auch der Strafe des Kaisers drohte.1 Bis zu diesem Zeitpunkt war die kaiserliche Gesetzgebung in religiösen Angelegenheiten, wie es in der vorherrschend heidnischen Gesellschaft nicht anders zu erwarten war, nicht sehr energisch durchgesetzt worden; und nach der Zahl der sich immer wiederholenden Gesetze zu schließen, kann die Durchsetzung auch nach 380 nicht allzu wirksam gewesen sein. Jedenfalls, in Rom selbst wurden die Gesetze ignoriert und der offizielle Kult war heidnisch geblieben. Nun wurde jedoch der Angriff ernsthaft auf dieses empfindliche Zentrum konzentriert. 382 gab Grabanus, der Kaiser des Westreiches, seinen Titel pontifex maximus auf und lehnte dadurch die Verantwortung der Regierung für die Opferhandlungen Roms ab; gleichzeitig wurde die finanzielle Förderung des Kultes eingestellt, so daß die kostspieligen Opfer und Feste nicht länger fortgesetzt werden konnten. Die einschneidendste Maßnahme aber war die Entfernung von Bild und Altar der Victoria aus dem Versammlungsraum des Senats. Die Götter Roms waren nicht mehr in der Hauptstadt des Reiches repräsentiert.'' (Fs)

122a Es war tief befriedigend, vom heidnischen Standpunkt, daß Gratianus 383 ermordet und die Stadt vom Gegenkaiser Maximus bedroht wurde, und daß zudem eine schlechte Ernte eine Hungersnot hervorrief. Offensichtlich zeigten die Götter ihren Zorn, und die Zeit schien günstig für die Forderung an den jungen Kaiser Valentinian II., die Maßnahmen gegen den römischen Kult rückgängig zu machen, besonders aber den Altar der Victoria wieder aufzustellen. Die Bittschrift der heidnischen Partei im Senat wurde dem Kaiser 384 durch Symmachus überreicht. Bedauerlicherweise fiel jedoch die Ernte des Jahre 384 hervorragend aus, und das lieferte Ambrosius, der die christliche Seite vertrat, ein billiges Argument.2 (Fs)

122b Die Denkschrift des Symmachus war ein edles Plädoyer für die römische Tradition, die auf dem alten Prinzip des do ut des beruhte. Mißachtung des Kultes führe zur Katastrophe; vor allem Victoria habe dem Imperium Segen gebracht und dürfe nicht mißachtet werden,3 und dann tritt der Autor mit einem Anflug von Toleranz dafür ein, daß es jedermann gestattet sein solle, die eine Gottheit auf seine Weise zu verehren.4 Ambrosius konnte, wie schon angedeutet, in seiner Antwort leicht das do ut des Prinzip widerlegen;5 und es fiel ihm auch nicht schwer zu zeigen, daß die edle Toleranz des Symmachus nicht ganz so eindrucksvoll war, wenn man bedachte, daß sie in der Praxis für christliche Senatoren den Zwang bedeutete, sich an den Opfern für Victoria zu beteiligen.'6 Das entscheidende Argument war jedoch in dem Satz enthalten, der das Repräsentationsprinzip formulierte: "Während alle Menschen, die der römischen Herrschaft unterstehen, Euch Kaisern und Fürsten der Welt dienen (militare), dient (militare) Ihr Eurerseits dem allmächtigen Gott und dem heiligen Glauben."7 Das klingt beinahe wie der mongolische Auftrag Gottes, der in dem vorigen Kapitel behandelt wurde, ist aber in Wirklichkeit dessen Umkehrung. Die Formulierung des Ambrosius rechtfertigt die imperiale Monarchie nicht durch einen Hinweis auf die monarchische Herrschaft Gottes - obwohl auch dieses Problem im römischen Reich akut wurde, wie wir bald sehen werden. Ambrosius spricht überhaupt nicht von Herrschaft, sondern von Dienst. Die Untertanen dienen den Fürsten auf Erden als ihren existentiellen Repräsentanten, und Ambrosius hatte keine Illusionen über die Quelle der kaiserlichen Position: Die Legionen schaffen Victoria, bemerkte er verächtlich, und nicht Victoria das Reich.8 Die politische Gesellschaft in historischer Existenz beginnt die Farbe der Temporalität im Gegensatz zur geistlichen Ordnung anzunehmen. Über dieser temporalen Sphäre des Dienstes der Untertanen steht dann der Kaiser, der Gott allein dient. Der Appell des Ambrosius richtet sich nicht an den imperialen Herrscher, sondern an den Christen, der zufällig Träger dieses Amtes ist. Der christliche Herrscher wird ermahnt, nicht Unwissenheit vorzugeben und die Dinge treiben zu lassen; wenn er seinen Glaubenseifer nicht positiv bekunde, wie er es sollte, so möge er wenigstens dem Götzendienst und den heidnischen Kulten seine Zustimmung versagen.9 Ein christlicher Kaiser wisse, daß er nur dem Altar Christi Ehre erweisen solle, und "die Stimme unseres Kaisers sei das Echo Christi".10 In kaum verhüllter Sprache droht der Bischof dem Kaiser mit Exkommunikation, falls er der Bittschrift des Senats stattgeben sollte.11 Die Wahrheit Christi könne nicht durch das Imperium mundi repräsentiert werden, sondern nur durch den Dienst an Gott. (Fs) (notabene)

124a Das sind die Anfänge einer theokratischen Herrschaftsauffassung im strengen Sinne, wobei unter Theokratie nicht eine Priesterherrschaft zu verstehen ist, sondern die Anerkennung der Wahrheit Gottes durch den Herrscher.12 Diese Auffassung kam in der nächsten Generation im augustinischen Bild des Imperator felix in Civitas Dei, V, 24-26 zur vollen Entfaltung. Das Glück des Kaisers lasse sich nicht nach den äußeren Erfolgen seiner Herrschaft beurteilen (Augustinus wies insbesondere auf die Erfolge heidnischer und auf das Mißgeschick und gewaltsame Ende einiger christlicher Herrscher hin), das wahre Glück des Kaisers lasse sich nur nach seinem Verhalten als Christ auf dem Throne beurteilen. Die Kapitel über den imperator felix sind der erste "Fürstenspiegel". Sie stehen am Beginn dieser mittelalterlichen Literaturgattung und haben, seitdem Karl der Große sie zu seinem Leitfaden gemacht hat, einen unabschätzbaren Einfluß auf die Idee und Praxis westliclhen Herrschertunis ausgeübt. (Fs) (notabene)

125a In der Streitfrage um den Altar der Victoria trug Ambrosius den Sieg davon. In den folgenden Jahren verschärfte sich die Situation noch mehr. 391 verbot ein Gesetz des Theodosius alle heidnischen Zeremonien in der Stadt Rom.13 Ein Gesetz seiner Söhne schaffte im Jahre 396 die letzten Privilegien heidnischer Priester und Hierophanten ab.14 Durch ein 407 für Italien erlassenes Gesetz wurden alle Zuwendungen für epula sacra und rituelle Spiele unterbunden, die Entfernung der Standbilder aus den Tempeln, die Zerstörung von Altären und Rückgabe der Tempel ad usum publicum angeordnet.15 Als 410 Rom in die Hände der gotischen Angreifer fiel, hatte der altrömische Kult in der Tat ein aktuelles Anliegen für die Opfer der jüngst erlassenen heidenfeindlichen Gesetzgebung, und der Fall der Stadt konnte sehr wohl propagandistisch gedeutet Nverden als die Rache der Götter für die der Zivilreligion Roms angetane Schmach. (Fs) (notabene)

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