Autor: Balthasar, Hans Urs von Buch: Theologie der Geschichte Titel: Theologie der Geschichte Stichwort: Wesen und Geschichte 2; Problem d. Gesamtdeutung d. Geschichte.; Dialektik: je-Einmaligkeit - Wesen; "demokratische" Schicksalsgemeinschaft aller Menschen; Kommunikation und Kommunion aller freien Personen von identischer metaphysischer Wesenheit; Adam Kurzinhalt: ... philosophisch unmöglich, daß eine menschliche Person, die als solche nichts anderes ist als ein Exemplar der menschlichen Gattung oder Art ... zum schlechthin beherrschenden, und damit grundsätzlich überragenden Zentrum aller Personen und ... Textausschnitt: 11a Wer das Geschichtliche in seiner Gesamtheit zu deuten unternimmt, muß, wenn er nicht in einen gnostischen Mythos fallen will, ein in ihr wirkendes und sich offenbarendes Gesamtsubjekt ansetzen, das zugleich eine allgemein normgebende Wesenheit ist. Eine solche kann nur entweder Gott selber sein, aber der bedarf keiner Geschichte, um sich zu sich selbst zu vermitteln, oder der Mensch, aber dieser ist, als freies, handelndes Subjekt je dieser Einzelne, der offenkundig die Geschichte im ganzen nicht überherrschen kann. Zwar gibt es die Dialektik des menschlichen Wesens zwischen der je-Einmaligkeit jeder konkreten Menschperson und der Allgemeinheit seiner Menschwesenheit, eine Dialektik, die deshalb so verwirrend ist, weil es zur Wesenheit gehört, sich nicht anders als in je-Einmaligkeit [eg: sic] zu verwirklichen und anders auch nicht denkbar zu sein, so daß nichts von der Einmaligkeit der geschichtlichen Einzelperson grundsätzlich außerhalb der Wesenheit, ontologisch betrachtet, fiele (daß durch die weiten und ungenauen Maschen einer logischen Wesensdefinition manches hindurchfallen kann, gehört zu deren Struktur). Diese Dialektik hat noch Thomas von Aquin veranlaßt, von einer individuatio ratione materiae zu sprechen, die Schwierigkeit innerhalb der Wesensstruktur allein aufzulösen1; jedenfalls führt sie, auf die Geschichte hin betrachtet, zum höchst geheimnisvollen Begriff einer Kommunikation und Kommunion aller freien Personen von identischer metaphysischer Wesenheit innerhalb der Wesenheit, so, daß diese, wenn sie als geschichtlich verwirklicht vorgestellt wird, sich in einer Schicksalsgemeinschaft der sie bildenden Personen ausfalten muß. (Fs)
12a Eine solche Schicksalsgemeinschaft von im Wesen kommunizierenden freien Personen aber kann, wenigstens philosophisch, niemals anders als «demokratisch» gedacht werden. Jede Person hat am metaphysischen Menschenwesen den genau gleichen Anteil (auch der Verblödete, auch das vorzeitig verstorbene Kind), wenngleich die Entfaltungsbreite eine sehr verschiedene sein kann. Philosophisch läßt sich allenfalls feststellen, daß der Einzelne in seiner persönlichen Vernunft und Freiheit in einer Solidarität mit allen Menschen stehen muß, daß seine Entscheidungen somit für die Gesamtheit nicht ohne Widerhall sind, daß aber kein Einzelner sich über die andern beherrschend erheben könnte, ohne deren Menschsein metaphysisch zu gefährden und seiner Würde zu entthronen. Man dürfte deshalb schwerlich der Meinung sein können, daß die relative Eminenz Adams über alle seine Nachkommen und das damit gegebene Dogma der Erbsünde etwa schon der spekulativen Vernunft zugänglich und auffindbar sei. Diese könnte höchstens bis zu der unvollkommenen Auslegung gelangen, bei der manche protestantische Denker mit Vorliebe stehenbleiben (Kierkegaard, Emil Brunner): jeder Mensch ist Adam, jeder hat gleichviel Anteil am ursprünglichen Abfall von Gott und an der gemeinsamen Schuld. Es ist aber philosophisch unmöglich, daß eine menschliche Person, die als solche nichts anderes ist als ein Exemplar der menschlichen Gattung oder Art (wobei es zur Würde dieser Art gehört, daß alle ihre Exemplare einmalige Personen sind) zum schlechthin beherrschenden, und damit grundsätzlich überragenden Zentrum aller Personen und ihrer Geschichte erhoben zu werden und gar sich selber dazu zu erheben vermag. So kann von der tieferen Reflexion zwar der negative, der Schuldaspekt kraft der Verflechtung von personalen und sozialen Faktoren gesehen, der positive Aspekt der Erlösung des Gesamtgeschlechtes aber nur so einer Einzelperson (als Religionsstifter und «Erlöser») zugetraut werden, daß diese die religiöse Genialität besitzt, erstmals einen grundsätzlich allgemeinen und für alle beschreitbaren «Pfad der Erlösung» erspürt und aufgewiesen zu haben. Ein solcher Weg darf nur in einem äußerlichen Sinn geschichtlich sein, [eg: vonseiten einer Philosophie] er muß, wenn er wirklich für Alle Geltung besitzen soll, als allgemeiner und gültiger Weg in der Wesenheit wurzeln: des Menschen, des Schicksals, des Kosmos im ganzen. (Fs) ____________________________
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