Autor: Ratzinger, Joseph Buch: Prinzipien christlicher Moral Titel: Prinzipien christlicher Moral Stichwort: Glaube - Moral - Lehramt; Zusammenhang: Praxis d. Glaubens - Wahrheit d. G.; Glaube: Einschluss von sittlichen Grundentscheidungen; Glaube - Vernunft Kurzinhalt: Glaube - Moral - Lehramt; Zusammenhang: Praxis d. Glaubens - Wahrheit d. G.; Glaube: Einschluss von sittlichen Grundentscheidungen Textausschnitt: 63a Damit schließt sich der Ring unserer Überlegungen zum Anfang zurück. Zum christlichen Glauben gehört in der Tat die Praxis des Glaubens; Orthodoxie ohne Orthopraxie verliert das Zentrum des Christlichen: die aus der Gnade kommende Liebe. Damit ist aber zugleich auch gesagt, daß die christliche Praxis aus der Mitte des christlichen Glaubens gespeist wird: aus der in Christus erschienenen, im Sakrament der Kirche zugeeigneten Gnade. Die Praxis des Glaubens hängt an der Wahrheit des Glaubens, in der die Wahrheit des Menschen durch die Wahrheit Gottes sichtbar gemacht und auf eine neue Stufe gehoben wird. Sie widerspricht daher von Grund auf einer Praxis, die zuerst Tatsachen schaffen und dadurch Wahrheit herstellen will: Gegen diese totale Manipulierbarkeit des Wirklichen verteidigt sie die Schöpfung vom Schöpfer her. Die Grundwerte des Menschen, um die sie im Blick auf das Beispiel Jesu Christi weiß, sind für sie jeder Manipulation entzogen. Sie schützt den Menschen, indem sie die Schöpfung schützt - dieses Gegenwärtighalten apostolischer Lehre ist ein unumstößlicher Auftrag der Nachfolger der Apostel. Weil die Gnade auf die Schöpfung und auf den Schöpfer bezogen ist, darum hat die apostolische Mahnung (als Fortsetzung der alttestamentlichen Weisung) mit der Vernunft zu tun. Sowohl die Flucht in die pure Orthopraxie wie auch die Abdrängung der inhaltlichen Moral aus dem Bereich des Glaubens (und des dem Glauben zugehörigen Lehramtes) bedeutet in der Sache, dem ersten Anschein zum Trotz, eine Verketzerung der Vernunft: Im einen Fall wird ihr die Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis überhaupt bestritten und der Verzicht auf die Wahrheit zur Methode erhoben; im anderen Fall wird der Glaube aus dem Raum der Vernunft herausgezogen und das Vernünftige nicht als möglicher Inhalt auch der Welt des Glaubens zugelassen. Damit ist entweder der Glaube für unvernünftig oder die Vernunft für ungläubig erklärt oder beides zusammen. Zugleich wird einerseits der Vernunft je in ihrer Zeit eine Eindeutigkeit zugesprochen, die sie rein aus sich nicht hat und andererseits ihre Aussage mit dem Zeitgemäßen so verkoppelt, daß die Wahrheit hinter der Zeit verschwindet und für jede Zeit etwas anderes vernünftig ist, womit man im Grunde von der anderen Seite her bei den Optionen der puren Herrschaft der praktischen Vernunft endet. Der Glaube der Apostel, wie er etwa in Röm 1 und 2 hervortritt, denkt größer von der Vernunft. Er ist überzeugt, daß die Vernunft wahrheitsfähig ist und daß der Glaube daher sich nicht außerhalb der Überlieferung der Vernunft erbauen muß, sondern seine Sprache in Kommunikation mit der Vernunft der Völker, in Aufnahme und Widerspruch findet. Das bedeutet, daß sowohl der Prozeß der Assimilation wie der Prozeß der Negation und der Kritik von den Grundentscheiden des Glaubens her fortgehen muß und in den letzteren seine festen Bezugspunkte hat. Die Wahrheitsfähigkeit der Vernunft bedeutet zugleich die inhaltliche Konstanz der Wahrheit, die mit der Konstanz des Glaubens übereinkommt. (Fs; tblStw: Glaube) |