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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Prinzipien christlicher Moral

Titel: Prinzipien christlicher Moral

Stichwort: Zueinander: Glaube - Ethos, Moral (Beispiel 3: apostolische Mahnung, Paulus); Zusammenhang: Glaube - apostolische Ermahnung; "Vernunft der Zeit" - Wirrwarr gegenläufiger Positionen; Versagen im Gottesbegriff -> sittliches Versagen (Römerbrief)

Kurzinhalt: Die wirkliche Sicht des Apostels Paulus kommt vielleicht am deutlichsten im ersten Kapitel des Römerbriefs zum Vorschein, wo genau jene Verknüpfung des Sittlichen mit dem Gottesbegriff wiederholt wird, die wir vorhin für das Alte Testament ...

Textausschnitt: c) Die apostolische Mahnung

56a Damit aber stehen Ignatius und die ihm folgende frühchristliche Theologie streng auf dem Boden der apostolischen Predigt, die nun noch als drittes Beispiel genannt werden soll. Der enge Zusammenhang zwischen Glaube und «Nachahmung» des Apostels, die in der «Nachahmung» Jesu Christi geschieht, ist gerade für die paulinische Verkündigung charakteristisch. Besonders präzis formuliert hier der erste Thessalonicherbrief: «... Wie ihr es überliefert erhalten habt, ... so wandelt auch ... ihr wißt, welche Gebote ich euch durch den Herrn Jesus gegeben habe» (1 Thess 4, iff.). Der «Wandel» gehört zur Überlieferung, seine Weisung stammt nicht von irgendwo, sondern vom Herrn Jesus; die folgenden Ausführungen sind locker an den Dekalog angelehnt und spezifizieren ihn christlich auf die besondere Situation der Thessalonicher hin. Nun könnte dagegen eingewandt werden, hier gehe es in der Hauptsache doch nur um die formale Intention auf das «Gute», die zweifellos für das Christentum charakteristisch sei. Aber die inhaltliche Frage, worin dieses Gute bestehe, die werde eben nicht aus innertheologischen Quellen, sondern jeweils von der Vernunft und von der Zeit entschieden. Und man kann dann scheinbar auf einen Text wie Phil 4, 8 verweisen, der dies zu bestätigen scheint: «Im übrigen, Brüder, was wahr ist, was ehrbar, was gerecht, was rein, was liebenswert, was ansprechend, was es an Tugend und löblichen Dingen gibt, darauf richtet eure Gedanken.» Hier handle es sich um Begriffe der Popularphilosophie, in denen ganz deutlich eben die geltenden Maßstäbe des Guten auch den Christen als ihre Maßstäbe dargeboten würden. Nun könnte man dem sofort entgegenhalten, daß der Text fortfährt: «Und was ihr von mir gelernt und empfangen und gehört und gesehen habt, das tut» (4, 9); man könnte darauf verweisen, daß hier letzten Endes 2,5 ausgelegt wird: «Seid so gesinnt wie Christus Jesus es war» - womit wieder die Verknüpfung von Gesinnung Jesu als inhaltlichem Maßstab und christlicher Existenz gegeben ist, auf die wir bei Ignatius gestoßen waren. (Fs)

58a Man muß aber historisch und sachlich doch wohl noch ein Stück tiefer vorstoßen. Es ist zweifellos richtig, daß Paulus hier wie auch sonst auf die sittliche Erkenntnis verweist, die das Gewissen unter Heiden geweckt hat und daß er diese Erkenntnis gemäß den in Röm 2,15 entwickelten Grundsätzen mit dem wahren Gesetz Gottes identifiziert. Aber das bedeutet nicht, daß hier das Kerygma zu einem inhaltlosen Verweis auf das jeweils von der Vernunft für gut Gehaltene zusammenschrumpft. Dagegen steht zweierlei: einmal dies, daß es diese «Vernunft der Zeit» historisch gar nicht gegeben hat und nie geben wird. Was Paulus vorfand, war ja nicht ein bestimmter «Forschungsstand» über das Gute, den er schlicht übernehmen konnte, sondern ein Wirrwarr gegenläufiger Positionen, in dem Epikur und Seneca nur zwei Beispiele für die Spannweite des Gegebenen sind. Hier war nicht durch Übernahme, sondern nur durch entschieden kritische Sonderung weiterzukommen, in der der christliche Glaube am Maßstab der alttestamentlichen Überlieferung und konkret von der «Gesinnung Jesu Christi» her seine neuen Entscheidungen formte, die von außen als «Verschwörung» verurteilt, von innen her nur um so entschiedener als das wahrhaft «Gute» durchgehalten wurden. Zum anderen steht gegen die erwähnte Vorstellung, daß für Paulus Gewissen und Vernunft nicht variable Größen sind, die heute so und morgen anders sagen; das Gewissen erweist sich als das, was es ist, gerade dadurch, daß es das Gleiche sagt, was Gott im Bundeswort den Juden gesagt hat; als Gewissen deckt es das Bleibende auf und führt so notwendig zur Gesinnung Jesu Christi hin. Die wirkliche Sicht des Apostels Paulus kommt vielleicht am deutlichsten im ersten Kapitel des Römerbriefs zum Vorschein, wo genau jene Verknüpfung des Sittlichen mit dem Gottesbegriff wiederholt wird, die wir vorhin für das Alte Testament charakteristisch fanden: Das Versagen im Gottesbegriff treibt das sittliche Versagen der Heidenwelt hervor; die Zukehr zu Gott in Jesus Christus ist mit der Zukehr zum Weg Jesu Christi identisch. Das gleiche hatte Paulus zuvor schon in 1 Thess ausgeführt: Die Unheiligkeit der Heiden hängt damit zusammen, daß sie Gott nicht kennen; der Wille Gottes ist «Heiligung», die gerade in der Botschaft der Gnade sittlich verstanden wird. Wer die paulinischen Briefe genau liest, wird unschwer sehen, daß die apostolische Paraklese nicht ein moralisierender Anhang ist, dessen Inhalte auch ausgetauscht werden könnten, sondern konkrete Benennung dessen, was Glauben heißt und daher mit dem Zentrum unlöslich verbunden. Der Apostel folgt darin in der Tat nur dem Muster Jesu, der in den Einlaß- und Ausschließungssprüchen zur Königsherrschaft Gottes dieses zentrale Thema seiner Predigt unlöslich mit den sittlichen Grundentscheidungen verknüpft hatte, die aus dem Gottesbild folgen und ihm zuinnerst zugehören1. (Fs)

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