Datenbank/Lektüre


Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Prinzipien christlicher Moral

Titel: Prinzipien christlicher Moral

Stichwort: Zueinander: Glaube - Ethos, Moral (Beispiel 1: Dekalog); Selbstoffenbarung Gottes (Exodus3) - Dekalog (d. zugleich Gott bestimmt); der Begriff d. Heiligen verschmilzt mit dem Sittlichen

Kurzinhalt: ... indem Jahwe sein Besonderes, sein Ganz-Anders gerade in den Zehn Worten darstellt, wird sichtbar ... , daß das Ganz-Anders Jahwes, seine Heiligkeit, eine sittliche Größe ist, deren Entsprechung im sittlichen Tun des Menschen gemäß dem Zehnerwort ...

Textausschnitt: Drei Beispiele für das Zueinander von Glaube und Ethos

a) Der Dekalog

50a Mit diesen Aussagen sind wir nun bereits in die sachliche Diskussion hineingeführt, die hier nur an drei charakteristischen Beispielen etwas verdeutlicht werden soll. Werfen wir als erstes einen Blick auf den Dekalog (Ex 20, 1-17; Dt 5, 6-21) als eine der zentralen Formulierungen des Willens Jahwes mit Israel, an der sich das Ethos in Israel und in der Kirche immer neu geformt hat. Zweifellos kann man zeigen, daß es dafür Vorbilder sowohl in den ägyptischen Verzeichnissen von Vergehen gibt, die nicht begangen werden dürfen wie in den Befragungskatalogen des babylonischen Exorzismus. Auch die einleitende Formel «Ich bin der Herr, dein Gott» ist nicht gänzlich neu. Und dennoch gibt sie den «Zehn Worten» ein neues Gesicht: Sie werden an den Gottesglauben Israels, an den Bundesgott und seinen Bundeswillen gebunden. Die «Zehn Worte» zeigen, was es inhaltlich heißt, an Jahwe zu glauben, den Bund mit Jahwe anzunehmen. Sie definieren damit zugleich die Gestalt Gottes selbst, deren Wesen sich in ihrem Willen zeigt. Das verbindet den Dekalog mit der grundlegenden Selbstoffenbarung Gottes in Exodus 3, denn auch dort ist die Selbstdarstellung Gottes konkretisiert in der Darstellung seines sittlichen Wollens: Er hat das Stöhnen der Bedrückten gehört und ist gekommen, sie zu befreien. Die Einleitung des Dekalogs knüpft sowohl in der Fassung von Exodus 20 wie in der Wiedergabe des Deuteronomiums an diesen Beginn an: Jahwe stellt sich vor als der Gott, der Israel aus Ägypten, dem Haus der Knechtschaft, herausgeführt hat. Das bedeutet: Der Dekalog ist in Israel Teil des Gottesbegriffes selbst. Er steht nicht neben dem Glauben, neben dem Bund, sondern in ihm zeigt sich, wer der Gott ist, mit dem Israel im Bunde steht1. (Fs) (notabene)

51a Die besondere Entwicklung des Begriffs des «Heiligen», wie sie sich in der biblischen Religion zugetragen hat, hängt damit zusammen. Das «Heilige» bezeichnet religionsgeschichtlich zunächst einfach das Ganz-anders Sein der Gottheit, ihre spezifische Atmosphäre, woraus sich die besonderen Regeln des Umgangs mit der Gottheit ergeben. Das ist auch in Israel zunächst durchaus nicht anders; eine Vielzahl von Stellen zeigt das. Aber indem Jahwe sein Besonderes, sein Ganz-Anders gerade in den Zehn Worten darstellt, wird sichtbar (und von den Propheten immer mehr ins Bewußtsein gebracht), daß das Ganz-Anders Jahwes, seine Heiligkeit, eine sittliche Größe ist, deren Entsprechung im sittlichen Tun des Menschen gemäß dem Zehnerwort besteht. Der Begriff des Heiligen als die spezifische Kategorie des Göttlichen verschmilzt schon von jenen uralten Überlieferungsschichten her, denen der Dekalog zugehört, mit dem Begriff des Sittlichen, und gerade darin liegt dann das Neue, Einzigartige dieses Gottes und seiner Heiligkeit; darin liegt aber auch der neue Rang, den das Sittliche erhält, und von daher bestimmt sich das Auswahlkriterium in der Auseinandersetzung mit dem Ethos der Völker bis hin zu jener höchsten Erhebung des Heiligkeitsbegriffs, die im Alten Testament das Gottesbild Jesu antizipiert: «Ich handle nicht nach der Glut meines Zorns ... denn Gott bin ich und nicht Mensch, in deiner Mitte der Heilige...» (Hosea 11, 9). «Und da kann nun kein Zweifel sein, daß sich mit der Ausrufung des Dekalogs über Israel die Erwählung Israels vollzieht», hat Gerhard v. Rad in seiner Theologie des Alten Testaments diesen Zusammenhang formuliert, den er auch in seinen Auswirkungen im liturgischen Leben Israels darstellt2. Dies alles bedeutet gewiß nicht, daß der Dekalog von vornherein in seiner ganzen Bedeutungstiefe begriffen wurde und daß das bloße Wort die zentrale sittliche Erkenntnis für sich allein schon abschließend freigibt; die Geschichte der Auslegung von den frühesten Traditionsschichten bis zur Relecture des Zehnerworts in der Bergpredigt Jesu zeigt vielmehr, wie gerade an diesem Wort sich immer tieferes Verstehen des Gotteswillens und darin Gottes und des Menschen selbst entzünden konnte und mußte. Wohl aber läßt das Gesagte deutlich werden, daß die Herkünftigkeit von Einzelstücken des Dekalogs aus dem außerisraelitischen Bereich nichts über seine Ablösbarkeit vom Zentrum des Bundesglaubens sagt; im Grunde kann man dies wohl auch nur behaupten, wenn man voraussetzt, daß Vernunft der Völker und Offenbarung Gottes analogielos als pures Paradox gegeneinanderstehen, d.h. von einer bestimmten Position über das Verhältnis von Offenbarung und Vernunft her, die sich an den biblischen Texten gerade nicht verifiziert, sondern von ihnen eindeutig falsifiziert wird. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt