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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im deskriptiven Sinn: Ungenügen; repräsentativer Charakter der Sowjetinstitutionen; keine Übereinstimmung über Reräsentation

Kurzinhalt: ... ein repräsentatives System ist nur dann wirklich repräsentativ, (1) wenn es keine Parteien, (2) wenn es eine Partei, (3) wenn es zwei oder mehr Parteien gibt, oder (4) wenn die zwei Parteien als Flügel einer Partei angesehen werden können.

Textausschnitt: 3 Ungenügen des deskriptiven Repräsentationsbegriffs

58a Beim Aufwerfen dieser Fragen werden wir uns wieder an das aristotelische Verfahren halten, die Symbole, wie sie in der Wirklichkeit vorkommen, zu untersuchen. Ein geeigneter Anlaß für solches Fragen ist der repräsentative Charakter der Sowjetinstitutionen. Die Sowjetunion besitzt eine Verfassung, sogar eine geschriebene, die Institutionen vorsieht, welche im großen ganzen unter den deskriptiven Typus der Repräsentation subsumiert werden können. Dennoch gehen die Meinungen in bezug auf ihren repräsentativen Charakter zwischen den westlichen Demokraten und den Kommunisten weit auseinander. Der Westen erklärt, daß es mit dem Mechanismus der Repräsentation allein nicht getan sei, daß der Wähler eine echte Wahl haben müsse und daß das Parteimonopol, das die Sowjetverfassung vorsieht, eine Wahl unmöglich mache. Die Kommunisten halten dem entgegen, daß das Anliegen des wahren Repräsentanten das Interesse des Volkes zu sein habe, daß der Ausschluß von Parteien, welche Sonderinteressen vertreten, notwendig sei, um die Institutionen wirklich repräsentativ zu machen, und daß nur Länder, in denen das Monopol der Repräsentation der kommunistischen Partei vorbehalten ist, genuine Volksdemokratien seien. Das Argument dreht sich somit um die Mittlerfunktion der Partei im Repräsentationsprozeß. (Fs)

58a Der Fall ist zu unklar, um sofort ein Urteil zu fällen. Die Situation regt vielmehr dazu an, noch etwas tiefer zu schürfen; und die Verwirrung läßt sich ohne Mühe steigern, wenn man sich vergegenwärtigt, daß zur Zeit der Gründung der amerikanischen Republik hervorragende Staatsmänner der Meinung waren, daß wahre Repräsentation nur möglich sei, wenn es überhaupt keine Parteien gibt. Andere Denker wieder schreiben das Funktionieren des englischen Zweiparteiensystems der Tatsache zu, daß die zwei Parteien ursprünglich zwei Fraktionen der englischen Aristokratie waren; und wieder andere entdecken auf dem Grunde des amerikanischen Zweiparteiensystems eine Homogenität, die die beiden Parteien als Flügel einer einzigen Partei erscheinen läßt. Wenn man die Vielfalt der Meinungen zusammenfaßt, läßt sich daher die folgende Reihe bilden: ein repräsentatives System ist nur dann wirklich repräsentativ, (1) wenn es keine Parteien, (2) wenn es eine Partei, (3) wenn es zwei oder mehr Parteien gibt, oder (4) wenn die zwei Parteien als Flügel einer Partei angesehen werden können. Um das Bild zu vervollständigen, sei schließlich noch der Typenbegriff des Mehrparteienstaates hinzugefügt, der nach dem ersten Weltkrieg Schule machte mit seiner Implikation, ein repräsentatives System sei nicht arbeitsfähig, wenn es zwei oder mehr Parteien habe, die in Grundfragen nicht übereinstimmen. (Fs) (notabene)

59a Aus dieser Mannigfaltigkeit von Meinungen darf man schließen, daß der elementar-deskriptive Typus repräsentativer Institutionen das Problem der Repräsentation nicht erschöpft. Durch den Meinungskonflikt hindurch läßt sich der Konsensus erkennen, daß das Repräsentationsverfahren nur dann sinnvoll ist, wenn gewisse, seine Substanz betreffende Erfordernisse erfüllt sind, und daß die verfassungsmäßige Einrichtung des Verfahrens nicht automatisch die gewünschte Substanz liefert. Weiter besteht Übereinstimmung darüber, daß gewisse Mittlerinstitutionen, die Parteien, etwas mit der Wahrung oder Korrumpierung dieser Substanz zu tun haben. Jenseits dieses Punktes jedoch beginnt die Konfusion. Die fragliche Substanz steht irgendwie mit dem Willen des Volkes in Zusammenhang, jedoch wird nicht klar, was mit dem Symbol "Volk" gemeint ist. Dieses Symbol muß zu späterer Prüfung beiseite gestellt werden. Ferner deutet die Meinungsverschiedenheit über die Zahl der Parteien, die das Einströmen der Substanz garantieren oder verhindern, auf ein tiefer liegendes, nicht zureichend analysiertes Problem hin, das durch das Zählen der Parteien nicht erfaßt werden kann. Ein Typenbegriff wie der "Einparteienstaat" muß daher als theoretisch von zweifelhaftem Wert betrachtet werden. In der Tagesdebatte mag er zur kurzen Bezugnahme brauchbar sein, er ist aber offensichtlich nicht zureichend geklärt, um in der Wissenschaft annehmbar zu sein. Er gehört der elementaren Klasse an wie der deskriptive Typenbegriff repräsentativer Institutionen. (Fs)

60a Diese ersten methodischen Fragen haben zwar nicht in eine Sackgasse geführt, aber der Gewinn ist unsicher, weil zuviel auf einmal einbezogen wurde. Das Problem muß zum Zweck der Klärung eingeschränkt werden; und aus diesem Anlaß ist weiteres Reflektieren über das reizvolle Thema der Sowjetunion angezeigt. (Fs)

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