Autor: Lonergan, Bernard J.F. Buch: Methode in der Theologie Titel: Methode in der Theologie Stichwort: Funktionale Spezialisierung; Dialektik der Methoden (2. Teil); Differenzierung d. Bewusstseins (allgemein, Theorie, Interiorität, Transzendenz); Interiorität: Gnoseologie, Epistemologie, Metaphysik (3 Grundfragen) Kurzinhalt: Innerhalb der Welt der Interiorität sind deshalb geistige Akte als erfahrene und systematisch verstandene ein logisch Erstes. Von ihnen kann man zur Epistemologie und Metaphysik übergehen. Und von diesen dreien ausgehend läßt sich ... Sinn und Bedeutung Textausschnitt: 8. Die Dialektik der Methoden: zweiter Teil
75/X Wir sprachen über geistige Akte und müssen nun dazu anmerken, daß solche Rede in genetisch verschiedenen Horizonten erfolgen kann. In jedem dieser Horizonte kann die Rede korrekt oder unkorrekt sein, doch je differenzierter der Horizont, desto inhaltsreicher, genauer und erhellender wird die Rede sein. (261; Fs)
76/X Von den genetisch verschiedenen Horizonten haben wir die wichtigsten bereits in den Abschnitten über 'Bereiche der Bedeutung' und 'Stadien der Bedeutung' im dritten Kapitel über 'Sinn und Bedeutung' aufgezeigt. Im voll differenzierten Bewußtsein sind vier Sinnbereiche. Der Bereich des Allgemeinverstands, der seine Bedeutungen in alltäglicher oder normaler Sprache zum Ausdruck bringt. Der Bereich der Theorie, in welchem die Sprache technisch ist, einfach objektiv in ihrem Bezug, und die sich daher auch auf das Subjekt und seine Tätigkeit nur als Objekte bezieht. Sodann gibt es den Bereich der Interiorität, in welchem die Sprache zwar vom Subjekt und seinen Handlungen als Objekten spricht, nichtsdestoweniger aber auf einer Selbstfindung beruht, die in persönlicher Erfahrung den Operator, die Operationen sowie die Vorgänge verifiziert hat, auf die sich die Grundtermini und -relationen der verwendeten Sprache beziehen. Und schließlich gibt es den Bereich der Transzendenz, in dem das Subjekt in der Sprache des Gebets und des betenden Schweigens auf die Gottheit bezogen ist. (261; Fs)
77/X Voll differenziertes Bewußtsein ist die Frucht einer äußerst langen Entwicklung. Im ursprünglich undifferenzierten Bewußtsein sind der zweite und dritte Bereich gar nicht vorhanden, während der erste und vierte einander durchdringen. Sprache verweist primär auf das Räumliche, auf das Besondere, das Äußere, das Menschliche, und wird nur durch spezielle Verfahren auf das Zeitliche, auf die Gattung, auf das Innere und auf das Göttliche ausgedehnt. Seit dem Beginn der Zivilisation kam es zu wachsender Differenzierung der Rollen und Aufgaben, die zu übernehmen und auszuführen sind, zu einer immer aufwendigeren Organisation und Regelung, um diese Übernahme und Ausrührung sicherzustellen, zu einer immer dichteren Bevölkerung und immer größerem Überfluß. Bei jeder dieser Wandlungen erweitern sich die kommunikativen, kognitiven, effektiven und konstitutiven Funktionen der Sprache, wobei sich als zusätzliche Segnung die Literatur entwickelt und differenziert, um die menschliche Leistung zu feiern, das Böse zu beklagen, zu hohem Streben zu ermahnen und den Menschen in Stunden der Muße zu unterhalten. (261; Fs)
78/X All dies kann vorankommen, obwohl Denken, Reden und Tun innerhalb der Welt des Allgemeinverstands, der auf uns bezogenen Personen und Sachen und der normalen Sprache bleiben. Soll aber die praktische Neigung des Menschen von Magie befreit und zur Entwicklung der Wissenschaft gewendet werden, soll seine kritische Neigung vom Mythos befreit und zur Entwicklung der Philosophie gewendet werden, und soll sein religiöses Anliegen allen Verirrungen widersagen und sich der Läuterung unterziehen, dann ist allen drei Vorgängen mit einer Differenzierung des Bewußtseins und einer Anerkennung der Welt der Theorie gedient. In solch einer Welt versteht und erkennt man die Dinge nicht in ihrer Beziehung zu unserem Sinnesapparat oder zu unseren Bedürfnissen und Wünschen, sondern in den Beziehungen, die durch ihre gleichförmige Interaktion miteinander konstituiert sind. Um von so verstandenen Dingen sprechen zu können, bedarf es der Entwicklung einer besonderen fachspezifischen Sprache, einer Sprache, die von der des Allgemeinverstands ganz verschieden ist. Zweifellos muß man innerhalb der Welt der Wahrnehmung und Sprache nach Art des Allgemeinverstands beginnen. Zweifellos muß man häufig zu dieser Welt Zuflucht nehmen. Es steht aber auch außer Zweifel, daß dieser wiederholte Rückzug und diese Wiederkehr nur für den schrittweisen Aufbau eines ganz anderen Modus der Wahrnehmung und des Ausdrucks sorgen. (261f; Fs) (notabene)
79/X Diese Differenzierung des Bewußtseins zeigt sich im platonischen Kontrast zwischen phänomenaler und noumenaler Welt, in der aristotelischen Unterscheidung und Korrelation dessen, was erstes für uns und was absolut erstes ist, in den Hymnen des Thomas von Aquin und seiner systematischen Theologie, in Galileis Sekundär- und Primärqualitäten, oder an Eddingtons zwei Tischen. (262; Fs)
80/X Bei dieser Differenzierung, die nur zwei Bereiche kennt, sind technische Naturwissenschaft, technische Philosophie und technische Theologie alle drei im Bereich der Theorie angesiedelt. Alle drei arbeiten grundsätzlich mit Begriffen und Urteilen, mit Termini und Relationen, und mit einer gewissen Annäherung an das logische Ideal der Klarheit, Kohärenz und Strenge. Und schließlich befassen sich alle drei in erster Linie mit Objekten, und wenn sie sich auch dem Subjekt und seinen Handlungen zuwenden, ist doch jede systematische Behandlung des Subjekts und seiner Handlungen - wie bei Aristoteles und bei Thomas - objektiviert, und zwar metaphysisch in Begriffen wie Materie und Form, Potenz, Habitus, Akt, Wirk- und Finalursache konzipiert.1 (262; Fs)
81/X Durch die weitere Entwicklung der Naturwissenschaft ist jedoch die Philosophie gezwungen, aus dem Bereich der Theorie auszuwandern, um ihre Grundlage nun im Bereich der Interiorität zu finden. Einerseits gibt die Naturwissenschaft jeden Anspruch auf Notwendigkeit und Wahrheit auf. Sie gibt sich mit verifizierbaren Möglichkeiten zufrieden, die eine immer bessere Annäherung an die Wahrheit bieten. Andererseits aber leistet ihr Erfolg totalitären Ansprüchen Vorschub, und die Naturwissenschaft selbst versteht ihr Ziel als die volle Erklärung aller Phänomene. (262f; Fs)
82/X In dieser Situation bleibt es der Philosophie überlassen, mit den Problemen von Wahrheit und Relativismus ebenso fertig zu werden wie mit der Frage, was unter Wirklichkeit zu verstehen sei, worin der Grund für Theorie und Allgemeinverstand zu suchen ist, welche Beziehungen zwischen beiden bestehen und welches die Grundlagen der spezifischen Humanwissenschaften sind. Die Philosophie ist mit der Tatsache konfrontiert, daß alles menschliche Wissen eine Grundlage in den Daten der Erfahrung hat, und da die Naturwissenschaft anscheinend auf die Sinnesdaten zumindest Okkupantenrechte erworben hat, muß die Philosophie nun auf den Daten des Bewußtseins Position beziehen. (263; Fs)
83/X Wie nun die Welt der Theorie von der des Allgemeinverstands ganz verschieden ist und dennoch nur durch einen vielfältigen Gebrauch des Wissens nach Art des Allgemeinverstands und der normalen Sprache aufgebaut wird, so ist auch die Welt der Interiorität ganz verschieden von den Welten der Theorie und des Allgemeinverstands, wird aber dennoch nur durch vielfältige Verwendung von mathematischem, naturwissenschaftlichem und allgemeinverständlichem Wissen und nur durch die normale wie auch durch fachspezifische Sprache aufgebaut. Wie die Welt des Allgemeinverstands und ihre Sprache das Rüstzeug liefern, um in die Welt der Theorie einzusteigen, so liefern die Welten des Allgemeinverstands und der Theorie und ihre Sprachen das Rüstzeug, um in die Welt der Interiorität hineinzukommen. (263; Fs)
84/X Während jedoch der Übergang vom Allgemeinverstand zur Theorie uns zu Entitäten führt, die wir nicht unmittelbar erfahren, bringt uns der Übergang vom Allgemeinverstand und von der Theorie zur Interiorität vom Selbstbewußtsein zur Selbsterkenntnis. Allgemeinverstand und Theorie haben uns vermittelt, was unmittelbar im Bewußtsein gegeben ist. Durch sie sind wir von bloß gegebenen Vollzügen und Prozessen und Einheiten zu einem Grundsystem von Termini und Beziehungen vorgedrungen, welche die Vollzüge und Prozesse und Einheiten unterscheiden, in Beziehung setzen und benennen und uns dadurch in die Lage versetzen, über sie klar, genau und erklärend zu sprechen. (263; Fs) (notabene)
85/X Solche Sprache wird jedoch nur von denen als klar, genau und erklärend empfunden, die ihre Lehrzeit hinter sich haben. Es genügt nicht, Allgemeinverstand zu haben und die normale Sprache zu sprechen. Man muß auch mit der Theorie und mit der technischen Sprache vertraut sein. Man muß die Mathematik untersuchen und dabei entdecken, was geschieht, wenn man sie studiert, und was geschah, als sie entwickelt wurde. Von der Reflexion über die Mathematik muß man zur Reflexion über die Naturwissenschaft weitergehen, muß ihre Verfahrensweisen kennenlernen, die Beziehungen zwischen aufeinanderfolgenden Stadien, die Verschiedenheit und die Beziehung klassischer und statistischer Methoden sowie die Eigenart jener Welt, die durch solche Methoden enthüllt wird - wobei man die ganze Zeit über nicht bloß den Objekten der Wissenschaft Beachtung schenken muß, sondern ebenfalls, so gut man kann, den bewußten Vollzügen, durch die man die Objekte intendiert. (263; Fs)
86/X Von der Genauigkeit mathemathischen Verstehens und Denkens, wie auch vom weitergehenden kumulativen Voranschreiten der Naturwissenschaft, muß man sich dann wieder den Verfahrensweisen des Allgemeinverstands zuwenden, muß man erfassen, wie er sich von Mathematik und Naturwissenschaft unterscheidet, muß seine eigenen Verfahren ebenso erkennen wie die Reichweite seiner Relevanz und seine ständige Gefahr, mit allgemeinem Unsinn (common nonsense) zu verschmelzen. Um es in größter Kürze zu sagen: Man muß Insight nicht nur lesen, man muß sich selbst auch in sich selbst entdecken. (264; Fs)
87/X Kehren wir nun zu den Beziehungen zwischen Sprache und geistigen Akten zurück. Erstens muß eine Sprache, die auf geistige Akte hinweist, entwickelt werden. Wie wir bereits festgestellt haben, wird der homerische Held nicht als denkend geschildert, sondern als einer, der mit einem Gott oder einer Göttin, mit seinem Pferd oder einem Fluß, mit seinem Herzen oder seiner eigenen Stimmung spricht. Bruno Snells 'Die Entdeckung des Geistes' berichtet, wie die Griechen ihre Erfassung vom Menschen schrittweise entwickelten und schließlich auf die Probleme der Erkenntnistheorie stießen. Bei Aristoteles gibt es eine systematische Darstellung der Seele und ihrer Potenzen, Habitus, Handlungen und ihrer Objekte. In mancher Hinsicht ist diese Darstellung verblüffend genau, aber sie ist unvollständig und setzt durchgängig eine Metaphysik voraus. Sie liegt weder im Bereich des Allgemeinverstands noch in dem der Interiorität, sondern im Bereich der Theorie. Sie wird durch die vollständigere Theorie des Thomas von Aquin ergänzt. (264; Fs)
88/X Sobald jedoch das Bewußtsein differenziert und systematisches Denken und Reden über geistige Akte entwickelt ist, erweitert sich die Leistungsfähigkeit der gewöhnlichen Sprache beträchtlich. Augustinus' eindringende Überlegungen zur Erkenntnis und zum Bewußtsein, Descartes' 'Regulae ad directionem ingenii', Pascals 'Pensées' und Newmans 'Grammar of Assent' bleiben sämtlich im Bereich der Erfassung und Sprache des Allgemeinverstands und tragen doch enorm zum Verständnis unserer selbst bei. Überdies zeigen sie die Möglichkeit, das bewußte Subjekt und seine bewußten Vollzüge kennenzulernen, ohne eine vorgängig metaphysische Struktur vorauszusetzen. Eben diese Möglichkeit wird verwirklicht, wenn eine Untersuchung der mathematischen, der naturwissenschaftlichen und der Vollzüge des Allgemeinverstands Früchte trägt im Erfahren, Verstehen und Bestätigen der normativen Struktur aufeinander bezogener und sich wiederholender Vollzüge, durch die wir im Wissen vorankommen. Sobald unsere Erkenntnis auf diese Weise erfaßt wird, kann man von der gnoseologischen Frage (Was tun wir, wenn wir erkennen?) zur epistemologischen Frage (Warum ist dieses Tun Erkennen?) übergehen und kommt von beiden dann zur metaphysischen Frage (Was erkennen wir, wenn wir dies tun?). (264f; Fs)
89/X Innerhalb der Welt der Interiorität sind deshalb geistige Akte als erfahrene und systematisch verstandene ein logisch Erstes. Von ihnen kann man zur Epistemologie und Metaphysik übergehen. Und von diesen dreien ausgehend läßt sich, wie wir es im dritten Kapitel versucht haben, eine systematische Darstellung von Sinn und Bedeutung in ihren Trägern, Elementen, Funktionen, Bereichen und Stadien geben. (265; Fs)
90/X Dennoch ist diese Priorität nur relativ. Neben der Priorität, die man mit der Aufstellung eines neuen Bereichs der Bedeutung erreicht, gibt es noch die Priorität dessen, was man braucht, wenn der Vorgang des Aufstellens ausgeführt werden soll. Die Griechen brauchten eine künstlerische, eine rhetorische und eine argumentative Entwicklung der Sprache, ehe ein Grieche eine metaphysische Erklärung des Geistes aufstellen konnte. Die griechische Leistung war nötig, um den Umfang des Wissens und der Sprache des Allgemeinverstands hinreichend auszuweiten, ehe Augustinus, Descartes, Pascal und Newman ihre Beiträge auf der Ebene des Allgemeinverstands zu unserer Selbsterkenntnis leisten konnten. Die Geschichte der Mathematik, der Naturwissenschaft und der Philosophie, wie auch das eigene persönlich reflektierende Engagement in diesen drei Wissensgebieten sind nötig, wenn Allgemeinverstand und Theorie das Rüstzeug für den Einstieg in die Welt der Interiorität liefern sollen. (265; Fs)
91/X Die Bedingungen, geistige Akte als ein logisch Erstes zu gebrauchen, sind demnach zahlreich. Wenn man darauf besteht, in der Welt des Allgemeinverstands und der normalen Sprache zu bleiben, oder wenn man sich weigert, die Welten des Allgemeinverstands und der Theorie zu überschreiten, dann wird durch eigene Entscheidung die Möglichkeit ausgeschlossen, die Welt der Interiorität zu betreten. Doch solche Entscheidungen seitens irgendeines Individuums oder einer Gruppe sind für die übrige Menschheit schwerlich bindend. (265; Fs) ____________________________
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