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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Methode in der Theologie

Titel: Methode in der Theologie

Stichwort: Funktionale Spezialisierung; Dialektik: Problem; Vorhandensein oder Fehlen v. Bekehrung (8 Möglichkeiten) -> entgegengesetzte Horizonte; Reduktionismus (Mensch, Ratte); Gibson Winter

Kurzinhalt: ... führen dialektische Differenzen zu gegenseitiger Ablehnung. Jede von ihnen hält die Zurückweisung ihrer Gegner für den einzigen und allein intelligenten, rationalen und zu verantwortenden Standpunkt, und sobald sie genügend ausgearbeitet ist...

Textausschnitt: 4. Dialektik: Das Problem

39/X Vorhandensein oder Fehlen intellektueller, moralischer und religiöser Bekehrung führt zur Entstehung dialektisch entgegengesetzter Horizonte. Während komplementäre oder genetische Differenzen zu überbrücken sind, führen dialektische Differenzen zu gegenseitiger Ablehnung. Jede von ihnen hält die Zurückweisung ihrer Gegner für den einzigen und allein intelligenten, rationalen und zu verantwortenden Standpunkt, und sobald sie genügend ausgearbeitet ist, sucht sie nach einer Philosophie oder Methode, die das untermauern soll, was man unter angemessenen Anschauungen über das Intelligente, das Rationale und das Verantwortliche versteht. (251; Fs) (notabene)

40/X Daraus entsteht eine Verwirrung. Es können entweder alle drei Arten der Bekehrung fehlen, irgendeine kann vorhanden sein, oder zwei von ihnen oder alle drei. Selbst wenn man von den Unterschieden in der Vollkommenheit der Bekehrung absieht, gibt es also acht grundverschiedene Arten. Zudem wird jede Untersuchung innerhalb eines bestimmten Horizonts durchgerührt. Dies gilt auch dann, wenn man gar nicht weiß, daß man innerhalb eines Horizonts tätig ist, oder wenn man annimmt, gar keine Annahmen zu machen. Ob man sie audrücklich anerkennt oder nicht - dialektisch entgegengesetzte Horizonte führen zu entgegengesetzten Werturteilen, zu entgegengesetzten Darstellungen geschichtlicher Bewegungen, zu entgegengesetzten Deutungen der Autoren und zu unterschiedlicher Auswahl relevanter Daten in spezieller Forschung. (251; Fs) (notabene)

41/X Die Naturwissenschaft entgeht diesen Fallstricken zumeist. Sie beschränkt sich auf Fragen, die man unter Berufung auf Beobachtung und Experiment entscheiden kann. Sie bezieht ihre theoretischen Modelle von der Mathematik. Sie ist auf ein empirisches Wissen aus, bei dem Werturteile keine konstitutive Rolle spielen. Dennoch bieten diese Vorteile keine vollständige Immunität. Die Darstellung einer naturwissenschaftlichen Methode verhält sich zur Erkenntnistheorie wie das weniger Allgemeine zum Allgemeineren, so daß keine feste Schranke die Naturwissenschaft von der naturwissenschaftlichen Methode und von allgemeiner Erkenntnistheorie trennt. (251f; Fs)

42/X So war der mechanistische Determinismus früher einmal fester Bestandteil der Naturwissenschaft; jetzt ist er eine aufgegebene philosophische Meinung. Doch an seine Stelle trat Niels Bohrs Lehre von der Komplementarität, die philosophische Ansichten über die menschliche Erkenntnis und über die Wirklichkeit einschließt, und jedes Abrücken von Bohrs Position führt zu noch mehr Philosophie.1 Und obwohl Physik, Chemie und Biologie keine Werturteile abgeben, hat doch der Übergang von liberalen zu totalitären Systemen die Naturwissenschaftler über den Wert der Wissenschaft und über ihre Rechte als Wissenschartler nachdenken lassen, während die militärische und anderweitige Verwendung ihrer wissenschaftlichen Entdeckungen sie auf ihre Pflichten hinwies. (252; Fs)

43/X In den Humanwissenschaften sind die Probleme noch viel zugespitzter. Reduktionisten haben die Methoden der Naturwissenschaft auf die Erforschung des Menschen ausgedehnt. Ihre Ergebnisse sind dementsprechend nur insoweit gültig, als der Mensch einem Roboter oder einer Ratte ähnelt, und während solche Ähnlichkeit besteht, ergibt ihre ausschließliche Beachtung eine grob verstümmelte und entstellte Sicht.2 (252; Fs)

44/X Die allgemeine Systemtheorie lehnt Reduktionismus in all seinen Spielarten ab, ist sich aber dennoch ihrer ungelösten Probleme bewußt; denn die Systemtechnik schließt eine fortschreitende Mechanisierung ein, die darauf hinausläuft, die Rolle des Menschen im System auf die eines Roboters zu reduzieren, wobei Systeme im allgemeinen sowohl für konstruktive als auch destruktive Ziele verwendet werden können.3 (252; Fs)

45/X Gibson Winter hat in seinem Buch 'Elements for a Social Ethic'4 jene divergierenden Typen von Soziologie einander gegenübergestellt, die mit den Namen Talcott Parsons und C. Wright Mills verbunden sind. Nach der Feststellung, daß der unterschiedliche Ansatz zu verschiedenen Urteilen über die bestehende Gesellschaft führt, fragt er, ob der Gegensatz wissenschaftlich begründet oder ideologisch sei - eine Frage, die natürlich die Erörterung von der Geschichte des soziologischen Denkens der Gegenwart auf die Philosophie und Ethik verlagert. Gibson Winter gibt eine allgemeine Darstellung der sozialen Wirklichkeit, unterscheidet physikalistische, funktionalistische, voluntaristische und intentionalistische Typen von Soziologie und weist jedem Typus seine besondere Sphäre der Relevanz und Effektivität zu. Wo Max Weber zwischen Sozialwissenschaft und Sozialpolitik unterschied, unterscheidet Winter zwischen philosophisch begründeten und gegliederten Typen von Sozialwissenschaft, und andererseits der Sozialpolitik, die sich nicht nur auf die Sozialwissenschaft, sondern auch auf die Werturteile einer Ethik gründet. (252f; Fs)

46/X Demnach drängen sich in den Natur- und in den Humanwissenschaften Fragen auf, die durch empirische Methoden nicht zu lösen sind. Diese Probleme lassen sich in den Naturwissenschaften mit größerem und in den Humanwissenschaften nur mit geringerem Erfolg eingrenzen oder umgehen. Eine Theologie aber kann methodisch nur dann betrieben werden, wenn sie diese Fragen frontal angeht. Sie frontal anzugehen ist die Aufgabe unserer vierten funktionalen Spezialisierung, der Dialektik. (253; Fs) (notabene)

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