Autor: Ratzinger, Joseph Buch: Theologische Prinzipienlehre Titel: Theologische Prinzipienlehre Stichwort: Das konstitutiv Christliche in der Urkirche; Aussagen: nominal (Jesus: Christus, Kyrios, Sohn Gottes), verbal (inhaltlich: was Gott durch Jesus getan hat); Lubac: trinitarische Struktur d. Credo ("ich glaube an ...) Kurzinhalt: ... wenn das Mysterium sich verdichtet oder vertieft, so geschieht es immer im vollkommenen Kreis des Credo. Die charakteristische Form des Glaubens, "ich glaube an ..." ist einer der christlichen "Barbarismen" ... Textausschnitt: Die Aussage des konstitutiv Christlichen in der Urkirche
17b Brechen wir vorläufig an dieser Stelle unsere Überlegung ab, die zunächst nur den Umfang des Problems und seinen eigentlichen Sitz kenntlich machen sollte, und fragen wir nun doch, naiv sozusagen, was in den christlichen Ursprüngen als das konstitutiv Christliche galt. Diese Mitte des Glaubens sagt die beginnende Kirche in bekenntnisartigen Formulierungen aus. H. Schlier hat darauf aufmerksam gemacht, daß von Anfang an zwei sprachlich unterschiedene, sachlich einander eng verbundene Bekenntnistypen begegnen: das nominale und das verbale Bekenntnis.1 Beides steht klassisch nebeneinander in Röm 10, 9f: "Wenn du mit deinem Mund bekennst, Jesus ist der Herr, und mit deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von den Toten erweckt hat, wirst du gerettet werden. Denn mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, mit dem Mund aber bekennt man zum Heil." Es stehen also nebeneinander das Bekenntnis: Jesus ist der Herr, und der Inhalt des Glaubens, der in den Satz gefaßt wird: Gott hat ihn von den Toten erweckt. Das Bekenntnis begegnet in der Form der Akklamation, die als pneumatisch inspirierter, rechtlich verbindlicher Zuruf eine Sprachgattung der Zeit darstellte:2 "Jesus ist der Herr." Die nominale Akklamation, die aussagt, wer und was Jesus ist, bildet zusammen mit der verbalen Glaubensaussage, die formuliert, was Gott in, an und durch Jesus getan hat, das "Wort des Glaubens", das Evangelium. (Fs)
18a In beiden Typen ist, bis zu ihrer Verschmelzung in die späteren Credo-Formeln hinein, eine bedeutsame Entwicklung zu beobachten. Im nominalen Typus begegnet zweierlei: Die Kyrios(Herr)-Formel als rechtsverbindlicher Zuruf an den Herrn im Heiligen Geist wird zugleich zur Entscheidungsformel gegenüber den "sogenannten Herren" (1 Kor 8, 5), den Mächten der Welt rundum, die sich "Herren" nennen und als Herren verehren lassen. Sie erweitert sich, wiederum einer schon bereitliegenden antiken Akklamationsformel gemäß, zu dem Bekenntnis: ??? ?????? ("Es ist nur ein Herr"), zur Aussage von der Einzigkeit des Herrentums Jesu. Damit aber rückt sie in die Nähe des Grundbekenntnisses Israels: E?? ???? ("Es ist nur ein Gott"), um sich alsbald mit diesem Bekenntnis zu einer einzigen Aussage zu verbinden: Es ist nur ein Gott und nur ein Herr (1 Kor 8,6). Die Einzigkeit Jesu steht nicht gegen die Einzigkeit Gottes, sondern versteht sich von ihr her, ist ihr Asudruck, ihre Form und ihr konkreter Vollzug. Das Kyrios-Bekenntnis bildet mit dem Bekenntnis Israels zum einzigen Gott ein Ganzes. Es wird Ausdruck für die Treue der Kirche zur zentralen Glaubensentscheidung des Alten Bundes.3 (Fs)
19a Daneben steht ein Weiteres: ein Prozeß der Sichtung und der Konzentration. Aus der Vielzahl von Prädikaten mit denen Jesus zunächst akklamatorisch benannt werden konnte, bleiben alsbald nur drei: Christus (Messias) - Herr - Sohn Gottes (??????? - ?????? - ???? ??? ????). Jeder dieser Titel hat seinen eigenen Bedeutungsgehalt. "Christus" wird durchweg in Sätzen verwendet, die vom Sterben Jesu handeln - es wird schließlich einfach zum Verweis auf das menschliche Geschick Jesu und damit immer mehr zum Eigennamen, hinter dem eben dieses Geschick steht.4 Das aber bedeutet, daß der Titel keine weitere theologische Entfaltungsmöglichkeit mehr besitzt und so als Titel, im Übergang zum Namen, abstirbt. "Kyrios" bezeichnet Jesus als den Herrscher über das All, als Herrn vor allem, der sich seine Kirche versammelt, und verweist so auch auf seine kultische und eschatologische Epiphanie. Es kann aber eine entscheidende Frage nicht beantworten: wie die beiden ???-Prädikationen ("ein Gott" - "ein Herr") miteinander zu verbinden sind. Damit wurde das Wort "Sohn Gottes" von selbst zur eigentlichen Achse der Bekenntnisbildung, hinter der schließlich auch die beiden vorigen Titel verschwinden. Hier verschmilzt diese zweite Bewegung mit der zuerst genannten: Die Verbindung zum Credo Israels, zu seinem Theozentrismus und damit die Klärung des umfassenden Anspruchs des Christenglaubens ergibt sich hier; zugleich aber erweist sich dieser Titel fähig, den Grundgehalt der verbalen Bekenntnisse in sich aufzunehmen: Jesus ist der Sohn Gottes, aber was dies heißt, zeigt sich gerade in dem, was er für uns ist, in seiner Geschichte. (Fs) (notabene)
19b Wenden wir uns vom nominalen Bekenntnis, welches aussagt, wer und was Jesus ist, zum verbalen - zum heilsgeschichtlichen, wie wir heute sagen würden. Es ist, wie wir sahen, Auferstehungsbekenntnis: Als Auferstandener ist Jesus der Herr, und er ist Herr, weil er auferstanden ist. Aber zum Auferstehungsbekenntnis gehört notwendig das Bekenntnis zum Kreuz. Von beiden Seiten her ergeben sich mit innerer Notwendigkeit Entfaltungen. Wenn die Auferstehung bekannt wird, so wird gewiß zunächst und ganz wesentlich ein geschehenes Ereignis bekannt. Aber dieses Ereignis ist doch eben deshalb bekennenswert, weil es eröffnet hat, was jetzt und hier gilt: Er ist der Auferstandene, die Gegenwart von Gottes Macht in einem Menschen, oder, wie Origenes schön formuliert hat: "Nun aber bleibt Versöhnungstag, bis die Welt ihr Ende nimmt".5 Das bedeutet also, daß die Welt fortan unter der Macht der Versöhnung steht, daß, wie wiederum Origenes sagt, nicht körperliches Blut, sondern "das Blut des Wortes" (???? ??? ?????), die versöhnende und einende Macht des Gottesgeistes, die aus dem Sterben Jesu kommt, auf uns hingewendet ist. Das Bekenntnis zur Auferstehung ist von innen her ein Bekenntnis zur Erhöhung und ein Bekenntnis zum Pneuma, zu der vom Herrn herkommenden vereinigenden Macht Gottes, die Gott selbst ist. (Fs)
20a Umgekehrt: Wo das Kreuz bekannt wird, da wird der irdische Jesus bekannt. Hier stoßen nun unmittelbar die Entwicklung des verbalen und des nominalen Bekenntnisses aufeinander. In dem Maß, in dem für das nominale Bekenntnis der Sohn-Gottes-Titel bestimmend wird, tritt auch das Wissen um die Präexistenz Jesu hervor, der als Sohn immer schon beim Vater ist. Im selben Maß wird Menschwerdung als Heilsereignis von Gott her erkannt, bis sie schließlich in Hebr 10, 5-10 förmlich als Wortgeschehen, als Gebetsgeschehen zwischen Vater und Sohn ausgelegt und so mit der Kreuzestheologie zusammengeschlossen wird: "Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, aber einen Leib mir bereitet" (Hebr 10, 5) - Inkarnation ist worthafte Annahme des Kreuzesleibes im pneumatischen Gespräch von Vater und Sohn. Die Ausweitung des verbalen, heilsgeschichtlichen Bekenntnisses hinter das Kreuz zurück ins Leben Jesu und die Ausweitung des nominalen, substantivischen Bekenntnisses in die Sohnschaftsaussage hinein treffen sich und verschmelzen ineinander. (Fs)
20b Damit ergibt sich auch die Antwort auf die Frage, die zwischen P. Benoit und O. Cullmann um die Grundstruktur des Symbols und um den Grundansatz des Christlichen überhaupt ausgetragen wurde.6 Cullmann sieht die entscheidende Weggabelung der Symbolgeschichte im Gegenüber von christologisch-heilsgeschichtlichem und trinitarischem Symbol; letzteres verkörpert für ihn einen metaphysischen Typus, der nicht mehr Glaube als Eintreten in die von Jesus Christus herkommende Geschichte, sondern als Zuwendung zum trinitarischen Gott in einem wesentlich ungeschichtlichen Vorgang vollziehe. Cullmann erblickt im Übergang zum trinitarischen Credo eine zentrale Verschiebung der christlichen Struktur, der gegenüber er die heilsgeschichtlich-christologischen Symbole als den einzig legitimen Ausdruck des Christlichen ansieht. Benoit (und nach ihm wieder H. de Lubac7) hat demgegenüber mit Nachdruck das trinitarische Symbol verteidigt, wie es sich aus Mt 28, 19 ergab, - es ist für beide der reife Abschluß der neutestamentlichen Entwicklung, in dem zugleich die Einheit der Testamente hergestellt ist: Das Bekenntnis der Christenheit bleibt wie dasjenige Israels ein Bekenntnis zu dem einen Gott, ist aber nun konkretisiert durch die Begegnung mit dem Menschgewordenen und mit dem von ihm gesandten Heiligen Geist; diese Begegnung aber ist zu ihrer vollen Tiefe geführt in der Erkenntnis, daß darin eben Begegnung mit Gott selbst geschieht. Lubac hebt noch dies heraus, daß die trinitarische Struktur dem Credo die einzigartige Konzentration eines einigen, einfachen Aktes des "credere in" (glauben an ...) gibt, der Übertragung der eigenen Existenz an den trinitarischen Gott; wo diese trinitarische Struktur vergessen wird, zerfällt das Credo in einen "Katalog" von Glaubensinhalten, wie man im Mittelalter formulieren wird.8 Wo aber Bekenntnis zur Aufzählung von glaubenspflichtigen Inhalten wird, Glaube quantitativ erscheint, entsteht die Frage nach der Reduktion mit Notwendigkeit. Bleibt hingegen die trinitarische Struktur im Blick, dann ist eine andere Aktgestalt gegeben: "Ob es sich nun um das Glaubensobjekt oder um die Gesamtheit der glaubenden Subjekte handelt - der Glaube ist demnach ein einziger, wie der Dreieinige Gott einer ist. Und wenn das Dogma sich entwickelt und sich aktualisiert, wenn das Mysterium sich verdichtet oder vertieft, so geschieht es immer im vollkommenen Kreis des Credo. Die charakteristische Form des Glaubens, "ich glaube an ..." ist einer der christlichen "Barbarismen", die notwendig waren und sich spontan, vor jeder reflektierten Erklärung einstellten, um das christlich Neue auszudrücken."9 Daß gerade dieses "glauben an", das die innere Einheit des Glaubens herstellt, die Heilsgeschichte nicht annulliert, sondern erst zu ihrer vollen Bedeutung bringt, dürfte nach dem vorhin Gesagten ersichtlich sein. (Fs)
22a Mir scheint, daß man von dem baptismalen und damit katechumenalen Kontext des trinitarischen Credo her noch eine weitere Behauptung hinzufügen darf: Das Bekenntnis Israels sprechen bedeutet "das Joch der Gottesherrschaft übernehmen".10 Es fällt auf, wie direkt im Alten Testament die Gottesprädikation "Ich bin der Herr" mit der ethischen Verpflichtung verbunden ist.11 Die Offenbarung des Gottesnamens ist eingebettet in den Zusammenhang, den das Wort aufreißt: "Ich kenne eure Leiden" (Ex 6,7). Sie ist untrennbar damit verbunden, daß Gott das Klagegeschrei des geknechteten Israel gehört hat, sie ist Ausdruck dieses Hörens. Das Bekenntnis zu dem einen Gott ist das Bekenntnis zu dem Gott, der das Recht der Witwen, der Waisen und der Fremdlinge verbürgt. Es ist Bekenntnis zu dem, der die Macht des Rechts auch und gerade da ist, wo irdisch Macht und Recht auseinanderfallen oder gegeneinander stehen. Die Loslösung des jüdischen Gottesglaubens vom nationalen Gesetz und den nationalen Überlieferungen Israels, die Paulus vollzogen hat, ist gerade nicht eine Loslösung dieses grundlegenden Gerechtigkeitsanspruchs von der Gottesidee, sondern die verschärfte Bestätigung dieses Zusammenhangs, der durch die Partikularisierung des jüdischen Gottesrechts verdunkelt war. Gewiß geht es nicht an, Christentum auf Orthopraxie zu reduzieren, aber noch weniger tragbar ist die Behauptung, das Christentum habe selbst keine moralische Aussage zu machen, sondern entlehne sie den jeweiligen Verhältnissen: Die Heiligkeit des Israels-Gottes, des Gottes Jesu Christi, schließt ein sehr präzises Ethos ein, das in den Zu- und Absagen der Taufspendung mit Recht eng mit dem Dialog des Glaubens verflochten, ja, zu dessen Vorbedingung gemacht wurde. (Fs) (notabene) ____________________________
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