Autor: Voegelin, Eric Buch: Die neue Wissenschaft der Politik Titel: Die neue Wissenschaft der Politik Stichwort: Repräsentation im deskriptiven Sinn; Institutionen innerhalb eines existentiellen Rahmens; deskriptiv-elementare Ebene Kurzinhalt: Wenn repräsentative Institutionen auf dieser Ebene theoretisiert werden, dann beziehen sich die Begriffe, die in die Konstruktion des deskriptiven Typus aufgenommen werden, auf einfache Daten der Außenwelt. Textausschnitt: 2. Repräsentation im deskriptiven Sinn
54a Es dürfte angebracht sein, mit den elementaren Aspekten des Themas zu beginnen. Um festzulegen, was theoretisch elementar ist, wird es gut sein, sich den Anfang dieses Kapitels ins Gedächtnis zurückzurufen. Eine politische Gesellschaft wurde als ein von innen her erhelltes Kosmion charakterisiert; diese Charakteristik wurde jedoch durch die Hervorhebung des Außenweltscharakters als einer seiner Seinskomponenten qualifiziert. Das Kosmion hat seinen inneren Sinnbereich; aber dieser Bereich existiert sinnlich greifbar in der Außenwelt in menschlichen Wesen, die Körper besitzen und mit diesen Körpern an dem organischen und anorganischen Gefüge der Welt teilhaben. Eine politische Gesellschaft kann sich nicht nur auflösen durch die Zersetzung des Glaubens, der sie zu einer handelnden Einheit in der Geschichte macht; sie kann auch zerstört werden durch Zerstreuung ihrer Glieder, so daß Kommunikation zwischen ihnen physisch unmöglich wird, oder, am radikalsten, durch deren physische Ausrottung; sie kann auch ernsthaften Schaden, teilweise Zerstörung ihrer Tradition und andauernde Lähmung erleiden durch Vernichtung oder Unterdrückung der aktiven Glieder, die in jeder Gesellschaft die politisch und intellektuell herrschende Minderheit sind. Die sinnlich-äußere Existenz einer Gesellschaft in diesem Sinne ist gemeint, wenn wir - aus Gründen, die sogleich aufgezeigt werden - von dem theoretisch elementaren Aspekt unseres Themas sprechen. (Fs)
55a In der politischen Debatte, in der Presse und in der publizistischen Literatur wird von Ländern wie den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden oder den Skandinavischen Königreichen gewöhnlich als von Ländern mit repräsentativen Institutionen gesprochen. In Zusammenhängen dieser Art tritt der Terminus als ein Symbol in der politischen Realität auf. Wenn jemand, der sich dieses Symbols bedient, aufgefordert würde zu erklären, was er damit meint, würde er ziemlich sicher antworten, daß die Institutionen eines Landes repräsentativen Charakter hätten, wenn die Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung ihre Mitgliedschaft kraft Volkswahl besitzen. Wenn das Fragen auf die Exekutive ausgedehnt wird, so wird er die amerikanische Wahl eines obersten Exekutivorgans durch das Volk als repräsentativ akzeptieren, er wird aber auch dem englischen System eines Ausschusses der parlamentarischen Majorität als Ministerrat zustimmen, oder dem Schweizer System, bei dem die Exekutive durch beide Kammern in gemeinsamer Sitzung gewählt wird. Und wahrscheinlich wird er nicht finden, daß die Institution der Monarchie dem repräsentativen Charakter Abbruch tut, solange der Monarch zu seinen Handlungen die Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministers benötigt. Wenn der Gefragte gedrängt wird, sich etwas klarer auszudrücken über das, was er unter einer Volkswahl versteht, so wird er vor allem an die Wahl eines Repräsentanten durch alle volljährigen Personen, die in einem territorial begrenzten Wahlbezirk ansässig sind, denken; aber er wird wahrscheinlich den repräsentativen Charakter nicht absprechen, wenn Frauen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind oder wenn, unter einem System proportionaler Repräsentation, die Wählerschaft personell und nicht territorial aufgegliedert ist. Schließlich mag er bedenken, daß Wahlen in angemessenen Perioden stattfinden sollten, und er wird von den Parteien sprechen, die im Wahlverfahren eine Organisations- und Vermittlungsfunktion hätten. (Fs)
56a Was kann der Theoretiker mit einer Antwort dieser Art in der Wissenschaft anfangen? Hat sie irgendwelchen Erkenntniswert? (Fs)
56b Offensichtlich ist die Antwort nicht als unbeachtlich abzutun. Gewiß, man muß die Existenz der angeführten Länder als gegeben annehmen, ohne allzuviel zu fragen, wodurch sie existieren oder was Existenz bedeutet. Aber wenn auch der existentielle Rahmen selbst im Schatten bleibt, so fällt doch Licht auf ein Gebiet von Institutionen innerhalb des Rahmens. Eine Anzahl von Ländern, deren Institutionen unter den angedeuteten Typus subsumiert werden können, existiert in der Tat; und wenn die Erforschung von Institutionen überhaupt relevant ist, so verweist diese Antwort zweifellos auf einen gewaltigen Bestand wissenschaftlicher Erkenntnisse. Ferner existiert dieser Wissensbestand als massive Tatsache der Wissenschaft in der Form zahlreicher monographischer Studien über die Institutionen einzelner Länder, sowie in der Form von vergleichenden Studien, die den Typus und seine Varianten herausarbeiten. Weiterhin kann über die theorezische Relevanz solcher Studien kein Zweifel bestehen, zumindest nicht prinzipiell, weil die äußere Existenz einer politischen Gesellschaft zu ihrer ontischen Struktur gehört. Wie auch immer der Relevanzgrad dieser Studien zu bewerten sein mag, wenn sie in einen größeren theoretischen Zusammenhang gestellt werden, so haben die Typen der außenweltlichen Realisierung einer Gesellschaft doch immer irgendeinen Grad von Relevanz. (Fs)
57a Wenn repräsentative Institutionen auf dieser Ebene theoretisiert werden, dann beziehen sich die Begriffe, die in die Konstruktion des deskriptiven Typus aufgenommen werden, auf einfache Daten der Außenwelt. Sie beziehen sich auf geographische Bezirke; auf Menschen, die in ihnen wohnen; auf Männer und Frauen; auf deren Alter; auf Wahlakte, die darin bestehen, daß Zeichen auf Papierstücke neben Namen, die darauf gedruckt sind, gesetzt werden; auf die Zählungsoperationen, die zur Bezeichnung anderer Menschen als Repräsentanten führen; auf das Verhalten dieser Repräsentanten in formalen Handlungen, die durch äußere Anzeichen als solche erkenntlich sind; etc. Weil die Begriffe auf dieser Ebene, insofern sie nichts mit der Selbstinterpretation einer Gesellschaft zu tun haben, unproblematisch sind, kann dieser Aspekt unseres Themas als elementar betrachtet werden; und der Typus der Repräsentation, der auf dieser Ebene entwickelt werden kann, soll darum der deskriptive Typus genannt werden. (Fs)
57b Die Relevanz der Behandlung des Themas auf der deskriptiv-elementaren Ebene wäre damit grundsätzlich festgestellt. Ihr Erkenntniswert kann jedoch nur dadurch gemessen werden, daß man den Typus in den bereits angedeuteten weiteren theoretischen Kontext hineinstellt. Der deskriptive Typus, sagten wir, wirft Licht lediglich auf ein Feld von Institutionen innerhalb eines existentiellen Rahmens, der als fraglos vorausgesetzt wird. Es müssen daher jetzt einige Fragen betreffend den Bereich aufgeworfen werden, der bisher im Schatten blieb. (Fs) ____________________________
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