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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Im Anfang schuf Gott

Titel: Im Anfang schuf Gott

Stichwort: Einheit d. Bibel als Maßstab d. Auslegung; Bibel als Weg; Verständnis vom Ganzen her - Christus; Schöpfung - babylonisches Konzil, Propheten; Enuma Elisch, Marduk, Drache - B.: Schöpfung aus Wort u. Vernunft; entscheidende Aufklärung der Geschichte

Kurzinhalt: In der Verbannung, in der scheinbaren Niederlage Israels geschieht der Durchbruch zur Erkenntnis von dem Gott, der alle Völker und die ganze Geschichte in Händen hält; der alles trägt, weil er der Schöpfer von allem ist, bei dem alle Macht steht.

Textausschnitt: 2. Die Einheit der Bibel als Massstab der Auslegung

19a So müssen wir nun nochmals fragen: Ist die Untsscheidung von Bild und eigentlicher Aussage nur eine Ausflucht, weil wir zum Text nicht mehr stehen können, aber trotzdem weitermachen wollen, oder gibt es Maßstäbe aus der Bibel selbst, die uns solche Wege weisen, also in ihr selbst diese Unterscheidung beglaubigen? Gibt sie uns Markierungen dieser Art an die Hand, und hat der Glaube der Kirche um diese Markierungen auch früher gewußt und sie anerkannt?

Schlagen wir mit diesen Fragen neu die Heilige Schrift auf. Da können wir zunächst einmal feststellen, daß der Schöpfungsbericht Genesis 1, den wir gerade gehört haben, nicht wie ein erratischer Block von Anfang an fertig und geschlossen in sich dasteht. Ja, überhaupt die ganze Heilige Schrift ist nicht wie ein Roman oder wie ein Lehrbuch einfach von Anfang bis Ende durchgeschrieben worden; sie ist vielmehr der Widerhall der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Sie ist herausgewachsen aus dem Ringen und den Wegen dieser Geschichte; durch sie hindurch können wir die Aufstiege und Abstiege, die Leiden, die Hoffnungen, das Große und wieder das Versagende dieser Geschichte erkennen. Die Bibel ist so Ausdruck von Gottes Ringen mit dem Menschen, um sich allmählich ihnen verständlich zu machen; sie ist aber zugleich auch Ausdruck für das Ringen des Menschen, allmählich Gott zu begreifen. So ist das Schöpfungsthema nicht in einem hingestellt, sondern es geht mit Israel durch die Geschichte hindurch, ja, der ganze Alte Bund ist ein Unterwegssein mit dem Wort Gottes. Nur in solchem Unterwegssein hat sich die eigentliche Aussage der Bibel Schritt um Schritt geformt. Deswegen können auch wir nur im Ganzen dieses Weges seine wahre Richtung erkennen. In dieser Weise — als Weg — gehören Altes und Neues Testament zusammen. Altes Testament erscheint für den Christen insgesamt als Vorwärtsgehen auf Christus zu; erst wo es bei ihm anlangt, wird sichtbar, was es eigentlich meinte; was es Schritt für Schritt bedeutete. So empfängt alles einzelne seinen Sinn vom Ganzen und das Ganze seine Bedeutung von seinem Ziel — von Christus her. Wir legen also — so sahen es die Kirchenväter und der Glaube der Kirche zu allen Zeiten — den einzelnen Text theologisch nur richtig aus, wenn wir ihn als Stück eines vorwärtsdrängenden Weges begreifen; wenn wir in ihm das Gefälle, die innere Richtung dieses Weges erkennen1. (Fs) (notabene)

21a Was bedeutet nun diese Einsicht für das Verstehen der Schöpfungsgeschichte? Eine erste Feststellung muß lauten: Immer hat Israel an den Schöpfergott geglaubt, und in diesem Glauben kommunizierte es mit allen großen Kulturen der Alten Welt. Denn selbst durch die Verdunklungen des Monotheismus hindurch haben alle großen Kulturen immer um den Schöpfer Himmels und der Erde gewußt, in überraschenden Gemeinsamkeiten auch zwischen Zivilisationen, die sich äußerlich niemals berühren konnten. In dieser Gemeinsamkeit dürfen wir durchaus etwas von der tiefsten, nie ganz verlorenen Berührung der Menschheit mit Gottes Wahrheit erkennen. In Israel selbst hat das Schöpfungsthema mancherlei Geschicke durchschritten. Es war nie ganz abwesend, aber nicht immer gleich wichtig. Es gab Zeiten, in denen Israel so mit den Leiden oder den Hoffnungen seiner Geschichte beschäftigt war, so unmittelbar auf das Jetzige hingeheftet, daß es bis zur Schöpfung kaum durchzublicken brauchte, kaum durchblicken konnte. Die eigentlich große Stunde, in der Schöpfung zum beherrschenden Thema wurde, ist das babylonische Exil gewesen. In dieser Zeit hat auch der Bericht, den wir eben hörten, freilich aufgrund sehr alter Überlieferungen, seine eigentliche, jetzige Gestalt gefunden. Israel hatte sein Land verloren, es hatte seinen Tempel verloren. Für die damalige Mentalität war dies etwas Unbegreifliches; denn dies hieß ja, daß der Gott Israels besiegt war — der Gott, dem man sein Volk, sein Land, seine Anbeter hatte wegnehmen können. Ein Gott, der seine Anbeter und seine Anbetung nicht schützen konnte, war damals als ein schwacher, ja nichtiger Gott erwiesen; er war als Gott abgetreten. So war die Vertreibung aus dem Land, das Ausgelöschtwerden von der Landkarte der Völker, für Israel eine ungeheure Glaubensversuchung: Ist unser Gott nun besiegt, unser Glaube leer? (Fs) (notabene)

22a In dieser Stunde haben die Propheten ein neues Blatt aufgeschlagen und Israel gelehrt, daß sich jetzt erst das wahre Gesicht ihres Gottes zeigte, der nicht an jenen Flecken Land gebunden war. Er war es nie gewesen: Er hatte dies Stück Land Abraham verheißen, ehe der dort zu Hause war. Er hatte sein Volk aus Ägypten herausführen können: Beides konnte er, weil er nicht Gott eines Landes war, sondern über Himmel und Erde verfügte. Und deshalb konnte er nun sein ungetreues Volk vertreiben in ein anderes Land hinein, um sich dort zu bezeugen. Nun wurde begreiflich, daß dieser Gott Israels nicht ein Gott wie die Götter war, sondern der Gott, der über alle Länder und Völker verfügte. Das aber konnte er, weil er selbst alles, den Himmel und die Erde, geschaffen hatte. In der Verbannung, in der scheinbaren Niederlage Israels geschieht der Durchbruch zur Erkenntnis von dem Gott, der alle Völker und die ganze Geschichte in Händen hält; der alles trägt, weil er der Schöpfer von allem ist, bei dem alle Macht steht. (Fs)

22b Dieser Glaube mußte nun sein eigenes Gesicht finden, gerade gegenüber den Versuchungen der scheinbar siegreichen Religion Babylons, die sich in prunkvollen Liturgien darstellte, etwa in der Liturgie des Neujahrsfestes, in der die Neuschöpfung der Welt liturgisch begangen und vollzogen wurde. Er mußte sein Gesicht finden gegenüber dem großen babylonischen Schöpfungsbericht Enuma Elisch, der auf seine Weise die Herkunft der Welt schildert. Dort wird gesagt, daß die Welt aus einem Kampf gegensätzlicher Mächte entstand und daß sie ihre eigentliche Gestalt fand, als der Lichtgott Marduk auftrat und den Leib des Urdrachen zerspaltete. Aus diesem gespaltenen Leib seien Himmel und Erde geworden. Beides zusammen, das Firmament und die Erde, seien also der aufgerissene Leib des getöteten Drachen; aus seinem Blut aber habe Marduk die Menschen geschaffen. Es ist ein unheimliches Bild von Welt und Mensch, das uns hier begegnet: Eigentlich ist die Welt ein Drachenleib, der Mensch trägt Drachenblut in sich. Auf dem Grund der Welt lauert das Unheimliche, und im Tiefsten des Menschen steckt die Rebellion, das Dämonische und das Böse. Es ist eine Vorstellung, nach der nur der Vertreter Marduks, der Diktator, der König von Babylon, das Dämonische niederhalten und die Welt ins Lot bringen kann2. (Fs)

23a Solche Vorstellungen waren keine reinen Märchen: In ihnen drücken sich die unheimlichen Erfahrungen des Menschen mit der Welt und mit sich selber aus. Denn oft genug erscheint es wirklich so, als ob die Welt ein Drachenhaus und das Blut des Menschen Drachenblut wäre. Aber all diesen bedrängenden Erfahrungen gegenüber sagt der Bericht der Heiligen Schrift: So ist es nicht gewesen. Die ganze Geschichte von den unheimlichen Mächten schmilzt in einen halben Satz zusammen: »Die Erde war wüst und leer.« In den hier verwendeten hebräischen Wörtern stecken noch die Ausdrücke, die den Drachen, die dämonische Macht benannt hatten. Nun ist er nur noch das Nichts, gegenüber dem Gott als der allein Mächtige steht. Und gegenüber aller Furcht vor diesen dämonischen Mächten wird uns gesagt: Gott allein, die ewige Vernunft, die die ewige Liebe ist, hat die Welt geschaffen, und in seinen Händen steht sie. Auf diesem Hintergrund erst begreifen wir das Ringen, das hinter diesem biblischen Text steht, sein eigentliches Drama ist, daß er all diese verworrenen Mythen beiseite schiebt und daß er die Welt auf Gottes Vernunft und auf Gottes Wort zurückführt. Man könnte das Stück für Stück an diesem Text zeigen, etwa wenn nun Sonne und Mond als Lampen bezeichnet werden, die Gott aufhängt am Himmel, um die Zeiten zu messen. Für die Menschen von damals mußte es wie ein ungeheuerer Frevel erscheinen, die großen Gottheiten Sonne und Mond zu Lampen zwecks Zeitmessung zu erklären. Dies ist die Kühnheit, die Nüchternheit des Glaubens, der im Ringen mit den heidnischen Mythen das Licht der Wahrheit zum Vorschein bringt, indem er zeigt, daß die Welt nicht ein Streit der Dämonen ist, sondern daß sie aus Vernunft, aus Gottes Vernunft kommt und auf Gottes Wort steht. So erweist sich dieser Schöpfungsbericht als die entscheidende »Aufklärung« der Geschichte, als der Durchbruch aus den Ängsten, die den Menschen niedergehalten hatten. Er bedeutet die Freigabe der Welt an die Vernunft, die Erkenntnis ihrer Vernünftigkeit und Freiheit. Als die wahre Aufklärung erweist er sich aber auch darin, daß er die menschliche Vernunft festhält am Urgrund der schöpferischen Vernunft Gottes, um sie so festzuhalten in der Wahrheit und in der Liebe, ohne die Aufklärung maßlos und letzten Endes töricht wird. (Fs) (notabene)

24a Noch ein weiteres müssen wir hinzunehmen. Ich hatte eben gesagt, langsam, im Ringen mit der heidnischen Umwelt, im Ringen mit dem Herzen Israels erfährt dies Volk, was »Schöpfung« ist. Das schließt ein, daß der klassische Schöpfungsbericht nicht der einzige Schöpfungstext des heiligen Buches ist. Gleich nach ihm folgt ein weiterer, früher verfaßter, mit anderen Bildern. In den Psalmen stehen wieder andere, und nach ihnen geht das Ringen um die Klärung des Schöpfungsglaubens weiter: In der Begegnung mit dem Griechentum wird in der Weisheitsliteratur das Thema neu durchgeknetet, ohne daß man sich an die alten Bilder — wie die sieben Tage usw. — gebunden hielt. So können wir in der Bibel selbst sehen, wie sie die Bilder immer neu dem weitergehenden Denken anverwandelt; sie also immer neu umwandelt, um immer neu das eine zu bezeugen, das ihr wahrhaft aus Gottes Wort zugekommen ist: die Botschaft von seinem Schöpfertum. In der Bibel selbst sind die Bilder frei, korrigieren sich fortwährend und lassen so in diesem langsamen, ringenden Vorangehen durchscheinen, daß sie nur Bilder sind, die ein Tieferes und Größeres aufdecken. (Fs)

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