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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Im Anfang schuf Gott

Titel: Im Anfang schuf Gott

Stichwort: Schöpfung, Schöpfungsbericht: Differenz: Gestalt u. Gehalt (Inhalt u. Bild); Ausflucht oder Auslegung; krankes Christentum: keine Überzeugung, Verdecken d. Verlustes

Kurzinhalt: Damit verbindet sich auch noch ein weiteres Unbehagen. Man kann nämlich fragen: ... warum dann nicht auch anderswo, etwa bei den Wundern Jesu. Und wenn dort, warum dann nicht auch im Zentrum, beim Kreuz und bei der Auferstehung des Herrn.

Textausschnitt: 1. Die Differenz von Gestalt und Gehalt im Schöpfungsbericht

17a Nun, eine erste Weise von Antwort wurde schon vor langem erarbeitet, als das wissenschaftliche Weltbild sich allmählich kristallisierte; sie ist wahrscheinlich vielen von Ihnen im Religionsunterricht begegnet. Sie sagt so: Die Bibel ist kein Lehrbuch der Naturwissenschaft, sie will es auch nicht sein. Sie ist ein religiöses Buch, und deshalb kann man aus ihr keine naturwissenschaftlichen Auskünfte erhalten, nicht erfahren, wie die Weltentstehung naturgeschichtlich verlaufen ist, sondern nur religiöse Erkenntnis aus ihr gewinnen. Alles andere ist Bild, eine Weise, den Menschen das Tiefere, das Eigentliche faßbar zu machen. Man müsse unterscheiden zwischen Darstellungsform und dargestelltem Inhalt. Die Form sei aus dem Verstehbaren jener Zeit heraus gewählt, aus den Bildern, in denen die Menschen von damals lebten, in denen sie sprachen und dachten, in denen sie das Größere, das Eigentliche verstehen konnten. Und nur das Eigentliche, das durch die Bilder hindurchleuchtet, sei das wahrhaft Bleibende und Gemeinte. So wolle die Schrift uns nicht erzählen, wie die Pflanzenarten allmählich entstanden, wie Sonne und Mond und die Sterne sich herausbildeten, sondern letzten Endes nur eines sagen: Gott hat die Welt geschaffen. Die Welt ist nicht, wie die Menschen von damals weithin meinten, ein Gewirr einander widerstreitender Kräfte, sie ist nicht eine Behausung dämonischer Mächte, vor denen der Mensch sich schützen muß. Sonne und Mond sind nicht Gottheiten, die über ihm walten, und dieser Himmel über uns ist nicht von gegensätzlichen, geheimen Gottheiten durchlebt, sondern dies alles kommt nur aus einer Macht heraus, aus Gottes ewiger Vernunft, die im Wort Schöpfungskraft wurde. Dies alles kommt aus Gottes Wort, dem gleichen Wort, dem wir im Geschehen des Glaubens begegnen. Und so wurde den Menschen, indem sie erfuhren, daß die Welt aus dem Wort ist, nicht nur die Angst vor den Göttern und Dämonen weggenommen; die Welt wurde frei gemacht für die Vernunft, die sich zu Gott hin erhebt, und der Mensch wurde geöffnet, furchtlos diesem Gott zu begegnen. Er erfuhr in diesen Worten die wahre Aufklärung, die die Götter und die geheimen Mächte beiseite wischt und ihn erkennen läßt, daß nur eine Macht »an allen Enden ist und wir in ihren Händen«: der lebendige Gott, und daß dieselbe Macht, die diese Erde und die Sterne geschaffen hat, dieselbe Macht, die dieses ganze All trägt, es ist, der wir im Wort der Heiligen Schrift begegnen. In diesem Wort rühren wir an die eigentliche Urgewalt der Welt, an die eigentliche Macht über allen Mächten1. (Fs)

18a Ich glaube, daß diese Auskunft richtig ist. Aber sie genügt noch nicht. Denn wenn uns nun gesagt wird, daß wir unterscheiden müssen zwischen den Bildern und dem Gemeinten, dann kann man dagegen fragen: Warum hat man das eigentlich nicht früher schon gesagt? Denn offenbar muß man früher anders gelehrt haben, sonst hätte es ja den Prozeß um Galilei gar nicht geben können. So steigt der Verdacht auf, daß am Ende vielleicht doch diese Auskunft nur ein Trick der Kirche und der Theologen sei, die eigentlich am Ende sind mit ihrem Latein, aber es nicht zugeben wollen und daher eine Bemäntelung finden, hinter der sie sich verschanzen. Und insgesamt entsteht der Eindruck, daß die Geschichte des Christentums in den letzten vierhundert Jahren ein ständiges Rückzugsgefecht gewesen sei, in dem ein Stück nach dem anderen von den Behauptungen des Glaubens und der Theologie weggenommen worden ist. Freilich hat man immer irgendeinen Trick gefunden, um sich zurückziehen zu können. Aber die Angst ist fast unentrinnbar, daß wir allmählich doch ins Leere hinausgedrückt werden und daß der Augenblick kommen wird, wo nichts mehr zu verteidigen und zu bemänteln ist, wo das ganze Terrain der Schrift und des Glaubens durch eine Vernunft besetzt sein wird, die all dies nicht mehr im Ernst weiterbestehen läßt. Damit verbindet sich auch noch ein weiteres Unbehagen. Man kann nämlich fragen: Wenn die Theologen oder auch die Kirche die Grenzsteine zwischen Bild und Aussage, die Grenzsteine zwischen dem, was ins Vergangene versinkt, und dem, was gilt, so verschieben können, warum dann nicht auch anderswo, etwa bei den Wundern Jesu. Und wenn dort, warum dann nicht auch im Zentrum, beim Kreuz und bei der Auferstehung des Herrn. Eine Operation, die den Glauben verteidigen will, indem sie sagt: Hinter dem, was dasteht und was wir nicht mehr verteidigen können, ist etwas Eigentlicheres — eine solche Operation gerät oft erst recht zur Anfechtung des Glaubens, weil die Frage nach der Ehrlichkeit seiner Ausleger sich erhebt, weil die Frage sich erhebt, ob da überhaupt irgend etwas Festes ist. Bei nicht wenigen ist nach solcherlei theologischen Auskünften zuletzt der Eindruck zurückgeblieben, daß der Glaube der Kirche wie eine Qualle sei, wo man nirgends recht zugreifen, nirgends finden kann, wo der Kern ist, auf den man sich letztlich verlassen kann. Von den vielen halbherzigen Auslegungen des biblischen Worts her, die heute umlaufen und die mehr Ausflucht als Auslegung scheinen, rührt dieses Kranke eines Christentums, das nicht mehr wirklich zu sich selber steht und das daher nicht Ermutigung und Begeisterung ausstrahlen kann. Es vermittelt viel eher den Eindruck eines Vereins, der weiterredet, obwohl er eigentlich nichts mehr zu sagen hat, weil geschraubte Worte nicht mehr Überzeugung verkünden, sondern nur noch ihren Verlust zu verdecken suchen. (Fs) (notabene)

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