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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_076a3; Gnostiker, Manichäer: 3 Wesensgründe im Menschen; Thomas: nur eine Seele, weil: a) Form gibt das Sein; b) logische Aussage, 3 Arten: S ist P (Mensch ist ein Lebewesen: metaphysische Wesensteile;

Kurzinhalt: Der innere Kampf, den wir in uns erfahren, wenn ... beweist keine von der vernünftigen Seele sachlich verschiedene sinnliche Seele. Er beweist vielmehr die Einheit beider. Denn wir erfahren in uns nicht zwei Bewußtseinsträger, deren einer gegen ...

Textausschnitt: 3. ARTIKEL -- Die Verstandesseele die einzige Seele im Menschen

492b Ob Plato die drei Seelen als sachlich voneinander verschiedene Substanzen ansah oder ob er sie nur der Kraft nach voneinander unterschied, steht nicht fest. Einige Gnostiker und mittelalterliche Platoniker nahmen im Menschen drei voneinander verschiedene Seelen an. Viele Gnostiker und die Manichäer unterschieden im Menschen drei Wesensgründe: einen Leib, eine gute und eine böse Seele (Trichotomismus). Andere, wie Apollinaris (um 375), Occam (+ 1347), Günther (+ 1861) und Baltzer (+ 1871) sprachen von zwei sachlich verschiedenen Seelen im Menschen, von einer vernünftigen und einer sinnlichen. Demgegenüber beruft sich Thomas darauf, daß der Mensch nur ein einziges Lebewesen ist. Er hat also nur eine Wesensform. Denn die Form gibt dem Ding schlechthin Sein und Einheit. Wesensform des Menschen ist aber die vernünftige Seele (Art. 1). Folglich hat der Mensch nur diese eine vernünftige Seele. Hätte er der dreifachen Lebenstätigkeit entsprechend drei Seelen, also drei Formen, so wäre die Einheit seines Wesens aufgehoben. Diese bezeugt ihm aber, wie im 1. Artikel hervorgehoben ist, sein Bewußtsein: "Es ist derselbe Mensch, der von sich erkennt, daß er sowohl denkt als auch sinnlich erkennt." "Die Seele ist das Erste, wodurch wir uns ernähren, sinnlich wahrnehmen, uns räumlich bewegen, und ebenso das Erste, wodurch wir denken" (ebd.). — Derselbe Mensch also, der sich durch den auf sich selbst zurückgehenden Verstand als denkend erkennt, erkennt sich auch, ebenfalls durch den Verstand und mittels des Tast- und Gemeinsinnes, als sinnlich empfindenden Körper, der sich ernährt und wächst. Der innere Kampf, den wir in uns erfahren, wenn das sinnliche Begehren zu einem sinnlichen Gut hinneigt, das dem geistigen, vom Willen erstrebten Gut entgegen ist, beweist keine von der vernünftigen Seele sachlich verschiedene sinnliche Seele. Er beweist vielmehr die Einheit beider. Denn wir erfahren in uns nicht zwei Bewußtseinsträger, deren einer gegen den anderen kämpft, sondern einen und denselben, der nach zwei verschiedenen Seiten gezogen wird (vgl. GrPh 1, 348). (Fs)

Kommentar (25.11.11): zu oben: schönes Beispiel für Thomas' Wissen um Interiorität.

493a Zu dem zweiten Beweis, der sich auf die logische Aussageweise stützt, sei folgendes bemerkt: Leiten sich in einem Satz Satzgegenstand (Subjekt, S) und Satzaussage (Prädikat, P) von Formen oder Bestimmtheiten her, die sachlich voneinander verschieden sind, so liegt entweder eine zufällige Aussage vor: wenn nämlich die Formen nicht aufeinander hingeordnet sind; oder eine Aussage 'an und für sich', und zwar nach der zweiten Aussageweise des 'an und für sich': wenn die Formen so aufeinander hingeordnet sind, daß infolge dieser »Hinordnung das S in der Begriffsbestimmung des P steht. Ist aber die Form, von der S und P hergenommen werden, nur im Begriff zweifach auffaßbar, sachlich jedoch eine und dieselbe, so liegt eine Aussage nach der ersten Aussageweise des 'an und für sich', eine wesentliche Aussage vor. Im ersten Fall bezeichnet das P ein Akzidens des S, im zweiten eine Eigentümlichkeit und im dritten einen Wesensbestandteil. Bei dem Satz: das Weiße ist süß, handelt es sich um eine zufällige Aussage: die in Betracht kommenden Formen Weiß und Süß sind sachlich verschieden und haben keinerlei Hinordnung zueinander, und Süß-sein ist ein Akzidens des Weißen. Bei dem Satz: der Körper, der eine Oberfläche hat, ist gefärbt, handelt es sich um eine Aussage nach der zweiten Weise des 'an und für sich': die Formen, von denen sich S und P herleiten, Oberfläche und Farbe, sind sachlich voneinander verschieden und aufeinander hingeordnet, so daß das S in der Begriffsbestimmung des P steht und das P eine Eigentümlichkeit des S bezeichnet: die Oberfläche ist Voraussetzung der Farbe: ohne einen Körper mit einer Oberfläche ist ein Gefärbtsem nicht denkbar; und gefärbt zu sein ist dem Körper, der eine Oberfläche hat, eigentümlich. Wenn sich demnach in dem Satz: der Mensch ist ein Sinnenwesen, S und P von zwei sachlich verschiedenen Formen herleiten würden, m. a. W. wenn Verstandes- und Sinnenseele in demselben Menschen sachlich voneinander verschieden wären, so läge entweder eine zufällige Aussage vor oder eine Aussage 'an und für sich' nach der zweiten Weise des 'an und für sich'. Keines von beiden aber trifft in Wirklichkeit zu. Ersteres nicht, denn 'Sinnenwesen' wird vom Menschen wesentlich ausgesagt, 'Sinnenwesen' ist metaphysischer Wesensbestandteil des Menschen und nicht ein Akzidens; letzteres nicht, denn nicht 'Mensch' steht in der Wesensbestimmung von 'Sinnenwesen', sondern umgekehrt; noch ist 'Sinnenwesen' als metaphysischer Wesensteil eine Eigentümlichkeit des Menschen. Es liegt also eine wesentliche Aussage nach der ersten Weise des 'an und für sich' vor. Infolgedessen sind Verstandes- und Sinnenseele im Menschen nicht zwei sachlich verschiedene Formen, sondern eine und dieselbe und können nur begrifflich unterschieden werden. — (Fs)

494a Was den Einfluß der verschiedenen Lebenstätigkeiten aufeinander angeht, so weiß z. B. jeder aus eigener Erfahrung, daß nach der Mahlzeit der Verstand zu angestrengtem Denken weniger aufgelegt ist. Da dann der ganze Organismus damit beschäftigt ist, die Speisen zu verarbeiten und zu assimilieren, wird das Gehirn behindert, der Phantasie zu dienen (vgl. auch Anm. [12]). (Fs)

494b Zum Schluß sagt Thomas, die Verstandesseele sei zugleich Sinnen- und Nährseele, sofern sie als die vollkommenste unter den Seelen 'der Kraft nach' alles das enthält und leistet, was die Sinnenseele im Tier und die Nährseele in der Pflanze enthält und leistet. In der vernünftigen menschlichen Seele ist, wie man heute sagt, die ernährende und die sinnliche Seele als solche in höherer Weise enthalten. Denn auch die diesen Seelen eigentümlichen Tätigkeiten sind als solche im Menschen und haben die vernünftige Seele als Lebensgrund. Die eine Seele ist zugleich der Grund des vernünftigen, des sinnlichen und des ernährenden Lebens. Sie ist also zugleich vernünftig, sinnlich und ernährend. (Fs)

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