Autor: Thomas, Aquin von Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06 Stichwort: Kommentar zu F1_076a2; Unmöglichkeit der Annanhme: ein Verstand für alle Kurzinhalt: so gibt es bei Annahme nur eines Verstandes bloß einen Denkenden; und da das Denken nicht wie die Sinneswahrnehmung mit Hilfe eines körperlichen Organes stattfindet, auch nur eine Denktätigkeit: alle Menschen wären ein Denkender mit einer Denktätigkeit. Textausschnitt: 2. ARTIKEL -- Vielheit der Menschenseelen
492a Das Ansehen, das die Verteidiger der Einzigkeit des Verstandes (eines Verstandeswesens) zu seiner Zeit besaßen, und der Umstand, daß diese Lehre folgerichtig zur Aufhebung der persönlichen Verantwortung und der persönlichen Unsterblichkeit des Einzelnen führen müßte, veranlaßt den hl. Thomas, in einem eigenen Artikel die Vielheit der verstandbegabten Seelen zu verteidigen: 1. Nach der Ansicht Platos ist die verstandbegabte Seele der ganze Mensch. Wenn nun Sokrates und Plato nur einen Verstand haben, sind sie ein Mensch und unterscheiden sich nicht substantiell, sondern nur ganz nebensächlich voneinander. 2. Nach Aristoteles ist die Seele Wesensform. Es ist aber unmöglich, daß mehrere der Zahl nach verschiedene Wesen nur eine Form haben: sie hätten nur ein Sein, da die Form das Sein gibt. 3. Wie immer man sich aber auch den einzigen Verstand mit diesem und jenem Menschen vereint denken mag: da der Verstand im Menschen das Haupttätige und alles andere, worin oder wodurch sich der Verstand in dem Einzelnen betätigen soll, Werkzeug ist, so gibt es bei Annahme nur eines Verstandes bloß einen Denkenden; und da das Denken nicht wie die Sinneswahrnehmung mit Hilfe eines körperlichen Organes stattfindet, auch nur eine Denktätigkeit: alle Menschen wären ein Denkender mit einer Denktätigkeit. Wenn der Gegenstand wechselt, ist freilich auch eine neue Denktätigkeit da, aber das beweist noch keine Mehrheit von Denkenden. Auch die Verschiedenheit der Phantasiebilder in den einzelnen Menschen spräche weder für die Verschiedenheit der Denktätigkeiten noch für die der Denkenden (vgl. Art. 2). Denn die Phantasiebilder sind nicht die Form, mittels derer der Verstand erkennt, sondern die aus den Phantasiebildern mit Hilfe des tätigen Verstandes gewonnenen geistigen Erkenntnisbilder (vgl. Fr. 85). Und zwar wird gewöhnlich aus mehreren Phantasiebildern in einem Menschen ein geistiges Erkenntnisbild gewonnen, das einer Denktätigkeit dient, so daß die Verschiedenheit der Phantasiebilder in den einzelnen Menschen auch aus diesem Grund nicht für eine Verschiedenheit der Denktätigkeit in Betracht kommen könnte. "Es ergibt sich also, daß es ganz und gar unmöglich und ungereimt ist, nur einen Verstand für alle Menschen anzunehmen." ____________________________
|