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Autor: Navarro-Vals, Joaquin

Buch: Begegnungen und Dankbarkeit

Titel: Begegnungen und Dankbarkeit

Stichwort: Laie - Priester; Konstantin, Theodosius; Christentum: Relativierung d. Politik; extremer Laizismus: Klerikalismus; Freiheit: Wille zum Gemeinwohl, Ausdruck gemeinsamer Werte (nicht bloß negative Freiheit)

Kurzinhalt: Mithin ist die Politik von der Religion unterschieden, kann sich aber keine nichtethischen Ziele setzen, weil solche Ziele nicht die Kirche als Institution, sondern den Menschen ... betreffen

Textausschnitt: Wer ist ein Laie?

193c Zurzeit wird viel über Laizität und Laizismus gesprochen, und das ist sicherlich kein Zufall. Ich wage die Prognose, dass dieses Thema noch über Jahre hinaus im Zentrum der öffentlichen Debatten stehen wird. (Fs)

Im Grunde ist es ein alter Streit, ja, vielleicht ist es sogar die politische Diskussion schlechthin, die uns mittlerweile seit Jahrtausenden und womöglich schon immer mit ihrer unvermeidlichen Ambivalenz begleitet. Andererseits lässt sich der Begriff Laie bekanntlich unterschiedlich oder sogar widersprüchlich interpretieren und deuten. (Fs)

193d Historisch gesehen war die Kategorie der Laien lange Zeit der der Priester gegenübergestellt. Ihr nicht immer ganz einfaches Verhältnis hat jedoch in der lateinischen Welt zumindest ein Gutes gehabt: Es hat eine klare und eindeutige Unterscheidung zwischen dem Politischen und dem Religiösen, zwischen Staat und Kirche ermöglicht. (Fs)

194a Nach den ersten beiden Jahrhunderten einer echten Feindseligkeit des Staates gegenüber der noch jungen Kirche wurde das Imperium zunehmend christlich — zunächst formell mit Konstantin und dann, mit Theodosius, auch ideell. Seit dem vierten Jahrhundert fanden die christlichen Lebensregeln überdies auf dem juristischen Weg Einlass in die Organisation des zivilen Lebens. (Fs)

Die Unterscheidung zwischen weltlich und geistlich hat sich schon in der Antike durchgesetzt, weil die Geschicke des Menschen, die sich auf dem persönlichen existentiellen und zeitlichen Lebensweg jedes Einzelnen verwirklichen, aus christlicher Sicht auf ein Schicksal ausgerichtet sind, das überhistorisch ist und sich in der Ewigkeit erfüllt. Deshalb unterschied man mit der Zeit immer deutlicher zwischen dem im eigentlichen Sinne religiösen und dem politischen Raum. (Fs)

194b Außerdem verband sich mit dem Christentum eine zunehmende Relativierung der Politik: Über allen öffentlichen Angelegenheiten stand nun die Würde der menschlichen Person, und damit hatte die Politik an sich nichts Sakrales oder Göttliches mehr in sich. Langsam, aber sicher wurden den Exzessen der Macht die Zügel angelegt und sie erhielten ein ethisches Korrektiv: Missbräuche und Ungerechtigkeiten wurden begrenzt und wirkungsvoll kontrolliert. (Fs) (notabene)

Trotz alledem kam es im Mittelalter zu einer immer stärkeren Vermischung des zeitlichen und des geistlichen Bereichs, und diese Verschmelzung hat die großen Ideale des Christentums spürbar geschwächt. (Fs)

194c In der Neuzeit wurde diese Zweiteilung in einen zeitlichen und einen weltlichen Bereich auf verschiedenen Etappen wiederhergestellt, wobei sich die Vergangenheit und das Misstrauen, mit dem die beiden "Gewalten" einander begegneten, jedoch als ein schwieriges Erbe erwiesen. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat die Situation endlich wieder zu ihrer ursprünglichen Klarheit zurückgefunden: Den Laien wurde die ausschließliche Rolle und ureigene Aufgabe zuerkannt, die irdische Stadt zu organisieren, ohne sich eine Einmischung vonseiten anderer gefallen lassen zu müssen. (Fs)

195a In der heutigen Zeit ist es jedoch nicht ganz einfach, einerseits eine unnötige Präsenz der Amtskirche in zeitlichen Dingen zu vermeiden und andererseits zu garantieren, dass der Normalbürger nach wie vor die Möglichkeit hat, im öffentlichen oder sogar politischen Bereich seinen eigenen Glaubensüberzeugungen treu zu bleiben. Vor allem stellt sich die Frage, welche ethischen Grenzen ein Volk hinsichtlich der zivilen Gesetzgebung des Staates beachten muss. All das ist nicht nur unter einem konstitutionellen, sondern auch unter einem im eigentlichen Sinne menschlichen Blickwinkel wichtig. (Fs)

Die Anerkennung der organisatorischen Unabhängigkeit des Staates und der uneingeschränkten Freiheit des Individuums hat neue Probleme aufgeworfen - an erster Stelle das Problem des umfassenden Verlusts von Kriterien und Werten, auf denen sich eine Gesellschaft aufbauen lässt. (Fs)

195b Denn es kann nicht genügen, einfach nur für den negativen Wert der absoluten Unabhängigkeit des politischen vom religiösen Bereich einzutreten. Ein derart extremer Ansatz lässt vergessen, dass die Politik selbst dem Religiösen gegenüber bei aller Entschlossenheit niemals völlig gleichgültig sein kann. Die Religion nämlich hat erst an zweiter Stelle mit der Kirche, an erster Stelle aber mit den Personen zu tun, die Bürger und Gläubige sind. Und eine radikale Neutralität des Staates gegenüber jeder religiösen Frage kann dazu führen, dass alle grundlegenden Kriterien und Werte nur mehr hohle Floskeln sind, während die wirkliche Macht allein in den Händen derer liegt, die ihre Meinung am nachdrücklichsten zu artikulieren verstehen. (Fs)

Es ist kein Zufall, dass ein Philosoph, der die Entwicklung der Moderne so aufmerksam verfolgt wie Jürgen Habermas, die Notwendigkeit verspürt hat, zu einer echten und eigentlichen "Diskursethik" zurückzukehren, um zu verhindern, dass die Kommunikation als Werkzeug ohne moralische Regeln benutzt wird. (Fs)

195c Ein extremer Laizismus stellt überdies nicht anders als der Klerikalismus eine ganz spezielle Form der Verschmelzung zwischen dem politischen und dem religiösen Bereich dar, die sich in einem apriorischen Ausschluss des religiösen Phänomens manifestiert und sogar zu einer ungerechtfertigten Einschränkung der persönlichen Freiheit führen kann. (Fs)

196a Auch hier gilt es, Missverständnisse zu vermeiden. (Fs)

Zwar kann die Politik des Staates von den religiösen Bekenntnissen der Bürger dieses Staates getrennt und unterschieden werden, doch ist es undenkbar, dass die Religionen im eigenen, ausschließlich zivilen Bereich zwangsläufig in die Sphäre des Gewissens verbannt und aus einem so authentisch menschlichen Raum wie dem der Politik herausgehalten werden sollen. (Fs)

196b Wenn die Politik die Lebensorganisation des Menschen in der Gesellschaft betrifft, dann ist sie ein Vorrecht der Laien und muss sich durch menschliche Werte artikulieren, die von den verschiedenen religiösen Konfessionen geteilt und für grundlegend erachtet werden. (Fs)

In diesem Sinne hat Ratzinger vor einigen Jahren Folgendes erklärt: "Während auf der einen Seite eine theokratische Konzeption abgelehnt und auf der Rationalität der Politik bestanden wird, schließen wir auf der anderen auch einen Positivismus aus, nach dem die Vernunft blind wäre für die moralischen Werte. Wir sind davon überzeugt, dass die Vernunft die Fähigkeit besitzt, die großen moralischen Imperative zu erkennen und auch die großen Werte, die bei allen konkreten Entscheidungen ausschlaggebend sein müssen." (Fs)

196c Mithin ist die Politik von der Religion unterschieden, kann sich aber keine nichtethischen Ziele setzen, weil solche Ziele nicht die Kirche als Institution, sondern den Menschen in seinen freien und verantwortungsbewussten zivilen Entscheidungen und in seiner freien und verantwortungsbewussten Lebensorganisation betreffen. (Fs)

196d Die Vorstellung von Werten, die der Politik von den Religionen aufgezwungen werden, lässt sich nicht mit einem wirklich demokratischen System vereinbaren, doch dasselbe gilt auch für eine Politik, die die Bürger — womöglich durch den Vorwurf des Klerikalismus — daran hindert, ethische Entscheidungen zu treffen und zu unterstützen, die mit ihrer eigenen Lebens- und Denkweise übereinstimmen. (Fs)

197a So verstanden kann Freiheit nur entstehen und wirken, wenn sie sich als politischer Wille zum Gemeinwohl artikuliert: als Ausdruck wirklich gemeinsamer Werte und nicht einfach nur als Verteidigung dessen, was man erlaubterweise tun darf, ohne eine Straftat zu begehen. (Fs) (notabene)

Während also die Politik darauf verzichten muss, in Vorgänge einzugreifen, die den explizit religiösen Bereich betreffen, und die Kirche ihrerseits nicht direkt in Form einer ungebührlichen Einmischung in explizit politische Vorgänge eingreifen darf, trifft es andererseits auch zu, dass die Politik nicht von der Religion getrennt werden kann, ohne an Konsistenz, Dichte und einer nicht nur menschlichen, ethischen Gültigkeit zu verlieren. (Fs)

197b Im Grunde gibt es einen wesentlich religiösen Raum innerhalb der Politik, und dieser Raum ist der Bereich der grundlegenden Werte und drückt sich in den Regeln aus, die ein Volk sich hin und wieder freiwillig gibt. (Fs)

Es versteht sich von selbst, dass ein gläubiger oder nichtgläubiger Normalbürger jedes Recht hat, konkret am zivilen Leben teilzunehmen und eine Politik anzustreben, die mit seinen eigenen ethischen Werten übereinstimmt, seien diese nun religiös oder nicht. (Fs)

197c Auch als gläubiger Katholik bleibt er ein Laie und kann von keiner Instanz dazu gezwungen werden, ein Amtskatholik zu werden, im Gegenteil: Wie alle anderen Bürger auch behält er das Recht, für diejenigen Werte einzutreten, die er für die richtigen hält, und mit denjenigen nicht übereinzustimmen, die er für ungerecht hält. Es muss ihm frei stehen, sich persönlich zu engagieren, um seine eigenen Vorstellungen auch politisch umzusetzen. (Fs)

197d Diese Sichtweise ist vor allem deshalb gültig, weil es für einen echten Laien nur eine einzige Alternative zu einer derartigen — nicht laikalen — Haltung gibt, und das ist die Heuchelei. Die Heuchelei aber ist weder eine religiöse noch eine politische Tugend. (E)

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