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Autor: Navarro-Vals, Joaquin

Buch: Begegnungen und Dankbarkeit

Titel: Begegnungen und Dankbarkeit

Stichwort: Reagan, Johannes Paul II.; Kommunismus, Breschnew; Glasnost, Perestroika; Werte, Menschenrechte

Kurzinhalt: Der Kommunismus ist damals nicht untergegangen, weil die Vereinigten Staaten den Kalten Krieg gewonnen hätten ..., sondern weil ein Mann der Religion, ein Papst, ein Mann aus dem Osten das Gewissen von Ost und West auf dem allgültigen Altar der ...

Textausschnitt: Reagan, Johannes Paul II. (eü)

34d Für Reagan war der Kommunismus das Reich des Bösen, der materielle Feind Amerikas. Er war für ihn die militärische Konkretisierung all dessen, was dem amerikanischen Ideal widersprach. Deshalb benutzte er stets eine sehr leidenschaftliche, geradezu artilleristische Sprache — Ausdruck einer kriegerischen Feindseligkeit —, um das amerikanische Volk zum Kampf gegen jene Macht aufzurufen, die die personifizierte Verneinung aller demokratischen und freiheitlichen Ideale war: die Sowjetunion. Wie anders sollte man die Errichtung des Raketenabwehrschilds oder die Absicht erklären, Europa mit Kurzstreckenmis-siles zu militarisieren? (Fs)

34e Johannes Paul II. hingegen war seit seiner ersten Polenreise 1979 davon überzeugt, dass es in der sowjetischen Frage nicht primär um ein antiwestlich eingestelltes Volk, sondern um eine totalitäre und unterdrückende Diktatur ging, die die Slawen tyrannisierte. Andererseits sah er die Angelegenheit in erster Linie aus der Sicht eines Polen. Für ihn war der Kommunismus keine Frage von Ideen, sondern von Rechten, die mit Füßen getreten wurden. Für Reagan ging es darum, die freien Bürger gegen die unterdrückende Gewalt des großen ideologischen Feindes zu mobilisieren. Und für Johannes Paul II. darum, dass die Nationen des Ostens sich von der kommunistischen Diktatur befreien mussten. Reagans Politik war von der Vorstellung eines westlichen Sieges inspiriert, während Wojtyla das nationale Selbstbewusstsein der slawischen Völker am Herzen lag, denen der sowjetische Totalitarismus gleichsam die Luft abschnürte. (Fs)

35a Im Grunde war Reagans These nichts Absonderliches, sondern stieß damals in fast ganz Westeuropa auf Zustimmung. Die Idee von Wojtyla hingegen erschien unrealistisch, ja geradezu subversiv: Nur wenige verstanden und praktisch niemand teilte sie. In beunruhigend vielen Kanzlerämtern hörte man gebetsmühlenartig wieder und wieder denselben Satz: "Gewiss, die Teilung Europas, wie sie in Jalta zustande gekommen ist, ist ein Unrecht, aber sie hat den Frieden ermöglicht. Die Berliner Mauer ist der Preis, den man für dieses Ergebnis zahlen muss." (Fs)

Diese Betrachtungsweise war logisch, jedoch bei näherem Hinsehen unmenschlich. Ihre Unvereinbarkeit mit den Vorstellungen von der Menschenwürde, die Johannes Paul II. als Professor entwickelt hatte und die er nun bei jeder sich bietenden Gelegenheit mutig vertrat, hat sich mir geradezu ins Gedächtnis eingebrannt. Der Papst hatte seine ganze Strategie darauf ausgerichtet, seine Landsleute für die grundlegenden und scheinbar völlig unpolitischen Prinzipien der Anthropologie und Ethik zu sensibilisieren. Das ist der Schlüssel zum Verständnis seines unermüdlichen Eintretens für die Rechte der religiösen Ausdrucksfreiheit und jenes eindringlichen Appells, der mir noch heute in den Ohren klingt: "Mensch des Ostens, sei du selbst!" (Fs)

35b Mit den Jahren wuchs in Johannes Paul II. zum einen die Überzeugung, dass dieser menschliche, personale und kulturelle Feldzug der richtige Weg war, und damit zum anderen auch der Wunsch, seine ethische Einstellung in aller Klarheit und Ausführlichkeit so zu artikulieren, dass deutlich wurde, worin sie sich von der der anderen unterschied. Vor allem aber wollte er sich von Reagans politischem und ideologischem Feldzug abgrenzen und das nicht ideologische, sondern philosophische, anthropologische und religiöse Profil seiner Ostpolitik herausstellen. (Fs)

36a All dies zeigte sich auf der Reise, die uns 1987 in die Vereinigten Staaten führte und bei der er wieder einmal mit Präsident Reagan zusammentraf. Dieser empfing ihn am Flughafen von Miami, wo sie lange miteinander sprachen. Natürlich brachte Reagan Wojtyla große Bewunderung entgegen. Und ich erkannte, dass diese Bewunderung aufrichtig war. Doch im selben Moment erkannte ich auch — nicht zuletzt am Stil und an den Gesten der beiden Männer - die gewaltige Entfernung, die ihre Missionen voneinander trennte. (Fs)

36b Das, was ich damals gelernt habe, hilft mir noch heute, wenn ich mir ein Urteil über die öffentliche Meinung als solche bilden muss. Sowohl Johannes Paul II. als auch Ronald Reagan verfügten über außerordentliche kommunikative Fähigkeiten. Sie waren es gewohnt, im Rampenlicht zu stehen und konnten mit ihrem persönlichen Charisma die Massen mitreißen. Doch das Ziel, das Johannes Paul II. vor Augen hatte, war nicht Amerika oder der Antikommunismus und im Grunde auch nicht irgendeine idealisierte libertäre neokapitalistische Gesellschaft: Sein Ziel war die absolute und transzendente Würde der menschlichen Person. Wenn dieser höchste Wert zu einem politischen Ziel wird, kann man sich nicht mehr mit bilateralen Verträgen und Verhandlungen begnügen. Dann ist das einzig akzeptable Resultat die reale Anerkennung der Rechte und die konkrete Unterstützung des Gemeinwohls. (Fs) (notabene)

36c Für Reagan waren die Welt, die Personen und die Völker nichts weiter als ein großes Schachbrett voller Figuren, auf dem er seine eigene politische Partie ausfocht. Auch die Menschenrechte und die mit Füßen getretenen Freiheiten waren nichts anderes als Machtinteressen, die auf dem Spiel standen. Und über Werte konnte man verhandeln wie über alles andere auch - notfalls indem man humanitäre Hilfe zugestand oder verweigerte. (Fs)
37a Nichts von alledem hatte auch nur das Geringste mit dem Denken und Fühlen Johannes Pauls II. zu tun. Mit derselben Einfachheit, mit der er hinter einem Politiker immer auch die Zerbrechlichkeit und Größe einer wirklichen Person sah, war er auch imstande, in einem Volk eine Gesamtheit von Bürgern und Familien zu sehen, denen keine demokratische oder kommunistische Politik ihre Würde, Freiheit und Hoffnung nehmen durfte. Die Kapitalismuskritik, die sich kurze Zeit später in der 1991 promulgierten Enzyklika "Centesimus annus" Bahn brach, kristallisierte sich schon damals mit extremer Klarheit in ihm heraus und zeigte sich in seinem Verhalten, das heißt in der konkreten Praxis und authentischen Menschlichkeit seiner Beziehungen zu den anderen. (Fs)

37b Damals begann, ohne dass wir es bemerkten, der Boden unter unseren Füßen zu wanken. Es war, als ob ein unterirdischer Fluss die auf Gewalt fußende architektonische Statik der beiden gegnerischen Blöcke unterspülte. Tatsächlich hat die öffentliche Meinung erst 1989 begriffen, wie sich der Großeinsatz des Papstes auch auf all die anderen internationalen Begegnungen ausgewirkt hatte. Natürlich bereitete man große Reformen vor, auch wenn Perestroika und Glasnost zumindest für mich schon seit einem Jahr eine bekannte Realität waren — seit ich 1988 mit Casaroli nach Moskau gereist war und Gorbatschow uns im Kreml empfangen hatte. Aber es ging eindeutig um mehr. Hätten wir abwarten müssen, bis die Stunde der Diplomatie schlug, dann wäre vielleicht bis auf den heutigen Tag alles unverändert geblieben. Womöglich hätte sich dann sogar die Prophezeiung erfüllt, dass der Kommunismus niemals untergehen würde. Doch der Umschwung hatte bereits begonnen — und wie! Gorbatschow hatte die Botschaft Johannes Pauls II. wirklich verstanden. Er hatte gespürt, dass in seinem und in Wojtylas Herzen dieselben slawischen Saiten vibrierten und von demselben Bogen in Schwingung versetzt wurden: dem ethischen Gewissen. (Fs)

37c Ich erinnere mich noch daran, wie beeindruckt ich war, als ich im Jahr darauf während des Treffens zwischen Gorbatschow und dem Papst im Vatikan feststellte, dass der einst völlig idealistische und vielleicht sogar utopische Plan Johannes Pauls II. nun im Begriff war, über jede Strategie und jede Kanzlerbehörde zu siegen - und die Regierenden der Welt sahen mit offenen Mündern zu. Und auch als die ganze Welt zur Beerdigung Johannes Pauls II. auf dem Petersplatz zusammenströmte, musste ich an alle diese Dinge denken. (Fs)

38a Der Kommunismus ist damals nicht untergegangen, weil die Vereinigten Staaten den Kalten Krieg gewonnen hätten oder weil der Raketenschild die kriegerischen Träume des großen Russland hätte zerplatzen lassen, sondern weil ein Mann der Religion, ein Papst, ein Mann aus dem Osten das Gewissen von Ost und West auf dem allgültigen Altar der Menschenrechte vereint hatte. (Fs) (notabene)

38b Und am Ende des Jahrzehnts erwies sich Reagan, aus historischer Sicht der Sieger, als ebenso besiegt wie Breschnew, weil er zwar viele politische Ideale, ein unbestreitbar geniales Gefühl für die Stimmungen des amerikanischen Volkes und ein großes Yankee-Charisma, nicht aber die eigentlich mächtige Waffe besessen hatte, über die Johannes Paul II. in jener Zeit verfügte: die Macht der universalen anthropologischen Werte und den unerschütterlichen Glauben an die menschliche Person als solche. (E)

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