Autor: Thomas, Aquin von Buch: Über Seiendes und Wesenheit Titel: Über Seiendes und Wesenheit Stichwort: Kurzinhalt: Textausschnitt: Das Kapitel IV
Das Kapitel IV geht [54] zur Untersuchung der Wesenheit in den abgetrennten Substanzen über, d.h. was sie bei der Seele, beim Vernunftwesen ('Intelligenz') und der ersten Ursache (Gott) ist. (XVI; Fs)
[55] Alle Philosophen stimmen darin überein, daß nur die erste Ursache in sich gänzlich einfach ist, die anderen abgetrennten Substanzen hingegen zusammengesetzt. Indes nehmen Avicebron und andere für das Vernunftwesen und die Seele eine Zusammensetzung aus Form und Materie an. Doch läßt sich diese Annahme nicht halten. (XVI; Fs)
[56-58] Argumente und Widerlegung eines Einwandes. So bleibt nur übrig, daß die Vernunftwesen aus Form und Sein zusammengesetzt sind. (XVII; Fs)
[59] Die weitere Untersuchung geht von der Feststellung aus, daß bei einer Zusammensetzung aus zwei Prinzipien dasjenige, das Seinsursache für anderes ist, von ihm dem Sein nach unabhängig ist. (XVII; Fs)
[60] So verhält sich nun die Form als Seinsursache gegenüber der Materie und ist daher von dieser dem Sein nach unabhängig. (Dies gilt in höchstem Maße von der ersten Form, der ersten Ursache, Gott.) (XVII; Fs)
[61] Wenn einige Formen sich an Materie finden, so nur deshalb, weil sie von der ersten Ursache zu weit entfernt sind. (XVII; Fs)
[62] Andere Formen, die der ersten Ursache am nächsten stehen, sind ohne Materie. Zu ihnen gehören die Vernunftwesen. (XVII; Fs)
[63] Es ergeben sich folgende Unterschiede zwischen der Wesenheit in der zusammengesetzten und in der einfachen Substanz: Die Wesenheit der zusammengesetzten Substanz umfaßt Form und Materie (und ist somit selbst auch zusammengesetzt), während die der einfachen Substanz nur Form ist. (XVII; Fs)
[64] Ferner kann die Wesenheit von der zusammengesetzten Substanz als ganzer und als Teil betrachtet werden, je nachdem ob in ihr die 'anzeigbare' Materie unbestimmt eingeschlossen oder überhaupt ausgeschlossen sein soll. (XVII; Fs)
[65] Dagegen bedeutet die Wesenheit der einfachen Substanz diese immer als ganze und d.h. als Form, da es außer der Form hier keine Materie gibt. (XVII; Fs)
[66] Ein weiterer Unterschied ist der, daß die Wesenheit einer Art (Species) der zusammengesetzten Substanzen in einer Vielheit von Individuen auftritt, die sich auf verschiedene Materien verteilt. Dagegen ist bei den abgetrennten Substanzen, die keine Materie mehr haben, jedes Individuum eine eigene Art (Species). (XVII; Fs)
[67] Die abgetrennten Substanzen, die nicht mehr aus Form und Materie zusammengesetzt und insofern einfach sind, haben doch eine Zusammensetzung anderer Art, nämlich aus Potenz und Akt. Bei ihnen sind nämlich Wesenheit und Sein verschieden; denn das Sein ist kein Bestandteil der Wesenheit, und diese wird ohne das Sein eingesehen. (Wesenheit und Sein verhalten sich zueinander wie Potenz und Akt.) (XVIIf; Fs)
[68] Nur bei der ersten Substanz, der ersten Ursache, ist das Sein mit ihrer Wesenheit identisch. [69] Weitere Bestimmungen zur ersten Substanz. (XVIII; Fs)
[70] Bei den anderen abgetrennten Substanzen hingegen kommt zur Wesenheit oder Form das Sein als von ihr verschieden hinzu (so daß sie aus Form und Sein zusammengesetzt sind). (XVIII; Fs)
[71] Beweis, daß es eine erste Ursache, Gott, gibt. [72] Und diese Ursache muß eine erste sein, deren Wesenheit das Sein selbst ist und mit Gott gleichgesetzt wird. (XVIII; Fs)
[73] Da die zusammengesetzten Substanzen von der ersten Ursache das Sein empfangen, müssen sie sich in ihrer Wesenheit / Form potentiell gegenüber dem empfangenen Sein als Akt verhalten. (XVIII; Fs)
[74] Somit sind die abgetrennten Substanzen (außer der ersten) aus Potenz und Akt zusammengesetzt, nicht aber aus Materie und Form. (XVIII; Fs)
[75] Jede abgetrennte Substanz von solcher Art ist als Vernunftwesen mit ihrer Wesenheit identisch. Das Sein hat sie als das, wodurch sie ist, die Wesenheit aber als das, was sie ist. (XVIII; Fs) (notabene)
[76] Durch die Zusammensetzung aus Potenz und Akt läßt sich die Vielfalt von Vernunftwesen erklären, und zwar in der Weise, daß die je höheren Wesen, die der ersten Ursache (dem reinen Akt) immer näher kommen, mehr Wirklichkeit (Aktualität) und weniger Möglichkeit (Potentialität) haben. (XVIII; Fs)
[77] In dieser Rangordnung folgt die menschliche Seele an unterster Stelle und ist nur Möglichkeit, als 'mögliche Vernunft', gegenüber der aktuellen Erkenntnis der intelligiblen Formen. (XVIII; Fs)
[78] Daher verbindet sich mit ihr ein materieller Körper (der ihr zum Übergang zu aktueller Erkenntnis dient). Mit dem Körper bildet sie ein Zusammengesetztes, den Menschen. Das Sein eignet dem ganzen Menschen, wird aber von der Seele verursacht und hängt nicht vom Körper ab (der vielmehr am Sein teilhat) (XVIII; Fs)
[79] Unterhalb der Formen der Vernunftwesen und Seelen folgen in der Rangordnung die körperlichen Formen, die der (ersten) Materie immer näher kommen und damit immer weniger Aktualität zeigen. Auf unterster Stufe finden sich die Formen der Elemente, als gewisse aktive und passive Qualitäten von ihnen. (XVIIIf; Fs) ____________________________
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