Autor: Scheffczyk, Leo Buch: Katholische Glaubenswelt Titel: Katholische Glaubenswelt Stichwort: Katholizität, katholisch; der ökumenische Impuls; innerhalb der Konfessionen: Trennungslinien, Front- und Fraktionsbildungen; "Ökumenismus nach innen" Kurzinhalt: Dem "Ökumenismus nach außen" muss der "Ökumenismus nach innen" vorausgehen oder jenem wenigstens gleichgeschaltet sein. Dieser "innere Ökumenismus" aber verlangt nach Erkenntnis des eigenen Wesens ... Textausschnitt: c. Der ökumenische Impuls
18b Es mag zunächst als eine gewagte und unbeweisbare Behauptung erscheinen, dass die Identitätsbestimmung des eigenen Seins und Wesens und damit die Einheitserfassung der eigenen Konfession das Anliegen der ökumenischen Bewegung nicht durchkreuze, sondern zu seiner Förderung beitrage. Auf den ersten Blick erscheint die gegenteilige Meinung besser begründet, dass nämlich die Suche nach dem eigenen Wesen und die Bestimmung seiner Identität nur der Versteifung auf die eigene Position diene und das Zueinanderstreben verhindere. Aber schon die "Symboliker" des 19. Jhs., die zugleich auch ein ökumenisches Anliegen verfolgten,1 waren von der Untrennbarkeit beider dieser Bewegungs- und Arbeitsrichtungen überzeugt, der Bestimmung des Eigenen wie des Verstehenlernens des anderen. Am Ende gelangten deshalb auch manche von ihnen, wie oben angedeutet, auch zu ganz irenischen Einigungsvorschlägen, die nur wieder den Nachteil hatten, dass sie den zuvor so betont hervorgekehrten eigenen Standpunkt relativierten. (Fs)
18c Wie sehr die beiden Bewegungsrichtungen zusammengehören und wie auch aus der Identitätsbestimmung ein ökumenischer Impuls erwachsen kann, hat K. v. Hase, gegen Möhler gewandt, mit dem Hinweis verdeutlicht, dass die Bestimmung des eigenen Standpunktes wie auch die damit gegebene Auseinandersetzung eine Art "Irenik" sei, die "Klarheit darüber" erstrebe, "wie weit man sich anerkennen und einander aufrichtig nähern dürfe".2 Beide genannten Theologen, der evangelische wie der katholische, waren von dem Bewusstsein durchdrungen, dass die Bestimmung des eigenen Bekenntnisses am Gegensatz des anderen die Annäherung nicht verhindern könne, sondern im Gegenteil die Voraussetzung für ein legitimes Sich-Begegnen und ein begründetes Einheitsstreben sei. Deshalb sprach Möhler im gleichen Zusammenhang auch davon, dass die Erkenntnis der wahren Unterschiede auch dazu beitragen könne, falsche Differenzen abzutun und unbegründete Vorwürfe zurückzunehmen. (Fs)
19a Diese Grundsätze beanspruchen ihre Geltung auch für das gegenwärtige ökumenische Gespräch, in dessen Verlauf sich die Gesprächspartner ungleich nähergerückt sind als im 19. Jh. Aber gerade deshalb entsteht aufseiten eines vorzugsweise pragmatischen und auf den äußeren Erfolg ausgerichteten Denkens leicht der Eindruck, dass der endgültigen Einigung eigentlich nichts mehr entgegenstehe. So wird das Weiterbestehen der Trennung gelegentlich schon allein dem mangelnden guten Willen der Kirchenleitungen zugeschrieben und die Forderung erhoben, die Union einfach durch Schaffung von Tatsachen an der Basis, d. h. via facti herzustellen. Dabei wird zuweilen auch zugegeben, dass die Vereinigung vor allem im Praktischen, im Operativen und Pragmatischen erfolgen solle, in der Hoffnung, dass unter dem Einfluss dieser Dynamik die Angleichung in den Lehr- und Wahrheitsfragen wie von selbst folgen werde. In einer solchen Argumentation ist aber nicht nur verkannt, dass eine Einigung unter Ausschluss der Wahrheitsfrage weder theologisch zu rechtfertigen ist noch praktisch von Dauer sein kann. Es ist dabei auch die wirkliche Situation aller heutigen Kirchen übersehen, die durch eine weitreichende geistige Dissoziierung in den eigenen Reihen gekennzeichnet ist. Eine nüchterne Beobachtung der ökumenischen Szene kann den Blick vor der Tatsache nicht verschließen, dass durch die bestehenden christlichen Kirchen und Konfessionen noch einmal Trennungslinien, Front- und Fraktionsbildungen verlaufen, die manchmal so geartet sind, dass gewisse Teile der getrennten Kirchen in manchen Glaubensfragen und Glaubensbelangen einander näher stehen als den Gliedern der eigenen Kirche. In einer solchen Situation ist ein forciertes inter- und überkonfessionelles Einheitsstreben eigentlich nicht mehr gerechtfertigt; denn es könnte zu keiner geistigen Einheit führen, sondern nur zu einer willkürlichen Zusammenschließung von Bruchstücken. So ist es nicht zu umgehen, dass das Einheitsstreben von Kirchen, die in sich selbst auf mancherlei Weise uneinheitlich geworden sind (was häufig auch nicht mehr durch den meistens nicht ausgewiesenen Anspruch der "legitimen Vielfalt" überdeckt werden kann), bei diesen selbst beginnen muss. Es wäre nämlich nicht nur ein Verstoß gegen die Ökonomie der Kräfte, wenn sich in sich selbst gespaltene und dissoziierte Gebilde zusammenschlössen; ein solches Unternehmen wäre vielmehr auch religiös-theologisch widerspruchsvoll, weil gegen den tieferen Geist der Einheit und Wahrheit gerichtet. (Fs) (notabene)
19b Wenn hier der zweite Schritt nicht vor dem ersten getan werden soll, muss die Einheit der eigenen Konfession und Kirche jeder Einigungsbemühung in Bezug auf die andere Konfession und Kirche vorausgehen. Dem "Ökumenismus nach außen" muss der "Ökumenismus nach innen" vorausgehen oder jenem wenigstens gleichgeschaltet sein. Dieser "innere Ökumenismus" aber verlangt nach Erkenntnis des eigenen Wesens, nach Verständnis seiner Ganzheit und Besonderheit wie auch nach seiner lebendigen Verwirklichung in der eigenen Gemeinschaft. Nur aus der Kraft einer innerlich und geistig gefestigten Gemeinschaft kann es zu weiterausgreifenden Verbindungen und Einigungen mit anderen Gemeinschaften kommen. So spricht alles dafür, dass gerade für eine Förderung des ökumenischen Anliegens heute die Frage nach dem eigenen Sein und Wesen angemessen und notwendig ist; denn nur wenn die Eigenheit des Wesens erfasst ist, kann es auch zu einer wesentlichen und nicht nur äußerlichen und akzidentellen Einigung kommen, die den Ansprüchen des Geistes und der Wahrheit standhalten kann. Freilich: Wenn sich dabei herausstellen sollte, dass wegen der Verschiedenartigkeit im Wesentlichen eine solche Einigung noch nicht möglich ist, müsste man manche Illusionen bezüglich einer baldigen Wiedervereinigung aufgeben. Aber damit wäre der Sache durchaus nicht geschadet, sondern allen Beteiligten nur ein noch größerer Ernst und eine noch größere Mühe auf dem schwierigen Weg abverlangt. (Fs)
20a Wo eine solche Ganzheitsschau und Einheitsauffassung des eigenen Wesens erstrebt wird, liegt jede kontroverstheologische oder gar polemische Absicht fern. Einer solchen Wesensschau ist nicht einmal an einem komparativischen Vorgehen oder an einem Überlegenheitsnachweis des katholischen gegenüber dem protestantischen Christentum gelegen, sondern allein an einem tieferen Verständnis des Eigenen. Weil dieses Eigene aber zu dem Anderen in geschichtlich nicht wegzudenkenden Beziehungen der Hinneigung und der Spannung steht, kann die Untersuchung faktisch auf den Vergleich, die Entgegensetzung und die Zusammenführung mit dem Anderen nicht verzichten. Ein solches Vergleichen aber muss nicht zu weiteren Distanzierungen führen. Es kann im Gegenteil durch das Erschließen des Verständnisses des Eigenen am Anderen auch neue Möglichkeiten der Verbindung und des Zusammenwachsens eröffnen. (Fs) ____________________________
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