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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Katholizität, katholisch; Sinn: "authentisch", "wahr", "orthodox"

Kurzinhalt: In diesem qualitativen Sinne muss die Kirche auch heute noch die Katholizität behaupten, auch wenn sie sich damit den Vorwurf einhandelt, sich von den anderen christlichen Gemeinschaften abzusondern; denn ...

Textausschnitt: 11a Man kann auch sachlich nicht erkennen, dass die Verwendung dieses Begriffes, der die Universalität der Kirche behauptet, in dem Augenblick widerspruchsvoll und unglaubwürdig würde, in dem die Kirche nicht mehr als äußere Einheit existierte, sondern gespalten wurde; denn selbstverständlich hat der Begriff zu keiner Zeit eine nur quantitative, räumliche Universalität und eine faktisch schon erreichte Universalität ausgesagt. So hätte er im zweiten und dritten Jh., wo sein Gebrauch häufiger auftritt, gar nicht verwendet und verstanden werden können, weil die Kirche faktisch damals noch eine "Sekte" im Imperium Romanum war. Das Beiwort "katholisch", das zwar von Augustinus1 im Kampf mit der Sekte der Donatisten sehr stark in Richtung auf die geographische Universalität gebraucht wurde, besaß doch von Anfang an schon den Sinn von "authentisch", von "wahr" und "orthodox". Es wurde im qualitativen Sinne von der einen wahren Kirche verwendet, die damit natürlich sofort in einen gewissen Gegensatz zu den anderen Gemeinschaften geriet. Aber man kann nicht fordern, dass die Kirche wegen der faktischen Spaltungen auf dieses ihr Selbstverständnis qualitativer Art verzichten oder den Anspruch preisgeben müsste, als Kirche Christi genauso für das Ganze bestimmt zu sein wie Christus selbst. (Fs)

11b In diesem qualitativen Sinne muss die Kirche auch heute noch die Katholizität behaupten, auch wenn sie sich damit den Vorwurf einhandelt, sich von den anderen christlichen Gemeinschaften abzusondern; denn die Absonderung ist immer nur etwas Faktisches, etwas Akzidentelles, etwas aus der noch unvollkommenen irdischen Existenzweise der Kirche Stammendes. Die Katholizität aber ist etwas Wesentliches, etwas Qualitatives und Innerliches, das auch beim Widerspruch gegen die Empirie und gegen den Augenschein beibehalten werden muss, etwa auch dann, wenn die Kirche wieder wie eine Insel im Ozean der nichtchristlichen Welt existierte. Deshalb ist es auch heute nicht gerechtfertigt, bei der Wesensbestimmung des Christentums auf die Kennzeichnung des Katholischen zu verzichten. (Fs) (notabene)

12a Von dieser Einsicht aus ist man berechtigt, alle jene Formulierungen, die vom Wesen des Christentums als solchem sprechen, ohne seiner Katholizität Erwähnung zu tun, kritisch zu beurteilen. Natürlich ist das nur eine grundsätzliche Kritik, die nicht zu berücksichtigen braucht, dass es in solchen Darstellungen an einem bestimmten Punkte doch zur Aufnahme der Vorstellung des Katholischen und Universalen kommt. Aber, was so nachfolgend und gleichsam nur beiläufig geschieht, muss sich doch in vielen Fällen als zu schwach erweisen, so dass es das Ganze nicht mehr zu bestimmen, zu tragen und zu strukturieren vermag. Deshalb hat die Kritik im Ganzen auch gegenüber jenen Bearbeitungen Bestand, die irgendwo im Nachhinein bei der Erörterung des Christentums eine Reflexion über das Katholische hinzufügen. An einer bestimmten Stelle seiner Auslegung des Christentums kann kein christlicher Autor umhin, zuzugeben, dass das Christliche an sich einen Zug zum Allgemeinen, zum Universalen und d. h. zum "Katholischen" in sich trägt. Das Merkmal des "Katholischen" wird dann offensichtlich nicht im konfessionellen und apologetischen Sinne verstanden und für die eigene Religion oder Kirche usurpiert, sondern es wird als Wesenselement des Christentums selbst begriffen, das jeder Form und Gestaltung des Christlichen eignen muss. (Fs)

In dieser Absicht trifft sich dann auch die katholische Theologie mit der Intention praktisch aller evangelischen Theologen, die ihrerseits das Kennzeichen des Katholischen auch für ihre eigene Religion und Kirche gebrauchen und es auf keinen Fall als ausschließliches Vorrecht katholischen Glaubensdenkens ansehen möchten. Dafür ist die Aussage eines modernen Autors beispielhaft: "Auch zum evangelischen Bekenntnis gehört es, von [der] Katholizität zu sprechen." Katholizität heißt, "dass dieses Heil der ganzen Welt angeboten wird und auch einen Anspruch hat, von der ganzen Welt gehört zu werden". "Die Katholizität der Kirche zeigt sich [auch] darin, dass sie ihre Lehre und ihre Ämter weitergibt, die Sakramente von Generation zu Generation verwaltet und in all dem den immer gleichen Auftrag wahrnimmt. Die reformatorischen Kirchen haben diese Kontinuität bewusst aufgenommen, indem sie z. B. die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse rezipierten und in ihre Gottesdienste aufnahmen."2

12b Man kann alle diese Beanspruchungen der "Katholizität", sowohl die von der "katholischen" wie die von der "evangelischen" Seite kommenden, durchaus als gutgemeint akzeptieren und in dieser gemeinsamen Beanspruchung eines Merkmals der wahren Kirche und des wahren Christentums ein positives Zeichen für eine noch verbliebene Einheit sehen. Aber man kann wohl bei einer so wohlwollenden Beurteilung nicht stehen bleiben, weil sie unrealistisch und problemlos zu geraten droht. Darauf hat neuestens ein anderer evangelischer Theologe hingewiesen, dessen Theologie man strenge Folgerichtigkeit und große Offenheit zubilligen muss. Fr. Buri kommt zu der Auffassung, dass der Gebrauch der "notae" (Merkmale) der Kirche, besonders auch der "nota" der Katholizität, heute in den Kirchen und Gemeinden unglaubwürdig und zweideutig geworden sei, weil es dieses eine und universale Christentum nicht mehr gebe. Er bezieht dann das "catholica" in typisch existentialistischer Weise nicht mehr auf Kirche oder Christentum, die für eine existentialistische Theologie keine objektiven Größen mehr darstellen. Deshalb überträgt er das Adjektiv "katholisch" einfach auf den Glauben, welcher nicht einmal der spezifisch christliche Glaube sein muss. Darunter kann vielmehr jede engagierte Entscheidung verstanden werden. Ein solcher Glaube muss natürlich auch "katholisch" sein. Das Epitheton will dann aber nur besagen, dass diese existentielle Haltung "das ganze Dasein des Einzelnen umfasst und zugleich universal ist, weil sie in analoger Weise jeden Einzelnen, d. h. alle, umspannt".3 Hier ist offensichtlich eine rein existentialistische Interpretation des Merkmals des "Katholischen" geboten, die gar keinen Bezug auf die Kirche mehr einschließt. (Fs)

13a Erwägt man diesen variierenden und vieldeutigen Gebrauch des Kennzeichnens des "Katholischen", so wird man zugeben müssen, dass der Begriff heute von den Bekenntnissen und Theologen nicht mehr im gleichen Sinn gebraucht wird. Dieser Umstand legt dem gläubigen Denken die Verpflichtung auf, nicht nur von der Allgemeinheit und Universalität des Christlichen zu sprechen und an einer vieldeutigen Formel festzuhalten, sondern ihren Kern und Sinn genau zu bestimmen. Das "Allgemeine" und "Allumfassende" des Katholischen bleibt so lange unbestimmt, als man es nicht auf einen Einheitsgrund und einen konkreten Sinn zurückführt. Dem Anspruch der Ganzheit ist nur Genüge geleistet, wenn man ihren letzten Grund und ihren eigentümlichen Ursprungspunkt anzugeben weiß. Dieser erst garantiert die Eigentümlichkeit und die Selbstidentität dieses Ganzen. (Fs)

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