Autor: Lonergan, Bernard J.F. Buch: Die Einsicht Titel: Die Einsicht Bd. I und II Stichwort: Metaphysik; zentrale, konjugate Formen; Einheit von P., F. und A.; Kurzinhalt: Textausschnitt: 2. Zentrale und konjugate Formen
499a Der zweite Schritt in der Ausarbeitung der vollständigen heuristischen Struktur des proportionierten Seins wird in der Unterscheidung von zwei allgemeinen Fällen von Potenz, Form und Akt bestehen. Denn obwohl die Formen des proportionierten [435] Seins nur dann vollständig erkannt werden können, wenn die vollständige Erklärung erreicht wird, kann dennoch die vorhandene Existenz heuristischer Techniken sofort zeigen, daß es verschiedene Arten von Formen gibt. Wenn es aber verschiedene Arten von Formen gibt, muß es auch verschiedene Arten von Potenz und Akt geben; denn Potenz, Form und Akt bilden ein einziges Erkanntes und teilen eine gemeinsame Definition; und Potenz und Akt, welche die Definition einer Art von Form teilen, müssen von Potenz und Akt, die die verschiedene Definition einer anderen Art von Form teilen, verschieden sein. (Fs)
499b Nun liegen der klassischen Methode zwei heuristische Prinzipien zugrunde. Das erste ist, daß Ähnliches ähnlich verstanden wird, daß eine Differenz im Verstehen eine bedeutsame Differenz in den Daten voraussetzt. Das zweite ist, daß die Ähnlichkeiten, die für die Erklärung relevant sind, nicht in den Relationen der Dinge zu uns, sondern in ihren Relationen zueinander liegen. Wenn nun diese heuristischen Prinzipien angewendet werden, ergeben sich Klassifizierungen mittels sinnesmäßiger Ähnlichkeit, dann Korrelationen, und schließlich die Verifikationen von Korrelationen und Systemen von Korrelationen. Verifizierte Korrelationen schließen aber notwendigerweise die Verifikation der Termini, die durch die Korrelationen implizit definiert sind, mit ein; und nicht mehr als solche implizit definierten Termini als in Beziehung zueinander. Denn was genau verifiziert wird, ist nicht diese oder jene Einzelaussage, sondern die generelle und abstrakte Aussage, auf die hin Reihen von Reihen von Einzelaussagen konvergieren. Dementsprechend gibt es eine heuristische Grundstruktur, welche zur Bestimmung von Konjugaten führt, das heißt, von Termini, die durch ihre empirisch verifizierten und erklärenden Relationen implizit definiert werden. Solche Termini als zusammenhängende werden durch Verstehen erkannt und sind deshalb Formen. Wir wollen sie konjugate Formen nennen. Weil derartige Formen im empirischen Residuum der Erfahrung verifiziert werden, bilden sie Einheiten mit konjugaten Potenzen und konjugaten Akten. Demnach ist die konjugate Potenz Potenz zu konjugater Form, und der konjugate Akt ist Akt konjugater Form, wobei Potenz zu Form und Akt der Form hier bedeutet, daß die in Frage stehenden Potenz, Form und Akt eine einzige Einheit bilden. (Fs) (notabene)
500a Ferner, die heuristische Struktur, welche zur Erkenntnis konjugater Formen fuhrt, macht nun eine andere Struktur notwendig, welche zur Erkenntnis zentraler Formen führt. Man erreicht ja erklärende Konjugate, indem man Daten als ähnlich mit anderen Daten betrachtet; die Daten aber, die ähnlich sind, sind auch konkret und individuell; und als konkret und individuell werden sie insofern verstanden, als man in ihnen eine konkrete und intelligible Einheit, Identität und Totalität erfaßt. Und man kann auf dieses Erfassen weder verzichten, noch es überschreiten. Denn [436] die Wissenschaft macht Fortschritte durch die Wechselwirkung zunehmend genauer Beschreibungen und immer befriedigenderer Erklärungen derselben Objekte. Wenn nun die Objekte nicht dieselben sind, besteht keine Beziehung zwischen Beschreibung und Erklärung und deshalb kein Grund, warum eine Erklärung die Beschreibung modifizieren soll, oder warum eine Beschreibung zu einer besseren Erklärung führen soll. Aber das einzige Objekt, welches dasselbe ist, ist die konkrete und intelligible Einheit, Identität und Totalität; denn die erklärenden Konjugate verändern sich; und die beschreibenden oder erfahrungsmäßigen Termini unterstehen Modifikationen und Neuanordnungen. Solange also die Wissenschaft fortschreitet, bleibt die Notion der intelligiblen Einheit unverzichtbar. Nun müssen aber wissenschaftliche Konklusionen in ihrem Ziel nicht minder als in ihrer Entwicklung durch Evidenz gestützt werden; die Evidenz für solche Konklusionen liegt im Wandel; und ohne konkrete und intelligible Einheiten gibt es nichts, das sich wandeln könnte. Denn Wandel ist nicht die Substitution eines Datums durch ein anderes und auch nicht die Ersetzung eines Begriffs durch einen anderen; er besteht in derselben konkreten und intelligiblen Einheit, welche die Vereinheitlichung nacheinander verschiedener Daten liefert; und deshalb kann es ohne diese Einheit keinen Wandel geben und ohne Wandel fehlt ein gewichtiger Teil - wenn nicht gar das Ganze - der Evidenz für wissenschaftliche Konklusionen. Schließlich ist die Wissenschaft auf konkrete Probleme anwendbar; aber weder beschreibende noch erklärende Erkenntnis kann auf konkrete Probleme angewendet werden ohne den Einsatz des Demonstrativums "dieses", und dieses Demonstrativum kann nur insofern verwendet werden, als es ein Bindeglied zwischen Begriffen und Daten als individuellen gibt; allein die Notion der konkreten und intelligiblen Einheit der Daten liefert ein derartiges Bindeglied, und deshalb ist diese Notion notwendig für die Wissenschaft als angewandte. (Fs) (notabene)
501a Nun werden konkrete und intelligible Einheiten durch Verstehen erkannt und sind deshalb Formen. Sie sind aber ganz verschieden von den konjugaten Formen und müssen deshalb als ein anderer Typus von Formen anerkannt werden, den wir "zentrale Form" nennen wollen. Und wie die konjugate Form eine konjugate Potenz und einen konjugaten Akt impliziert, so impliziert die zentrale Form eine zentrale Potenz und einen zentralen Akt. (Fs) (notabene) ____________________________
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