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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Die Einsicht

Titel: Die Einsicht Bd. I und II

Stichwort: Elemente d. Metaphysik: Potenz, Form, Akt; Gemeinsamkeit, Abweichung: Aristoteles (deskriptiv) - Lonergan (erklärend); A.: sensibilia propria als Form; Konflikt mit der Wissenschaft der Renaissance

Kurzinhalt: Die psychologische Erläuterung genügt unseren Definitionen... Die physikalische Erläuterung hingegen fällt nicht unter unsere Definitionen. Die Form wird durch Einsicht erkannt; aber Aristoteles betrachtete das, was er die sensibilia propria nannte ...

Textausschnitt: 497b Im folgenden werden wir verschiedene Typen von Potenz, Form und Akt unterscheiden. Es muß aber schon hier daraufhingewiesen werden, daß wir zwar Aristoteles' Terminologie verwenden und den Termini eine Bedeutung zuweisen, die Aristoteles als die seinige anerkennen würde; daß aber Aristoteles' Neigung von einer lediglich deskriptiven Erkenntnis Gebrauch zu machen und unser Bestehen auf Erklärung verschiedene Ausgangspunkte einschließen sowie auch verschiedene Tendenzen und verschiedene Implikationen. So ist es gesunde Aristotelische Lehre zu behaupten, Potenz stünde zur Form wie das Auge zur Sicht und die Form zum Akt wie die Sicht zum Sehen. Aber es ist eine noch deutlicher hervortretende Aristotelische Lehre, zu sagen, die Potenz stünde zur Form wie die Privation von Wärme zur Wärme und die Form zum Akt wie die Wärme zum Wärmen. Nun genügt die psychologische Erläuterung unserer Definition, aber die physikalische kann mit ihr nicht in Einklang gebracht werden. (Fs) (notabene)

497c Die psychologische Erläuterung genügt unseren Definitionen. Form ist ja, was durch die Einsicht erkannt wird; "Sicht" wird aber erkannt, insofern wir die Augen als die Organe der Sicht verstehen, oder insofern wir die Erfahrungen des Sehens als im Besitz der Sicht begründet verstehen. Ferner, der Akt wird erkannt im "Ja" des Urteils, und wir wissen, daß eine Person sieht nicht bloß durch eine Untersuchung der Augen und auch nicht dadurch, daß wir die untersuchten Augen als Organe der Sicht verstehen, sondern indem wir behaupten, daß die verstandene Sicht zur Anwendung gebracht wird. Schließlich, die Potenz ist das, was durch die intellektuell strukturierte Erfahrung des empirischen Residuums erkannt wird, und eine solche Erfahrung findet dann statt, wenn wir die Augen untersuchen, um sie zu verstehen. (Fs) (notabene)

497d Die physikalische Erläuterung hingegen fällt nicht unter unsere Definitionen. Die Form wird durch Einsicht erkannt; aber Aristoteles betrachtete das, was er die sensibilia propria nannte, als Formen: etwa Farben, Schalle, warm und kalt, feucht und trocken, hart und weich, schwer und leicht usw. Dies sind, gelinde gesagt, sehr zweideutige Formen; im Objekt sind sie potentiell wahrnehmbar; in der Wahrnehmung sind sie aktuell wahrnehmbar; als benannte werden sie mit jeglicher hinreichend ähnlicher Qualität in Verbindung gebracht und zwar durch eine Einsicht, welche erfaßt, wie der Name zu verwenden ist; als Objekte der Untersuchung gehen sie in eine heuristische Struktur ein, die das sucht, was erkannt werden kann, wenn sie einmal verstanden sind; als erklärte schließlich werden sie mit Gesetzen in Verbindung gebracht, die implizit konjugate Termini definieren. Unter welche Bedeutung aus unserem Fünferkatalog fällt nun Aristoteles' Form "Wärme"? [434] Ferner, der Akt ist das, was erkannt wird im "Ja" des Urteils; aber "wärmen" kann nicht auf diese simple Weise erkannt werden. "Warm machen" zu erkennen bedeutet, daß es zwei Fälle von Wärme gibt und daß die eine kausal aus der anderen hergeleitet wird. Und Potenz schließlich wird erkannt durch die intellektuell strukturierte Erfahrung des empirischen Residuums. Die Potenz zur Form Wärme aber ist die Privation ebendieser Form; diese Privation wird nicht allein durch die Erfahrung der gegenteiligen Form, Kälte, erkannt, sondern dadurch, daß wir sie als das Gegenteil von Wärme und als die Wärme ausschließend erkennen.1 (Fs) (notabene)

498a Es ist leicht zu sehen, warum die Zweideutigkeiten in den physikalischen Notionen des Aristoteles einen Konflikt mit der Wissenschaft der Renaissance unausweichlich machten. Wenn die Form der Wärme das ist, was durch ein Verstehen von Wärme erkannt werden kann, dann mußten die Aristoteliker den Verstehensversuchen der Wissenschaftler zustimmen. In der Tat fand eine Art Komödie von Irrtümern statt. Die Aristoteliker hatten wenig Verständnis für die Aristotelische Lehre von der Einsicht in imaginative Vorstellungen und hatten keine Notion von der heuristischen Struktur, die auf eine Einsicht zugeht. Andererseits faßten die Wissenschaftler das Erklären nicht als ein Erkennen, insofern man versteht, auf; ihr Denken war von der Notion der Objektivität als Extraversion beherrscht; in diesem Sinne verneinten sie, daß die sensibilia propria "da draußen" seien; und sie faßten das Erklären als die Zurückführung der scheinbaren Qualitäten auf die realen Dimensionen der Materie in Bewegung auf. Vier Jahrhunderte müßten uns nun eigentlich genügen, diese Irrtümer zu durchschauen. (Fs) (notabene)

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