Datenbank/Lektüre


Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Kritik: Rahner - Dualismus (Geist in Welt); Moraltheologen - "untermenschlicher" Bereich als "Rohmaterial"

Kurzinhalt: Der Mensch ist von Natur ein "animal"; er hat nicht nur einen Leib, sondern ist Leib2, - ein Leib, der allerdings von einer "anima rationalis" informiert, beseelt ist... Man is not an incarnate spirit; he is a rational animal ...

Textausschnitt: 86a Das "bonum hominis", auf das die Tugend der sinnlichen Strebungen zielt, besteht darin, "daß die Vernunft in vollkommener Weise die Wahrheit erkenne, und die niederen Strebungen gemäß der Regel der Vernunft geordnet werden".1 Der Mensch ist keineswegs ein rein spirituelles Wesen, dessen Strebeakte und Handlungen ausschließlich geistiger Natur sind. Der Mensch ist von Natur ein "animal"; er hat nicht nur einen Leib, sondern ist Leib2, - ein Leib, der allerdings von einer "anima rationalis" informiert, beseelt ist. Als Körper und "animal" besitzt er Sinneserkenntnis und sinnliche Strebevermögen, sinnen-und leibgebundene Möglichkeiten und Bedürfnisse, die in ihm nicht "unter-menschliche", ihm fremde oder beschränkende "Naturphänomene", sondern in seine personale Seinsstruktur integrierte, sein menschliches Person-Sein mitkonstituierende Fundamente menschlicher Existenz darstellen. Ebenso sind alle "inclinationes naturales" in ihm immer schon menschliche Neigungen, welche die Grundlinien formulieren, denen gemäß menschliches Leben und Handeln menschlich verlaufen. Wenn diese Neigungen von der Vernunft geordnet werden müssen, so heißt dies nicht, daß sie nicht bereits immer schon, durch ihre seinsmäßige Zugehörigkeit zum menschlichen Suppositum einen menschlichen Sinn besitzen; in diesem Sinne müssen sie nicht noch erst "vermenschlicht" oder "vergeistigt" werden, um dem Menschen für sein Leben etwas sagen zu können.3 (Fs)

Fußnote (3=9):

9 Sehr gut hervorgehoben hat die Wichtigkeit dieses Aspektes G. GRISEZ in seinem Artikel "Dualism and the New Morality", in: L'Agire Morale, a. a. O., S. 323-30. Die Idee des Menschen als "Geist in Welt" (oder: "inkarnierter Geist"), wie sie etwa der Anthropologie Karl Rahners zugrundeliegt, halte ich für äußerst problematisch, denn sie ist grundlegend dualistisch. Vgl. auch G. GRISEZ, A New Formulation of a Natural-Law Argument against Contraception, in: The Thomist, 30 (1966), S. 349: "Man is not an incarnate spirit; he is a rational animal. The dualism implied in the definition of man as incarnate spirit threatens to become a totalitarianism which will distort the true shape of man's nature and thus destroy the only solid foundation for a realistic personalism. And Christian personalism must be realistic, as has been declared repeatedly in the past against gnostics, manichees, cathars and jansensists."
+++

86b Deshalb muß der, im Grunde dualistischen, These vieler gegenwärtiger Moraltheologen entschieden widersprochen werden, die natürlichen Neigungen - auch diejenigen der "natura animalis" - stellten lediglich eine Art naturales "Rohmaterial" dar, einen Bereich "untermenschlichen" Seins, das nicht bereits schon durch seine Zugehörigkeit zum menschlichen Sein ein "bonum humanum" wäre, sondern erst durch nachherige Integration in die Sphäre des Menschlichen zu einem solchen würde. Daß dem nicht so ist, zeigt sich bereits bei der fundamentalsten aller natürlichen Neigungen, die der Mensch mit allem subsistierenden Seienden gemeinsam hat: nämlich der Neigung zur "conservatio sui esse", zur Selbsterhaltung. Es hat ja offensichtlich überhaupt keinen Sinn zu behaupten, daß dieses "esse" nicht schon von Natur aus ein "bonum humanum" sei, sondern erst zu einem solchen gemacht werden müsse. (Fs)

87a Dabei würde letztlich die seinsmäßige Integration dieser Neigungen im Kontext der Person, eine Integration, die immer schon besteht, die den Menschen überhaupt zum Menschen macht, und die deshalb in diesem Sinne nicht geleistet werden muß, mit ihrer praktisch-kognitiven und operativen Integration durch die "ratio naturalis" und die sittliche Tugend verwechselt. Der Mensch muß nämlich diese Neigungen nicht zunächst seinsmäßig vermenschlichen; sie sind von Anfang an menschliche Neigungen. Er muß sie jedoch praktisch-kognitiv in ihrem menschlichen Sinn ordnen und entsprechend verfolgen. Das leisten diese Neigungen nicht von sich aus. An dieser Stelle erhält nun auch der eingangs als methodischer Ausgangspunkt kritisierte Satz "Werde, was du bist!" eine klar umrissene Bedeutung. (Fs)

87b Die These jedoch, die natürlichen Neigungen würden erst "menschlich", insofern sie von der Vernunft aufgegriffen werden, hieße, daß der Mensch sie durch dieses Aufgreifen überhaupt erst seinsmäßig in ihrem menschlichen Sinn konstituiert. Diese These wäre spiritualistisch oder dualistisch und würde zudem behaupten, der Mensch besitze über die Natur, die er selbst ist, eine durch diese Natur selbst nicht näher bestimmte Verfügungsoder sittliche "Sinngebungsgewalt". (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt