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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Kirche als "Mutter", Maria (Vatikanum II); K. als Eva (Offenbarung); Teilhabe der K. an der Heilstat Christi, Mitprinzip der Erlösung

Kurzinhalt: Das II. Vatikanische Konzil hat einen ersten Versuch gemacht, den Terminus "Mutter" mit Inhalt zu füllen, denn es spricht von Maria als "Typus" der Kirche und sagt, daß die Kirche, ähnlich wie die Jungfrau, "auch selbst Mutter wird: ...

Textausschnitt: II. Reflexion über die Kirche als "Mutter"

Vorbemerkung

163b Paulus stellt im Brief an die Galater das geschichtliche Jerusalem mit seinem Gesetzesgehorsam und seinem ethnischen Partikularismus dem "Jerusalem von oben", das heißt dem freien, universalen, messianischen Jerusalem gegenüber, von dem der Prophet Jesaja gesprochen hatte: "Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn ... überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker" (Jes 2,2). In diesem "Jerusalem von oben" sieht er im Gegensatz zum Israel "dem Fleische nach", das Israel Gottes, d. h. die Kirche; und von ihr sagt er: "Dieses Jerusalem ist unsere Mutter" (Gal 4,26). (Fs)

Dieser Satz ist das fruchtbare Samenkorn eines Gedankens, der sich im christlichen Bewußtsein allmählich durchgesetzt hat, d. h. die Idee der "Mutterschaft" der Kirche. (Fs)

163c Das Thema wird im 12. Kapitel der Offenbarung eingehend behandelt, wo die Kirche als neue Eva beschrieben wird, in kosmischer Herrlichkeit strahlend, aber gleichzeitig von der alten Schlange bedroht und Geburtswehen erleidend wie die alte "Mutter der Lebendigen". (Fs)

164a Dieser Begriff wird von den frühen Schriftstellern stets im Lichte der Analogie zwischen der ersten Frau aus dem Buch der Offenbarung und der Kirche entfaltet. (Fs)

Diese Identifizierung führt im Denken der Kirchenväter zu zwei wertvollen theologischen Überzeugungen:

- Es wird bekräftigt, daß die Kirche in Christus ihren Ursprung hat und in ihm den umfassenden Grund ihres Heils, ihrer Heiligung und ihres Daseins findet;
- Es wird bekräftigt, daß die Kirche teilhat an der Heilstat und Heiligung durch Christus, was gerade in der Idee der "Mutterschaft" zum Ausdruck kommt. (Fs)

164b Die Väter sind der Meinung, daß das Zusammentreffen dieser beiden Daten, die im Bild der neuen Eva enthalten sind, die ganze Schönheit und Ursprünglichkeit des Planes des Vaters geoffenbart und das Wesen des kirchlichen Geheimnisses ausdrückt. Diesen Zeugnissen gegenüber ist es bedeutsam, daß heute in vielen Veröffentlichungen über die Kirche deren Mutterschaft völlig außeracht gelassen wird. Man könnte im analogen Sinne von einer echten und eigentlichen Allergie gegen diese sprechen. Die Abneigung, sich als Sohn oder Tochter zu fühlen, und das Schreckgespenst des "Paternalismus", welche die zeitgenössische Kultur kennzeichnen, beeinflussen auch das theologische Denken unserer Tage. (Fs)

Meiner Meinung nach gehört dieses Thema aber nicht nur zum unveräußerlichen Erbe der Offenbarung, sondern bietet auch den besten Ansatz zum Verständnis des Geheimnisses der Kirche. (Fs)

Theologische Reflexion

164c Wenn man die Kirche "Mutter" oder "neue Eva" nennt, dann zieht man einen Vergleich und weckt Bilder. Aber was ist der eigentliche Begriffsinhalt? Was bedeutet die Aussage, daß die Kirche Mutter ist?

164d Unsere Untersuchung wird um so ergiebiger sein, wenn sie berücksichtigt, daß die Kirche, von der die Rede ist, das "neue Israel" ist, an dem jeder Christ teilhat. Deshalb ist diese Mutterschaft, über die wir hier nachdenken, ein Merkmal aller Gläubigen. (Fs)

165a Wir wollen stufenweise vorgehen:

a) Das II. Vatikanische Konzil hat einen ersten Versuch gemacht, den Terminus "Mutter" mit Inhalt zu füllen, denn es spricht von Maria als "Typus" der Kirche und sagt, daß die Kirche, ähnlich wie die Jungfrau, "auch selbst Mutter wird: Durch Predigt und Taufe nämlich gebiert sie die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zum neuen unsterblichen Leben" (LG 64). Das heißt: Die Menschen werden Söhne und Töchter Gottes kraft des göttlichen Wortes, das im Glauben und im Taufritus angenommen wird. Weil es die Kirche ist, die das Wort verkündet und die Taufe spendet, entsteht eine Herkunftsbeziehung des Menschen, der von der gebärenden Kirche wiedergeboren wird. (Fs)

Daraus folgt, daß die Kirche nicht nur "Dienerin" und Hüterin des Wortes Gottes, sondern von ihm durchdrungen ist, so daß das Wort wirklich ihr eigenes wird. Diese Lehre setzt auch voraus, daß in den Sakramenten wirklich die Kirche handelt, was keine bloß äußerliche Beziehung ist. (Fs)

b) Zweitens: Die Kirche Mutter nennen bedeutet, davon überzeugt zu sein, daß niemand mit dem Erlöser in Verbindung treten kann ohne die Vermittlung einer zwischen den Menschen und in Christus bestehenden wirklichen Gemeinschaft, die jedem einzelnen Menschen schon vorausgegangen ist. (Fs)

165b Das heißt, daß die Heilsbotschaft, die Heilige Schrift, das Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe auf den einzelnen Menschen nur übergehen, weil sie schon zuvor von der Kirche in Besitz genommen wurden. Selbst Christus ist für mich insofern lebendig und wirksam - und nicht nur eine bedeutende vergangene Persönlichkeit der Geschichte -, als er in dieser kirchlichen Gemeinschaft, die mir vorausgegangen ist und für die ich mich öffne, gegenwärtig und wirksam ist. Der Mensch findet den Maßstab des eigenen Glaubens und des eigenen Christseins nicht in seinem Inneren, sondern im Glauben und im Leben der Kirche. Das gilt für alle, angefangen vom Papst bis zum unsichersten Gläubigen. Keiner ist der Hersteller des Christentums, sondern jeder ist "Erbe", "Sohn" des christlichen Lebens, das die Kirche bereits besitzt. (Fs)

c) Die Mutterschaft der Kirche verdeutlicht noch eingehender und entschiedener einen besonders wichtigen Aspekt des Geheimnisses der Erlösung. (Fs)

166a Nach dem unvorhersehbaren und transzendenten Plan des Vaters erlöst Jesus den Menschen, indem er ihn tatsächlich der Macht des Bösen entreißt, erneuert und reinigt. Aber die Erneuerung ist so umfassend und einschneidend, daß jeder Mensch in Christus, mit Christus und durch Christus sogar Mitprinzip der Erlösung wird. Er ist so sehr erlöst, daß er je nach dem Maß, in dem er erlöst ist, Miterlöser wird. (Fs)

Jeder erneuerte Mensch ist an dem Erneuerungswerk seiner Brüder und des Universums beteiligt. Das ist ein universales Prinzip, das das ganze christliche Leben miteinbezieht. Mein Glaube wird gestützt vom Glauben meiner Brüder und stützt diesen. Meine Hoffnung und meine Nächstenliebe werden von der Hoffnung und Nächstenliebe des ganzen Volkes Gottes genährt und nähren diese. Meine Reinigung bedient sich der Leiden und der Buße der anderen, so wie "ich für den Leib Christi, die Kirche, in meinem irdischen Leben das ergänze, was an den Leiden Christi noch fehlt" (vgl. Kol 1,24). (Fs)

166b Dasselbe gilt auch für die sakramentale Handlung, die ihren höchsten Ausdruck in der Eucharistie findet. In ihr wird die "erlöste" Kirche, die opfert und selbst Opfergabe ist, wahrhaftig in die Wirklichkeit des einen und vollkommenen Erlösungsopfers einbezogen. Natürlich unterscheidet sich diese geheimnisvolle Vereinigung mit dem Erlösungsopfer Christi je nach ihrem Wesen und Grad, nach der Stellung, die jemand in der Kirche hat; nach dem Dienst, den er ausübt, den Charismen, mit denen er begabt ist, den menschlichen Bindungen, die ihn nach dem Plan der Vorsehung mit seinen Mitmenschen vereinen, der Intensität seiner Nächstenliebe. Aber in dieser geheimnisvollen Vereinigung verwirklicht und breitet sich die Mutterschaft der Kirche ständig aus. Mit dieser Überzeugung kann Paulus - der genau weiß, daß nur einer unser Vater im Himmel ist, und wir alle Brüder sind (vgl. Mt 23,9) - zu den Christen von Korinth sagen: "In Christus Jesus bin ich durch das Evangelium euer Vater geworden" (1 Kor 4,15). (Fs)

166c Wenn das bislang Gesagte Gültigkeit hat, dann ist klar, was das Ideal jedes Gläubigen sein soll: Immer mehr "Sohn und Tochter" der Kirche zu werden und den Brüdern und Schwestern gegenüber die Mutterschaft der Kirche im eigenen Leben deutlich zu machen. Wir könnten auch sagen: Es ist unser Programm, mit einem Wort, immer mehr "Kirche" zu werden - in dem Sinn, daß wir uns immer mehr vom heilbringenden und heiligenden Wirken des Geistes erfassen und durchdringen lassen und daß wir immer persönlicher und entschiedener an der Erneuerung und Heiligung des Universums teilhaben. (Fs)

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