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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Der Ausgangspunkt: Gott; Gottesfrage; Götzendienst; Atheist; Gleichnis: Arbeiter im Weinberg

Kurzinhalt: Der Gedanke an Gott scheint dem Menschen oft unangenehm zu sein... Wenn Gott da ist, dann entscheidet er und nicht wir, was recht und was unrecht ist, und wir müssen einzig und allein seinen Willen erforschen.

Textausschnitt: 15a "Ab Iove principium", um mit Vergil (Eclogae 111,60) zu sprechen, heißt: In wichtigen Dingen muß man immer von Gott ausgehen. Deshalb wollen wir auch hier über Gott nachdenken. Er ist ein Thema, bei dem ich zaudere und das mir auch ein wenig Angst macht. Ich war nämlich schon immer der Meinung, daß das zweite Gebot ("Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht mißbrauchen") in erster Linie die Prediger und Theologen und erst danach die zumeist ahnungslosen und konformistischen Gotteslästerer zur Vorsicht mahnen will. Über Gott sprechen ist ein Risiko. Aber man muß das Risiko auf sich nehmen, denn es ist noch gefährlicher, ihn, der alles ist, systematisch auszugrenzen. Gerade diese Ausgrenzung gehört zu den Torheiten des modernen Zusammenlebens, das uns gewöhnlich zwingt, nur über unwichtige Dinge zu reden, und uns untersagt, über das zu sprechen, was wirklich zählt. (Fs)

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15b Der Gedanke an Gott scheint dem Menschen oft unangenehm zu sein. Wenn wir seine Existenz anerkennen, füllt seine Unendlichkeit den ganzen Raum und scheint uns zu erdrücken, so daß wir meinen, es sei kein Platz mehr für uns, für unsere Freiheit, für unser Verlangen, von uns aus Gut und Böse festzulegen. Wenn wir aber seine Existenz leugnen und ein leeres Universum voraussetzen, dann öffnet diese angenommene Abwesenheit in der Wirklichkeit einen Abgrund, der alle Dinge und Werte unvermeidlich verschlingt; einen Abgrund, in den wir mit all unseren Leidenschaften, Guido CavalcantiGuido CavalcantiGuido CavalcantiHoffnungen, Errungenschaften und großartigen Bestrebungen unwiderruflich hineingezogen werden und vergehen. (Fs)

16a Wenn es Gott nicht gäbe, würde am Ende alles zunichte gemacht. Weder philosophische Spitzfindigkeit noch ästhetische Raffinesse oder wissenschaftlicher Fortschritt oder sozioökonomische Theorie können den Alptraum des alles verschlingenden Nichts von uns nehmen oder den menschlichen Geist vor der daraus folgenden unweigerlichen existentiellen Niederlage bewahren. Wenn Gott da ist, kann er von niemand und von nichts ausgeschlossen werden. Wenn Gott da ist, dann entscheidet er und nicht wir, was recht und was unrecht ist, und wir müssen einzig und allein seinen Willen erforschen. Wenn Gott da ist, dann wird unser Tun und Handeln von ihm gemessen und bewertet. Das irritiert den Menschen, denn es ist ihm immer unangenehm, anderen Rechenschaft über seine Entscheidungen geben zu müssen und das Kriterium der Wahrheit und die Handlungsnorm nicht aus sich selbst ableiten zu können. Deshalb bildet der Mensch sich manchmal ein, Atheist zu sein, und bemüht sich mit allen Mitteln seiner Vernunft, dies vernünftig zu begründen. Guido Cavalcantis Gestalt hat etwas Tragisches und zugleich Komisches an sich, wenn er - nach Boccaccios Schilderung - um die Gräber herumschleicht und sich bemüht, "möglichst zu beweisen, daß es Gott nicht gibt" (Decamerone V,4). (Fs) (notabene)

16b Gott nimmt dem Menschen gegenüber, der ihn ausgrenzen möchte, eine Haltung der Schwäche und zugleich der Stärke ein. Er macht sich so hilflos, daß er von jedem frechen, liederlichen Bürschchen oder jedem x-beliebigen Wissenschaftler verleugnet werden kann, der die verschiedenen Methoden nicht recht zu unterscheiden weiß. Aber Gott bleibt so stark, daß er trotz jahrzehntelanger, pausenloser atheistischer Propaganda und aggressiver Verfolgung der Gläubigen nie ganz aus dem Herzen und Sinn eines Volkes schwindet - wie man im Fall des kürzlich untergegangenen marxistischen Politsystems sehen konnte. (Fs)

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16c Die größte Gefahr für die Wahrhaftigkeit unseres religiösen Lebens ist aber nicht so sehr der Atheismus als vielmehr der Götzendienst. Der Mensch meint sehr oft, mit Gott verbunden zu sein, und bezieht sich in Wirklichkeit nur auf einen toten und todbringenden Götzen. (Fs)

17a Wie oft stoßen wir auf Leute, die stolz und zufrieden sagen, daß sie ihre eigene Religion und ihren eigenen "Gott" haben, einen Gott, der ihren Wünschen und Vorstellungen entspricht; das heißt im Grunde: einen Gott, den der Mensch sich seinen Interessen und Neigungen entsprechend gemacht und geformt hat. Schon Jesajas Prophetien bespöttelten den Götzenanbeter (eine Figur, die es zu allen Zeiten und auch heute noch gibt): Mit dem einen Teil des Holzes röstet er das Fleisch, aber aus dem restlichen Holz macht er sich einen Gott, ein Götterbild, vor das er sich hinkniet, zu dem er betet und sagt: Rette mich, du bist doch mein Gott! (vgl. Jes 44,16-17). Wir alle neigen manchmal und in gewisser Hinsicht zum Götzendienst. Wir scheuen uns vor der umwälzenden Begegnung mit dem lebendigen und wahren Gott, der allein unserem Herzen Auftrieb und unserem Leben die rechte Form gibt. (Fs)

Die Versuchung zum Götzendienst kann darin bestehen, sich nach eigenem Geschmack und Bedarf ein Bild von Gott zu machen, der immer auf unserer Seite steht; der unseren Plänen und Erwartungen entspricht; der uns nur Erfolg im Leben bringt und den man dann gegebenenfalls für unsere Schwierigkeiten verantwortlich macht. Aber das ist nicht der Gott, bei dem man in den kleinen Dingen des Alltags und im großen Abenteuer des Lebens ansetzen darf. (Fs)

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17b Wenn wir uns in diesem Punkt prüfen wollen, hilft uns Jesus der Herr mit einem Wort aus dem Evangelium (Lk 17,7-9). Er tut es mit einer klaren Entschiedenheit, die sich von den heutigen, süßlichen Darstellungen des Christentums deutlich abhebt. Es handelt sich um eine Art Gleichnis, das den damaligen gesellschaftlichen Gepflogenheiten entlehnt ist. Ein Sklave, der den ganzen Tag auf dem Feld gearbeitet hat, darf sich am Abend bei seiner Heimkehr weder Dank noch Lob noch Stärkung erwarten - sagt Jesus -, sondern den Dienst am Tisch seines Herrn. Die Mühe eines langen Arbeitstages gibt ihm nicht das Recht auf Ruhe, sondern bereitet ihn auf eine weitere Mühe vor. Desgleichen werden die Apostel Christi ermahnt, Gott keine Verdienste vorzuhalten, sondern nach jeder Arbeit, die aus Liebe zum Evangelium getan wurde, zu sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan (vgl. Lk 17,10). (Fs)

18a Die Erzählung des Herrn beschreibt eine Situation, die auf zwischenmenschlicher Ebene offensichtlich ungerecht und unmenschlich ist, aber sehr genau zeigt, wie unsere Beziehung zu Gott sein soll. Er ist voll und ganz der Herr. Ihm gegenüber haben wir keine Rechte, sondern nur Pflichten. Ihm gegenüber können wir keine Ansprüche stellen, wir können ihn nur bitten. Wenn der Mensch diese seine vollständige Nichtigkeit erkennt und jeden Anspruch fallen läßt, dann wird er wirklich "arm" in dem Sinn, der dem Evangelium entspricht, wie die "Armen vor Gott", die "selig" gepriesen werden, denn ihnen gehört das Himmelreich (vgl. Mt 5,3). (Fs)

Dann kann Gott dem Menschen Erbarmen und Liebe erweisen, das heißt, er kann ihm sein Wohlwollen und seine ungeschuldete Hilfe schenken. (Fs)

18b Der in seiner Allmacht so überragende und in seiner Transzendenz so erhabene Gott zeigt sich dann als "die Gnade Gottes, die erschienen ist, um alle Menschen zu retten" (vgl. Tit 2,11); als Jesus der Herr, der "sich für uns hingegeben (hat), um uns von aller Schuld zu erlösen und sich ein reines Volk zu schaffen, das ihm als sein besonderes Eigentum gehört" (Tit 2,14). (Fs)

"Ab Iove principium": Wenn wir von Gott ausgehen - nicht von einem der vielen Götzen, sondern von dem lebendigen und wahren Gott, den wir immer als Bezugspunkt unseres Lebens und unseres Handelns nehmen müssen -, wird gewiß jeder neue Tag mit Wahrheit und Weisheit erfüllt. (Fs)

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