Autor: Hrsg. Brandmüller, Walter; Scheffczyk, Leo; Lochbrunner, Manfred Buch: Das eigentlich Katholische Titel: Das eigentlich Katholische Stichwort: Papsttum; Primat: Ermöglichung konziliarer Entscheidungsfindung; Wertepriorität im äußersten Konfliktfall; Plausibilitäten für die eigene Sonderposition; Petrus: Fels - Versucher; Schwachheit d. Menschen - Geheimnis d. Kirche
Kurzinhalt: Die Verheißung schließt das Versagen und die Notwendigkeit der Zurechtweisung nicht aus. Aber Versagen und Zurechtweisung heben auch die Verheißung nicht auf.
Textausschnitt: 241a
3. Schließlich bedeutet gerade der Primat Ermöglichung gesamt-kirchlicher Kollegialität und konziliarer Entscheidungsfindung. Denn die geschichtliche Erfahrung zeigt, daß gesamtkirchliche Konzilien über den Rahmen eines Landes oder einer Region hinaus meist an einem persönlichen Einheitszentrum hängen. Allgemeine Konzilien haben in der Geschichte funktioniert, wenn entweder ein Papst oder ein Kaiser dahinterstand, für ihr Zustandekommen sorgte, tote Punkte überwand, schließlich nachher die Entscheidung trug und zielstrebig zu ihnen stand - oder sie haben nicht funktioniert. Bezeichnend ist u.a., daß die orthodoxe Kirche nach der Trennung kein panorthodoxes Konzil mehr feierte. Konzilien hängen wesentlich an einem solchen Einheitszentrum. Diese Funktion teilt freilich das Papsttum im ersten Jahrtausend mit dem Kaisertum, bzw. sie kommt eher letzterem zu. Aber schon sehr früh, im Grunde seit dem 4. Jahrhundert, erfüllt hier Rom eine äußerst wichtige Funktion. Sie besteht weder in der Leitung noch in der Einberufung, sondern in etwas anderem: in der Sorge für Kontinuität und eine klare Legitimitätslinie. D.h.: einmal anerkannte Konzilien werden um jeden Preis festgehalten und gegen alle nachträgliche Abschwächung und Infragestellung verteidigt; einmal zurückgewiesene bleiben abgelehnt. Dies war nicht selbstverständlich, weil Konzilien als solche eine zwar sehr lebendige, aber auch chaotische und sehr wenig verläßliche Institution darstellten: Ständig annullierten sie sich gegenseitig, produzierten neue Glaubensformeln, wodurch die früheren überholt wurden. Es war hier langfristig äußerst wichtig, daß Rom wie keine andere Institution Stabilität und Kontinuität und letztlich Verläßlichkeit verkörperte, selbst wenn dies manchmal mit einer gewissen Sturheit und nicht immer mit genügend Einfühlungsvermögen in die diffizilen theologischen Probleme des Orients geschah. (Fs)
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4. Die historische Erfahrung zeigt, daß kirchliche Einheit durch Rom angesichts der realen geschichtlichen Belastungen dieser Einheit - gerade auch dann, wenn sie bedingt oder mitbedingt sind durch ein Fehlverhalten Roms selbst - nur funktionieren kann durch eine theologisch begründete Option für die Einheit. Dies ist hier näher auszuführen. Wir gehen davon aus, daß kirchliche Einheit immer wieder in der Geschichte in Spannung und manchmal in unlösbaren Konflikt mit anderen Werten tritt, die mit Pluralität, Eigenständigkeit der Ortskirchen oder auch "Inkulturation" umschrieben werden können. Das Bestreben, dem Glauben und kirchlichen Leben eine Gestalt zu geben, die von den Erfordernissen des Hier und Heute her als die überzeugendste und optimalste erscheint (in sich berechtigt und notwendig, zugleich aber auch immer in Gefahr einer allzu leichten "Anpassung"), läßt sich nicht immer harmonisch mit der gesamtkirchlichen Einheit und ihren oft "harten" Forderungen versöhnen. Die Gründe dafür können ebenso in Starrheit und Unverständnis der Zentrale wie in der Kurzsichtigkeit einer Ortskirche liegen, die vielleicht nicht sieht, daß sie drauf und dran ist, wesentliche christliche Werte oder Glaubensinhalte hintanzustellen, oder auch in historischen Grenzen des Verstehenkönnens, die nicht in moralischen Kategorien zu fassen sind. Für alle drei Fälle lassen sich genügend historische Beispiele nennen; meistens sind übrigens alle drei Momente miteinander verquickt. Und die Grenzen zwischen der "notwendigen" Einheit und der Pluralität im "Nicht-Notwendigen" sind selten eindeutig bestimmbar, sondern meist sehr unscharf. Die harte Frage nach der Wertepriorität im äußersten Konfliktfall ist daher auf die Dauer unumgänglich. Wenn ein (selbst vielleicht in sich berechtigtes) Beharren einer Kirche auf dem eigenen Weg zum Abbruch der Communio mit den übrigen Kirchen und mit dem "Centrum unitatis" fuhrt, welcher Wert hat dann im äußersten Konfliktfall den Vorrang? Diese Frage ist um so mehr unumgänglich, als ein Ausweichen vor ihr de facto in den Konsequenzen auch eine eindeutige Antwort bedeutet. Sucht man ihr nämlich auszuweichen, indem man sagt, man könne eine solche Antwort nur jeweils von Fall zu Fall angesichts der anstehenden Probleme geben, so bedeutet dies de facto in wirklich harten Konflikten eine Wertepriorität gegen die Einheit und für die Vielheit, weil in solchen Konflikten zunächst einmal alle Plausibilitäten für die eigene Sonderposition sprechen. Hinzu kommt, daß man sich nur bei einer solchen hart gestellten Frage nach der Priorität im äußersten Konfliktfall nicht bloß an einem platonischen Ideal kirchlicher Einheit (oder eines immer nur "im Geiste des Evangeliums" ausgeübten Papstamtes) orientiert, sondern an der sehr unromantischen, harten und konfliktreichen Wirklichkeit kirchlicher Communio als Sich-ertragen sündiger Menschen. Der Traum eines "Papa angelicus" führt im Spätmittelalter wie heute nur weg von der Realität. Auch das Petrusamt kann nur als immer auch sündiges angenommen werden. (Fs)
243a In diesem Sinne hat das Verständnis katholischer Einheit als konkrete Einheit mit der römischen Kirche, speziell in der Fassung des Jurisdiktionsprimats des 1. Vatikanums, den Sinn einer eindeutigen Option für die Einheit. Will man aber grundsätzlich eine Einheit, die nicht nur "im Geiste", sondern in der tatsächlichen Gemeinschaft und gegenseitigen Anerkennung besteht, dann erscheint schon von der historischen Erfahrung her eine Prioritäten-Option für die Einheit sinnvoll. Denn nur eine solche klare Option blickt den realen historischen Belastungen der Einheit ins Angesicht und ist nicht bloß an einem Ideal christlicher Einheit orientiert. Sie macht auch damit ernst, daß eine solche Einheit ihren Preis hat. Sie hat nicht nur Vorteile, sondern auch Kehrseiten. Die Frage freilich, was von beiden schwerer wiegt, kann nicht durch bloßes Abwägen beantwortet werden, erst recht nicht durch subjektive Optionen. Hier stellt sich vielmehr zunächst die Frage, welchen glaubensmäßigen Stellenwert konkrete kirchliche Einheit hat. Vom christlichen Glauben her aber empfängt eine solche Option ihren Sinn daher, daß sie die ekklesiologische Form des Glaubens an die unbedingte Treue Gottes zu seinem Volk in der Kreuzeshingabe Christi ist. Sie macht damit ernst, daß Gott seine Kirche nie verläßt und daß diese Kirche, entsprechend der sichtbaren Ordnung der Inkarnation, konkret festzumachen ist: eben als Gemeinschaft mit dem Sitz Petri. Es geht hier um den Glauben an die Treue Gottes auch in allen Sünden der Menschen, und dies in kirchlicher Konkretheit. (Fs)
244a Ich habe schon betont, daß das Petrusamt nicht bloß als Idealgestalt, sondern immer auch als sündiges akzeptiert werden muß. Petrus selbst ist in den Evangelien keine Idealgestalt, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit Vorzügen und Schwächen, bereit und offen, aber auch immer wieder mißverstehend und versagend. Auf sein Christusbekenntnis und die darauffolgende Verheißung Jesu (Mt 16,16-19) folgt sein Unverständnis gegenüber der Leidensweissagung Jesu und die darauffolgende Zurechtweisung durch Jesus (V. 22 f.). Der Petrus der Verheißung und der Zurechtweisung. Einmal ist Petrus der "Fels", dann ist er der "Versucher", weil er den Herrn überlegen "beiseite" zu nehmen sucht und besser den Willen Gottes zu kennen meint als Jesus selbst. Einmal erklärt Jesus ihm, daß "nicht Fleisch und Blut" ihm sein Bekenntnis geoffenbart haben, sondern der Vater im Himmel; dann wiederum denkt er "nicht Gottes Gedanken, sondern menschlich". Und beides zusammen macht die Realität des Papstamtes in der Geschichte aus: der Petrus, der gegen alle Modeströmungen "der Menschen" den unverkürzten Glauben an Jesus Christus und seine Offenbarung bekennt und hochhält - und ebenso der Petrus, der "mißversteht", der den Weg des Kreuzes nicht akzeptiert und in irgendeiner noch so sublimen Weise seinen Auftrag als irdische Macht und die Verheißung als bruchlose Selbstbestätigung mißversteht. Die Geschichte des Papsttums ist weder eine bloße Ruhmesgeschichte noch eine einseitige Skandalgeschichte. Die andere, dunkle Seite gehört dazu. Wir sollen nicht einseitig auf sie starren, aber wir brauchen sie auch nicht zu verdrängen. (Fs)
245a Und weil das Petrusamt immer "menschlich" ausgeübt wird, ist es auch in seiner Gestalt immer korrektur- und reformbedürftig, wie nicht zuletzt Johannes Paul II. in seiner Ökumenismus-Enzyklika "Ut ommes unum sint" anerkannt hat. Hier wäre manches zu sagen, was ich an anderer Stelle ausgeführt habe.1 Falsch und trügerisch wäre es jedoch, das Ja zum Papstamt von diesen Reformen abhängig zu machen. Und es wäre auch ein Mißverständnis, "Verheißung" und "Zurechtweisung", den Jesus "bekennenden" und "mißverstehenden" Petrus einfach nur dialektisch nebeneinanderzustellen (was in der Konsequenz leicht bedeutet: der Petrus, der mir nicht paßt oder Unpopuläres verkündet, ist der Petrus des "Mißverständnisses" - es könnte in Wirklichkeit genau umgekehrt sein!). (Fs)
245b Wie verhält sich nun beides zueinander? Die Verheißung schließt das Versagen und die Notwendigkeit der Zurechtweisung nicht aus. Aber Versagen und Zurechtweisung heben auch die Verheißung nicht auf. Wohl tragen sie dazu bei, die Verheißung in ihrem wahren Licht erscheinen zu lassen: nicht als menschlicher Ruhm und Bestätigung einer Institution, die es immer richtig gemacht hat, sondern als Geheimnis der Erwählung unvollkommener Menschen, als Gottes Kraft in menschlicher Schwachheit. In dem schwachen Petrus, der immer wieder seinen Herrn mißversteht, der ihn gar dreimal verleugnet, der aber dennoch zum Fels erwählt wird, wird deutlich, was es mit dem Papsttum auf sich hat. Christus selbst ist das unerhörte Wagnis eingegangen, auf diesen immer wieder auch versagenden Petrus seine Kirche zu bauen, jemanden zum Felsen zu erwählen, auf den rein menschlich kein Verlaß ist, damit umso deutlicher wird, daß Er alleine der Fels ist. Und dies gerade nicht, damit wir mit Fingern auf Petrus (oder das Papsttum) zeigen, um uns irgendwie besser zu dünken oder gar in der Rolle von "Propheten" zu gefallen, die von vornherein besser die Zeichen der Zeit erkennen. Dies wäre gerade mißverstanden. Niemand kann auf "Petrus" herabsehen. In seinem Versagen und seiner "Schwachheit" spitzt sich nur das Geheimnis der Kirche zu: daß Gott schwache und sündige Menschen wie uns zu Instrumenten Seines Heiles erwählt. In diesem Petrus hat der Herr ein Amt der Einheit für die Kirche geschaffen, nicht damit wir auf Menschen vertrauen, am wenigsten damit wir auf das Papsttum vertrauen, sondern damit wir gerade so alleine auf IHN vertrauen. Ablehnung jeder äußeren Autorität, unter dem hehren Schein, so auf Gott allein zu vertrauen, ohne etwas in der Hand zu haben - dies kann leicht wieder eine sublime Form des bloßen Selbstvertrauens in die eigene Einsicht sein. In dem Angewiesensein auf einen andern, auf eine äußere Instanz, kommt in der Kirche zum Ausdruck, daß wir nicht über das Heil und die Wahrheit Gottes verfügen. Und daß auch die Päpste unvollkommene, gebrechliche Menschen und nicht "Übermenschen" sind, bedeutet, daß wir gerade in der Treue zum Papsttum auf Gott allein vertrauen. (E10, 07.12.2010)
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