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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Zukunftsaussichten des «radikalen Humanismus»; homöopathisches Christentum; Kirche heute - rein formale Einheit; Zukunft d. Christentums: Besinnung auf d. trinitarische Geheimnis - kein verwaschener Synkretismus


Kurzinhalt: Das Buch versteht Christus als «wahren Menschen», das Christentum als «Aktivierung der Erinnerung» an Jesus, die Theologie als die rationale Ingenieurkunst zur Verbesserung der menschlichen Wirklichkeit ...

Textausschnitt: 11. Die Zukunftsaussichten des «radikalen Humanismus»

41a Auf Grund des Gesagten dürfte das abschließende Urteil über diesen Versuch einer weltförmig-humanistischen Vermittlung des Christentums an den modernen Menschen trotz aller Unklarheiten, die dem Buch im einzelnen anhaften, nicht ungewiß bleiben. Eine «Summe» christlichen Glaubens, wie der Verfasser behauptet, kann es schon wegen seiner inhaltlichen Bruchstückhaftigkeit nicht sein. Aber das wäre noch kein durchschlagender grundsätzlicher Einwand; denn auch ein Fragment oder ein Torso kann zuweilen das Ganze widerspiegeln oder wenigstens erahnen lassen, wenn ein diesem Ganzen kongeniales Verstehen vorhanden ist. Erfüllt das Buch diese Voraussetzung? Das darf ernstlich vor allem aus einem Grunde bestritten werden, der das Buch durchgehend charakterisiert: Es ist das völlige Fehlen des Verständnisses für das Mysterium. Gott ist «kein Gott des Rätsels» (S. 437), die Trinität ist «nicht ein undurchdringliches Geheimnis» (S. 467). Das Buch versteht Christus als «wahren Menschen», das Christentum als «Aktivierung der Erinnerung» an Jesus, die Theologie als die rationale Ingenieurkunst zur Verbesserung der menschlichen Wirklichkeit, den Gottesglauben als ein irrationales Vertrauen in die Wirklichkeit, das im Grunde keinem Menschen abzusprechen ist. Damit ist dem Christentum nicht nur seine Originalität genommen, sondern es ist der Dimension des Heiligen entkleidet (dieser Gedanke ist nirgends aufgenommen), es ist der Ubervernünftigkeit der Offenbarungswahrheit beraubt, der staunenden Hingabe an Gott und die Menschen in der bis zum Martyrium reichenden Liebeshingabe, der Anbetung des abgründigen Gottes, der vom Beter noch als etwas ganz anderes erkannt wird denn als die Tillichsche «Tiefe der Wirklichkeit». (Fs)

41b Das hier angepriesene Christentum kennt diese Dimensionen alle nicht mehr. Es haftet auf dem Boden irdischer Zweckhaftigkeit und vermag sich auch durch emphatische Sprachfiguren davon nicht zu lösen. (Auch die Hinzufügung des Adjektivs «radikal» ist eine sprachliche Verlegenheitslösung, die heute oft angewandt wird, wenn man das betreffende Substantiv nicht mehr genau bestimmen kann). Tatsächlich erklärt das Buch nicht einmal, was «Menschsein« bedeutet. Es kann deshalb auch nicht als teilweise Wiedergabe des christlichen Glaubens anerkannt werden. Das Wesen christlichen Glaubens, zumal in seiner in der Kirche existenten Form, ist aus dem Ganzen herausgebrochen. Was bleibt, sind ein paar welke Lichter, die sich nach Sonnenuntergang am Horizont in einer Atmosphäre, die ihre christliche Vergangenheit noch nicht gänzlich verleugnen kann, verständlicherweise brechen. Was hier angeboten wird, ist gleichsam nur noch ein «homöopathisches Christentum», kein starker Wein mehr, sondern ein Wässerchen mit süßlichem Geschmack. Es wird die wirklichen Atheisten und die wirklich «radikalen Humanisten» (an die alle es sich ja wendet) nur in ihrer Ansicht bestärken, daß die Selbstauflösung des Christentums weiter fortschreitet. (Fs)

42a Aber ist nicht der frappierende Erfolg des Buches ein Beweis für das Gegenteil? Hier muß man genauer zusehen, was der Erfolg dieses Buches beweisen kann und wirklich beweist. Der Bucherfolg ist keineswegs ein Beweis für das Wiederaufleben des Interesses am Christentum und am christlichen Glauben; er beweist nur die Anfälligkeit der heutigen Christen für einen so depotenzierten und entkeimten Glauben, bei dem es nur noch auf eine allgemeine Vertrauensseligkeit ankommt, aber nicht mehr auf eine Entscheidung für die Wahrheit wie auf Leben oder Tod. Ein solcher undezidierter, den Interessen westlicher Liberalität und Prosperität entsprechender Glaube darf natürlich auf das Interesse der Menschen und Christen rechnen, vor allem bei der Schar der Unentschiedenen, der Zweifelnden, der sich nur partiell Identifizierenden. Selbstverständlich werden die hier angebotenen Halbwahrheiten, die immer eingängiger, bequemer und schmeichlerischer sind, als die harten Forderungen des katholischen Dogmas eine Vielzahl begieriger Leser finden. Aber das sollte nicht als Erfolg für den Glauben und für die Kirche angesehen werden, sondern als Symptom dafür, daß die Masse der Randchristen wächst und daß die Verödung und Versteppung vom Rande her langsam in das Zentrum vordringt. (Fs) (notabene)

42b Natürlich wird ein solches Surrogat des katholischen Christentums vielen auch zum Anlaß dienen, sich in ihrer gebrochenen Glaubenshaltung bestätigt zu fühlen. Dabei mag unterschwellig auch die Frage eine Rolle spielen: Wie macht es ein berühmter Theologe, sich so von Glauben und Kirche zu distanzieren und sich doch nicht davon zu trennen? Oder: wie bringt man es zuwege, so am Rand zu stehen und doch nicht «umzukippen»? Sie ahnen nicht, daß dies grundsätzlich unmöglich ist und daß dies faktisch heute nur in einer Kirche geschehen kann, die vor allem auf die Erhaltung einer rein formalen Einheit bedacht ist. Hier spielt sicher auch die Furcht eine Rolle, durch Eindeutigkeit und durch entschiedene Geltendmachung der Glaubenswahrheit noch mehr an Zahlen zu verlieren. Deshalb die «Anpassung» bis hin zum «Experiment mit der Wahrheit». Aber wenn sich die Pragmatiker der Anpassung schon in der Wahrheitsfrage nicht überzeugen lassen, so sollten sie doch wenigstens im Hinblick auf die sogenannten «Erfolge» kritisch werden; denn in Wirklichkeit führt diese Anpassung, auf deren Wogen das Buch schwimmt, außer der Mobilisierung der Randchristen weder zur Intensivierung des kirchlichen Lebens noch zur Entfaltung der Werbekraft des Glaubens in der Welt (höchstens nach Art des von einem Journalisten zur Charakterisierung der Reaktion der Welt auf die Anpassung der Kirche berufenen Liedtextes: «Jetzt gangi ans Brünnele, trink aber net»). (Fs)

43a Es ist ja auch nicht einzusehen, daß sich auf die Dauer die Menschen von einem Christentum beeindrucken lassen werden, das sich bei genauerem Hinblick nur als Konglomerat von Emanzipations-, Friedens- und Sozialparolen erweist, die mühsam mit dem Namen eines Jesus von Nazareth verbunden sind, wo man dies alles viel originaler, zeitnaher und unmittelbarer aus der Gegenwart selbst schöpfen kann. Deshalb liegt die Zukunft von Christentum und Kirche sicher nicht in dem von Halbwahrheiten, von synkretistischen Verwaschungen und geistigen Vernebelungen strotzenden Programm dieses Buches, sondern im Rückgang auf das unverfälschte trinitarische Geheimnis des wirklichen, in der Kirche fortlebenden Gottmenschen, auf den «herrlichen Reichtum dieses Geheimnisses» (Kol 1, 27), das sich gerade auch darin als wahr erweist, daß es für die vielen ein Stein des Anstoßes bleibt. Die Reduktion des Christentums auf das für die Welt Vernünftige, Verstehbare und in einer Sozialfunktion Verwertbare (wobei noch das Wesen mit der Wirkung verwechselt wird) macht es im Grund überflüssig. (Fs)

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