Autor: Scheffczyk, Leo Buch: Aufbruch oder Abbruch Titel: Aufbruch oder Abbruch Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Christentum als Humanismusprogramm; Reduktion des Christentums auf eine "Vermenschlichung des Menschen"
Kurzinhalt: ... für den radikalen Humanismus ist das Wohl des Menschen das letzte Ziel, für den Christen ist es die Ehre Gottes, in der auch das Wohl des Menschen eingeschlossen liegt.
Textausschnitt: 10. Christentum als Humanismusprogramm
38a So wird dann insgesamt das Wesen des Christentums mit der Erinnerung an Jesus und mit dem Befolgen seines Beispiels gleichgesetzt. Da dieses Leben nur ein «wahres menschliches» Leben war, liegt sein Sinn wesentlich darin, daß es zu tieferem, radikalem, wahrerem Menschsein stimulieren soll. Hier wird dann in merkwürdiger Widersprüchlichkeit zu der wiederholten Behauptung, daß das Christentum kein Prinzip, keine Idee und kein Programm beinhalte, ein christliches Programm entwickelt, dessen Hauptforderungen in der «Aktivierung der Erinnerung» an Jesus, im praktischen Engagement für die Gesellschaft, für die Befreiung der Menschen, für soziale Gerechtigkeit und im Widerstand gegen den Leistungsdruck (wiederum mehr mit sprachlichem Elan als mit denkerischer Schärfe vorgetragen) bestehen. In diesen Partien bringt das Buch nur die bekannten Forderungen eines «politischen» Christentums zum Ausdruck, das seine Konkurrenzfähigkeit mit der Welt demonstrieren möchte. Die Humanisten aller Schattierungen werden diese Forderungen keineswegs bestreiten, sondern sich nur fragen, warum man das alles mit dem Etikett «christlich» ausstatten solle. Die Frage wirkt um so peinlicher, als der Autor allen diesen Anweisungen, die etwas von der Penetranz des Moralisierens an sich haben, die Erklärung vorausschickt, daß es ein eigentlich christliches Ethos nicht gibt (S. 534). Wie kann man diese Humanitätsappelle dann aber als «christlich» ausgeben? Man kann es unter der Bedingung, daß man sie mit dem Namen des Jesus von Nazareth verbindet. Dieser Name hat sich in der «Christologie» des Buches nur als Eigenname eines «wahren Menschen» erwiesen und nicht als etwas über den Menschen Hinausgehendes. Darum kann nicht ersichtlich werden, was dieser Christus dem Menschlichen hinzubringt und was das Christentum über das Menschsein als solches erhebt. (Fs) (notabene)
39a Daß dieses Menschsein durch die Berufung auf Christus «radikaler» werden soll, kann nicht bewiesen werden, zumal ja auch die «Erlösung» nichts Wesentliches an der Menschheit geändert hat. So sind die Berufungen auf Christus in diesen Zusammenhängen tatsächlich Ausdruck eines reinen Nominalismus, der eine verlorene Sache durch einen irgendwie noch bedeutungsträchtigen Namen zurückholen möchte. (Fs)
39b Daß das in der «Nachfolge Christi» zu erreichende radikale Menschsein im übrigen gar nicht so ernst gemeint ist, zeigt eine merkwürdige Beurteilung der Kreuzesfrömmigkeit der Christen, die im Grunde alles wieder zurücknimmt, was über die Verpflichtung der menschlichen Existenz auf das Kreuz gesagt wurde. Gerade unter dem Stichwort «Kreuzesnachfolge» und spätestens hier dürfte man erwarten, daß das «specificum Christianum» zum Vorschein käme, z. B. in einem wenigstens verhaltenen Hinweis auf das christliche Zeugnis bis zum Letzten und auf das Martyrium als höchste und differenzierende Möglichkeit eines «christlichen Humanismus». Aber bezeichnenderweise findet sich an dieser Stelle eine scharfe Attacke gegen einen katholischen Bischof aus dem östlichen Machtbereich, der es wagte, auf heutige Tendenzen einer «Entleerung des Kreuzes» (gemäß 1 Kor 1,17) hinzuweisen. Hier wird dem Bischof, der gewiß ganz andere Erfahrungen des Kreuzes in einer christusfeindlichen Welt gemacht haben dürfte als weltlich-bürgerliche Startheologen (von denen einer [nicht der Verfasser des Buches] einmal erklärte, daß sein Schreibtisch sein Altar sei, ein Wort, dessen Implikationen eingehenderen Nachdenkens wert wären), vorgeworfen, daß er das Kreuz als «Holzhammer» (S. 54) verwende. (Auch hier wäre allein schon der Ausdruck zu beachten). Die «Kreuznachfolge», die nach dem Buch allein gerechtfertigt erscheint, ist die des «verstandenen Kreuzes» (S. 567). Das ist gerade «nicht Nachvollzug seines (Christi) Kreuzes» (S. 568), sondern einfaches Ertragen des Leides, besser noch: das Leid bekämpfen und es verarbeiten (S. 569). Die biblischen Gedanken des freudigen «pro nomine Jesu contumeliam pati» (Apg 5, 41) oder des paulinischen «adimpleo ea, quae desunt passionum Christi» (Kol 1, 24) liegen einem solchen Denken fern. (Fs)
39c Damit soll nicht behauptet werden, daß die Gedanken des Verfassers über Kreuz und Leid wertlos wären oder gar keine menschliche Bedeutung hätten. Es soll durchaus zugegeben werden, daß sie «humanistisch» sind, möglicherweise sogar «radikal humanistisch». Aber damit sind sie noch nicht spezifisch christlich, sondern nur wieder Abkömmlinge einer rein natürlichen theologia crucis, die dem übernatürlichen Glaubensgeheimnis des Kreuzes etwa so gegenübersteht wie ein philosophischer Satz einem Glaubensbekenntnis. Auch im Bereich der für den radikalen christlichen Humanismus entscheidend erachteten Beurteilung von Leid und Kreuz gelingt dem Buch der Aufweis des spezifisch Christlichen nicht. Christentum ist eben mehr als «radikaler Humanismus». (Fs)
40a Dieses «Mehr» deutet sich gerade in einem Gedanken der Tradition und in einer Formel der Liturgie an, die die schärfste und geradezu zynische Ablehnung des Buches erfährt. Es ist der seit der Patristik im christlichen Glaubensbewußtsein verankerte Satz «Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott werde». Gegen diesen Satz stellt der Verfasser die bezeichnende Frage (die ohne Ausweis des Beleges ähnlich bei dem Agnostiker E. Topitsch1 vorkommt): «Will aber heute noch ein vernünftiger Mensch Gott werden?» Natürlich darf dieser Satz der genuinen christlichen Tradition nicht im Sinne einer pantheistischen Vergottungslehre gedeutet werden. Aber das richtige Verständnis des Satzes, das man durchaus auch einfachen Gläubigen zutrauen kann, erbringt gerade die theologische Differenz zwischen der christlichen und der «radikal-humanistischen» Deutung der Wirklichkeit und des Weltprozesses. Der Christ glaubt eben daran, daß «der Mensch den Menschen um ein Unendliches übersteigt» (Pascal) und daß dieses Übersteigen einmal in der Teilnahme am innertrinitarischen Leben ans Ziel gelangen wird, welche Teilnahme sich jetzt schon sakramental vorbereitet, auch unabhängig von aller christlichen Sozial- und Weltarbeit, welche z. B. dem Christentum in der Situation der Verfolgung durch den marxistischen Atheismus gar nicht möglich ist. (Hier wird auch deutlich, daß das Buch nur aus der Wohlstandssituation eines westlich-liberalen Christentums verstehbar ist, das nach dem Verlust der Mysterien des Glaubens nur die irdische Prosperität etwas ausweiten möchte, etwa nach dem Grundsatz: Möglichst viel Glück für möglichst viele Menschen). Für dieses Buch bleibt deshalb das letzte Ziel des Christentums «die Vermenschlichung des Menschen» (S. 433). Man kann das Unzulängliche dieses sich als christlich ausgebenden Programms schlicht (und damit für den Kritiker leicht angreifbar) auf den Satz bringen: Einer ideologisch aufgeladenen Christlichkeit geht es um den Nachweis, daß alle Wirklichkeit (auch die göttliche, die hier nicht deutlich von der menschlichen unterschieden wird) für den Menschen da sei. Für das genuine Christentum ist das nur die halbe Wahrheit. Für dieses gilt der Satz: «Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes» (1 Kor 3, 23). Oder noch einmal knapper: für den radikalen Humanismus ist das Wohl des Menschen das letzte Ziel, für den Christen ist es die Ehre Gottes, in der auch das Wohl des Menschen eingeschlossen liegt. Das Buch aber verneint ausdrücklich, daß Gott Ehre brauche oder wolle. Auch damit ist das christliche Gott- und Weltgeheimnis seines inneren Sinnes beraubt. (Fs) (notabene)
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