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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Jesuanismus statt Christusglauben 2; «Sachwalters Gottes» - Heroenkult, Starkult; Gottessohnschaft: Grundlegung in der hl. Schrift

Kurzinhalt: ... wenn Jesus nur der relativ höchste Offenbarer Gottes und der relativ vollkommenste Mensch ist ... warum könnte nicht im Ablauf der von uns zeitlich nicht festzulegenden Menschheitsgeschichte ... noch ein höherer Offenbarer Gottes ... kommen ...

Textausschnitt: 33a Wenn man diese hier offenbar eingetretene gedankliche Blockierung lösen wollte, müßte man etwa sagen: Gott hat es so festgelegt, daß Jesus in der Linie der Propheten, der Gottesmänner und der Gottesfreunde der letzte und höchste sein soll. Einmal sollte diese Linie eben ein Ende haben und ihren Gipfel erreichen. Aber das ist für den denkenden Glauben keine gültige Auskunft; denn damit ist zugegeben, daß die Linie an sich weiterlaufen könnte, daß es noch einen höheren Offenbarer und einen «wahreren Menschen» geben könnte als es Jesus war. Wenn man nämlich grundsätzlich eine Distanz zwischen Gott und dem Menschen Jesus aufrecht erhält, kann man jede Annäherung dieser beiden «Größen» noch größer, noch inniger und intensiver denken. Dann aber ergeben sich eine Reihe von Fragen, die für den christlichen Glauben fatal sind: Hat Gott etwa hier rein positivistisch, dekretalistisch und willkürlich gehandelt, wenn er die Linie der Boten Gottes und der gottinnigen Menschen mit Jesus von Nazareth beendete? Vor allem dem modernen, vom Evolutionsgedanken bestimmten Menschen wird sich dann noch eine andere, geradezu zweiflerische Frage stellen: wenn Jesus nur der relativ höchste Offenbarer Gottes und der relativ vollkommenste Mensch ist (auf diesen relativen Charakter der Erscheinung des Jesus von Nazareth läuft nämlich der Ansatz dieser Jesuologie hinaus), warum könnte nicht im Ablauf der von uns zeitlich nicht festzulegenden Menschheitsgeschichte (Teilhard de Chardin gab dieser Geschichte immerhin noch zwei Millionen Jahre bis zum Ende!) noch ein höherer Offenbarer Gottes und ein vollkommener Mensch kommen, als es der Nazarener gewesen ist? Sollten wir uns dann so entschieden und ausschließlich an diesen Jesus binden und nicht besser warten und hoffen, daß der Menschheit noch eine höhere Offenbarung bevorsteht? Die Folge davon wäre eine rein religionsgeschichtliche Auffassung von Christus und dem Christentum, nach der es sich bei beiden zwar um durchaus hochzuschätzende religiöse Erscheinungen handelt, aber nicht um etwas Absolutes, Bleibendes und Endgültiges. (Fs) (notabene)

34a Von hier aus kann die Frage abschließend beantwortet werden, warum es nicht genügt, von Jesus in den höchsten menschlichen Prädikaten und Interpretamenten zu sprechen und ihn so nahe wie möglich an Gott heranzurücken. Wenn er nicht selbst im wahren Sinne (der von der Theologie durchaus ohne Schmälerung seiner Menschheit festgehalten werden kann) dieser Gott ist, dann sind selbst die höchsten Qualifizierungen vordergründig, uneigentlich und überholbar. Dann könnten wir nicht mit dem Hebräerbrief bekennen: «Christus gestern, heute und in alle Ewigkeit» (Hebr 13,6). Dann müßten wir mit dem Täufer im Advent der Menschheit und vor der Offenbarung Christi unablässig weiter fragen: «Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?» (Mt 11,3) Ohne den Glauben an die wesenhafte Einheit Jesu Christi mit Gott in der göttlichen Person des Sohnes ist der Christusglaube nicht nur vage, sondern unerfüllt und leer. (Fs)

34b Das gläubige Denken kann sich auf die Dauer nicht auf dieser höchsten Stufe eines menschlichen «Sachwalters» Gottes halten. Das wäre in Wirklichkeit (wenn man diese Möglichkeit auf ihre tiefsten Folgerungen hin durchdenkt) nur eine Form des alten Heroenkultes. Deshalb ist in der Diskussion auch richtig bemerkt worden, daß der von diesem Buch bevorzugte Jesustitel des «Sachwalters Gottes» eine tiefe mythologische Wurzel hat. Also mitten in der Moderne das Aufschießen einer mythologischen Blüte! Wenn man allerdings bei einem modernen Bild und Vergleich bleiben will, dürfte man zur Ausleuchtung des tieferen zeit- und geistesgeschichtlichen Hintergrundes dieser Jesusauffassung sagen: Es handelt sich weniger um den alten Heroenkult, der hier seine Urständ feiert, als mehr um einen modernen Starkult: Auch der moderne Mensch (selbst wenn er seine allgemeine religiöse Anlage aktuiert) bedarf seines Helden, seiner Idole und «Diven», zu denen er einerseits mit einer gewissen Sehnsucht emporschauen kann, mit denen er sich andererseits aber auch identifizieren will, um an der Unerfüllbarkeit seiner Sehnsucht nicht zu leiden. Mit einem Gottmenschen aber kann sich der Mensch nicht identifizieren. Deshalb kann er ihn in seiner ohnehin auf den Nutzen, auf die praktische Verwertbarkeit ausgerichteten Religiosität auch nicht «gebrauchen». (Fs) (notabene)

34c Der wahre Christ dagegen weiß, warum er im Glauben auf das göttliche Persongeheimnis Jesu Christi verwiesen ist und an der Gottheit Christi festhalten muß. Das Buch möchte den Eindruck erwecken, als ob der Glaube an die Gottheit Jesu Christi und das Entstehen einer Lehre über das Persongeheimnis Christi (Christologie), in der die Frage nach dem «Wer ist dieser» mit allen Mitteln des vom Glauben erleuchteten Denkens erörtert und beantwortet wurde, eine Erfindung griechisch-hellenistischen Denkens sei, das an den physischen oder metaphysischen Bestimmungen der Person Jesu Christi interessiert gewesen wäre und im «Stil antiker Festinschriften und Festansprachen» (S. 440) die Gottessohnschaft «von oben theologisch postuliert und deduziert» hätte (S. 439). Demgegenüber ist zunächst einmal mit der modernen Exegese zu sagen, daß die Gottessohnschaft Jesu von den altchristlichen Konzilien nicht deduziert zu werden brauchte, weil sie schon in der heiligen Schrift vorhanden war. Nach dem protestantischen Exegeten E. Käsemann ist im Neuen Testament die «Gottessohnschaft im metaphysischen Sinn selbstverständlich vorausgesetzt»1; nach dem katholischen Exegeten R. Schnackenburg ist auch «die Zwei-Naturen-Lehre noch unentfaltet - eingeschlossen»2 in den Aussagen des Johannesevangeliums (vor allem Joh 1,14). (Fs)

35a Das sagt, daß hier das griechische Denken zum urchristlichen Glauben nichts hinzugefügt oder philosophisch hinzugedacht hat. Es mußte vielmehr (wenn auch im Anfang unentfaltet) die wahre Gottheit Christi aus einem heilshaft-erlöserischen Grunde mitdenken und mitglauben. Es war zutiefst davon durchdrungen, daß Jesus Christus um unserer Erlösung willen als wahrer Mensch zugleich hat wahrer Gott sein müssen; denn als Mensch (selbst als nach diesem Buch so genannter «wahrer Mensch») hätte er uns nicht erlösen können. Der ganze uns manchmal so theoretisch anmutende Streit um die christologischen Formeln der ersten Allgemeinen Konzilien ging nicht um «abstrakte Wesensaussagen» (S. 438), sondern um die Vergewisserung und Sicherung der von Jesus Christus erbrachten Erlösung. Man wußte mit einem wachen, von der Heilsfrage bewegten Glaubensbewußtsein, daß die Menschheit von einem «wahren Menschen», selbst wenn er noch so gottnah und gottinnig gelebt hätte, nicht hat erlöst werden können. Für das christliche Denken vom in Jesus Christus geschehenen Heil genügte es eben damals wie heute nicht zu sagen, «daß in der Geschichte Jesu Christi wahrhaft Gott und Mensch im Spiel sind» (S. 439; man beachte dabei die selbst spielerische und ins Unbestimmte verschwebende Ausdrucksweise). Es war vielmehr davon überzeugt: nur wenn Jesus Christus als Mensch zugleich wahrer Gott ist, konnte er uns erlösen; denn die Erlösung durch einen «wahren Menschen» wäre nur eine verfeinerte Form von Selbsterlösung, wie sie die Menschheit in der Geschichte der Religionen immer wieder versucht hat und noch heute versucht. (Fs)

35b Deshalb ist es auch für den dogmengeschichtlichen Befund bezeichnend (der in dem Buch tendenziös wiedergegeben wird), daß die griechischen Theologen der frühen Konzilien die auf die Einheit von Gott und Mensch dringenden Formeln nicht (wie S. 438 behauptet wird) aus einem gewissen Zwang heraus gebrauchten, weil ihnen keine anderen Begriffe verfügbar gewesen wären. Sie hätten sehr wohl (wie dieses Buch) sagen können: Christus war Gott ganz nahe; er war der mit Gott innigst verbundene Mensch, in ihm war «Gott präsent». Sie wußten aber, daß unsere Erlösung nichtig wäre, wenn Jesu Einheit mit Gott nicht als Wesenseinheit geglaubt würde. Anders wäre auch die von dem Buch an Stelle der wirklichen seinshaften Erlösung bevorzugte «Nachfolge Jesu» innerlich nicht zu begründen. Abgesehen davon, daß «Nachfolge» den Menschen nicht erlösen kann, sondern die Erlösung voraussetzt, wäre sie ohne Anerkennung der Gottheit Christi unbegründet und irreligiös, weil es sich hier um die Nachfolge gegenüber einem Menschen handelte. Auch um die Nachfolge Christi innerlich zu begründen und nicht als Ableger eines verborgenen Heroenkultes zu verstehen, muß man fragen, wer Jesus Christus als Person und in seinem Wesen war, und muß diese Frage mit dem Glauben der Kirche beantworten: wahrer Mensch und wahrer Gott! Sonst folgt man möglicherweise einem religiösen Schwärmer nach. (Fs)

36a Die Preisgabe dieser Wahrheit macht sich folgerichtig auch in der Lehre von der Kirche bemerkbar, die nun nicht mehr als der «Leib Christi» verstanden werden kann, sondern nur noch als die «Gemeinschaft derer, die sich auf die Sache Jesu eingelassen haben» (S. 468). Der Irrtum zieht sich weiter fort und endet im völligen Verkennen einer sakramentalen Struktur der Kirche. So ist auch die Eucharistie nur mehr eine Gedächtnis- und Dankfeier, sie ist «Teilhabe an der Wirkung des ... Lebensopfers Jesu», aber nicht die Vergegenwärtigung dieses Opfers und nicht das Opfer der Kirche wie der Gläubigen. Dieses Gemeinschaftsmahl «darf als Freudenmahl auch für die Sünder gefeiert werden», was an sich selbstverständlich ist, wenn man heute hinter diesem Gedanken nicht die von evangelischen Theologen aufgestellte Forderung vermuten dürfte, daß auch Menschen im Zustand der Sünde (und ohne Empfang des Bußsakramentes, das in diesem Buch keine Erwähnung findet) zur Eucharistie zugelassen werden sollten. (Fs)

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