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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Jesuanismus statt Christusglauben 1; Ebioniten, Schleiermacher; Rückweg ins 19. Jahrhundert; Unterschied: Jesus der Entscheidende - innertrinitarische Logos des Vaters


Kurzinhalt: Der hier gemeinte «Jesusglaube» ist ein subjektiver Reflex auf eine Jesusgestalt, wie man sie sich als moderner Mensch mit humanistischem Engagement und (zugegebenermaßen!) idealistischem Weltverbesserungsstreben halt so vorstellt.

Textausschnitt: 8. Jesuanismus statt Christusglauben

30a Es ist nicht zu verkennen, daß das hier dargestellte Jesusbild nicht den Christus des katholischen Glaubens trifft, aber auch nicht einmal die Christusgläubigkeit des ursprünglichen reformatorischen Denkens erreicht. Wenn man als kritisch denkender Mensch und Gläubiger (und das Buch fordert selbst immer wieder zur Kritik auf) das erste Erfordernis kritischen Denkens erfüllt, nämlich Unterscheidungen zu treffen, wird man diese Deutung des Menschen Jesus von Nazareth nicht als übernatürlichen Christusglauben ansehen können, sondern als natürlichen Jesuanismus. Zum Festhalten an einem solchen vollkommenen Menschen Jesus bedarf es letztlich auch keines Glaubens, der sich immer nur auf einen geheimnishaften, dem menschlichen Denken unergründlichen «Gegenstand» richtet, welcher auch nach erfolgter Offenbarung geheimnishaft bleibt. Dies zeigt, daß sich hier auch das Verständnis von Glauben und Glaubensannahme verflüchtigt. Der hier empfohlene «Jesusglaube» ist nicht mehr das aus der Offenbarung und der kirchlichen Lehrverkündigung kommende Wort von Christus, das zum Glaubensgehorsam (Rom 1,5; 15,18) ruft und das, über alle menschlichen Fähigkeiten hinausgehend, den Menschen durch Gnade am Geheimnis des trinitarischen Gottes Anteil gewinnen läßt. Der hier gemeinte «Jesusglaube» ist ein subjektiver Reflex auf eine Jesusgestalt, wie man sie sich als moderner Mensch mit humanistischem Engagement und (zugegebenermaßen!) idealistischem Weltverbesserungsstreben halt so vorstellt. Dieser Jesus kann tatsächlich auch jene zu Beginn des Buches genannten Adressaten erreichen, die sich als «Atheisten, Gnostiker, Agnostiker und Positivisten» (S. 13) verstehen, ohne daß sie von ihrem Atheismus oder Agnostizismus lassen müßten. Es ist eben ein Jesus, der vor keine Entscheidung stellt, weil er nur etwas höchst Vernünftiges und eigentlich von niemandem Bestreitbares lehrt: die Vermenschlichung der Welt und den Gewinn einer höheren Lebensqualität. (Fs) (notabene)

30b Von daher ist aber auch zu erkennen, daß die so gezeichnete Jesusgestalt nicht einmal dem immer wieder erhobenen Anspruch der Modernität entspricht, wenn man unter dem Modernen auch das Moment des Neuen, des Noch-nicht-Gehörten und des Noch-nicht-da-Gewesenen versteht. In Wirklichkeit ist dieses Jesusbild im Verlauf der Kirchengeschichte schon oft gezeichnet worden. Erste Versuche dazu liegen im Christusverständnis der aus dem Judentum kommenden Ebioniten vor (1./2. Jh. n. Chr.), die die Präexistenz Christi und die Jungfrauengeburt auch schon leugneten und in Jesus nur den großen Boten Gottes anerkannten, der in diesem Buch mit einem anderen Namen als «Sachwalter Gottes» bezeichnet wird. Das Beispiel zeigt, daß die Leugnung der wahren Gottheit Christi mit allen sich daraus ergebenden Folgerungen keine Errungenschaft der Neuzeit und nicht ein Ergebnis kritischen Denkens oder modernen Weltverständnisses ist. Es ist und war die mit dem übernatürlichen Christusglauben als latenter Gegensatz immer mitgehende Option des Unglaubens oder Halbglaubens gegen den Glauben. (Fs)
31a Freilich ist diese Option in der Neuzeit und seit der Aufklärung in größerer Breite und Entschiedenheit vertreten und vorgetragen worden. Aber auch im Vergleich zum aufgeklärten naturalistischen Denken über Jesus (etwa im 19. Jh.) zeigt das Jesusbild des Buches keine wirkliche Originalität. Den in diesem Buche vorgenommenen Verzicht auf jede Wesensaussage über Christus und auf jede metaphysische Erörterung des Persongeheimnisses Christi hat schon Schleiermacher (+ 1834) vorgenommen. Auch er verzichtete auf die Wahrheiten von Christus als der zweiten Person in der Trinität, von Auferstehung und Wiederkunft Christi. Was blieb, war Jesus als Vorbild der Gottinnigkeit und Mitmenschlichkeit. Das ist aber im Wesen nichts anderes, als was in diesem Buche über Jesus als den vollkommenen Menschen gesagt ist. Immerhin ist der Schleiermachersche Christus noch durch seine «wesentliche Unsündlichkeit» ausgezeichnet, die ihn faktisch doch über das Maß des Gemeinmenschlichen hinaushebt. Dagegen gehört zum Jesusbild des Buches die (auch biblisch bezeugte) Sündenlosigkeit nicht hinzu. Jedenfalls findet sie nirgends Erwähnung. In dieser Hinsicht bleibt das Buch noch hinter der religiösen Tiefe des Christusbildes Schleiermachers oder auch A. Ritschis (11889 ) zurück, welcher in Jesus auch nur das vorzügliche Beispiel sittlichen Handelns anerkannte, aber doch auf den Begriff der «Gottheit Christi» nicht verzichten wollte, auch wenn er darin nur den Ausdruck für eine besondere religiöse Wertschätzung der sittlichen Gestalt Jesu sah. (Fs)

31b All diese Züge werden im Jesusbild des Buches aus der Vergangenheit aufgenommen und verstärkt aufgetragen, so daß mit Recht gesagt werden konnte, in diesem Buch werde nur ein grandioser «Rückweg ins 19. Jahrhundert»1 angetreten. Daß diese Kopie eines längst verstaubten Gemäldes als modern ausgegeben werden kann, ist zwar im Hinblick auf den angesprochenen Leserkreis zu begreifen, aber weder geschichtlich noch theologisch zu verantworten. (Fs)

31c Immerhin könnte der von diesem humanistischen Jesus beeindruckte Leser einwenden, daß es doch in dem Buch eine Reihe von Aussagen gibt, die das Besondere, ja das Einzigartige und geradezu «Göttliche» der Erscheinung Jesu hervortreten lassen. Es ist an vielen Stellen des Buches davon die Rede, daß «Jesus von Nazareth als der Christus ... der letztlich Ausschlaggebende, Entscheidende, Maßgebende ist» (S. 166). Diesem Jesus eignete «eine besondere Gotteserfahrung» (S. 307) und «eine sehr eigenartige Unmittelbarkeit zu Gott» (ebda.)- Jesus war der «lautgewordene Anruf» Gottes in «Einzigartikeit, Unableitbarkeit und Unüberbietbarkeit» (S. 440). Diese scheinbar höchstwertigen Jesusaussagen entsprechen den in der liberalen Theologie vielgebrauchten Betitelungen Jesu als des endgültigen Offenbarers, als des letzten und entscheidenden Wortes des Vaters an die Menschheit. (Fs)

32a Man könnte sich angesichts dieser doch wahrlich nicht geringen Lobsprüche auf die einzigartige Größe Jesu von Nazareth die Frage stellen, warum sie denn nicht genügen sollen und was an ihnen auszusetzen sei. Nun, es ist gegen sie alle einzuwenden, daß sie das Persongeheimnis Jesu Christi nicht treffen, ja, daß sie es geradezu aushöhlen; denn es ist etwas anderes zu sagen, Jesus sei ein unüberbietbares Wort Gottes an die Menschen, und zu behaupten, er sei das menschgewordene Wort Gottes selbst, der innertrinitarische Logos des Vaters, der «Fleisch geworden ist» (Joh 1,14). Allein die letzte Aussage ist das Zentrum der heiligen Schrift und der Kern des Christusgeheimnisses. Auch an dieser Stelle sollte man dem mündigen Christen die Unterscheidungsfähigkeit zutrauen und die Einsicht abverlangen, daß sich hinter ähnlichen Wortverbindungen und geringfügigen Sprachvarianten wesentliche Unterschiede auftun, die so gewaltig und abgründig sind wie der Unterschied zwischen Gott und Menschen, zwischen Schöpfer und Geschöpf. Gerade dieser Unterschied und dieser Abgrund der Verschiedenheit ist im Persongeheimnis Jesu Christi überbrückt und geschlossen, insofern in ihm Gott und Mensch in der Person des Wortes geeint waren und geeint sind. Das ist der Glaube der Kirche an Jesus Christus wie ihn schon die altkirchlichen Konzilien aussprachen, die hier im Grunde nichts der heiligen Schrift Unangemessenes oder Widersprechendes taten, weil sich diese Wahrheit für den die Schrift im Geist der Kirche auslegenden Interpreten in ihr eingeschlossen findet und begründet aus ihr herausarbeiten läßt. (Fs)

32b Einen modernen Christen aber, der sich zur Höhe dieses Glaubens nicht mehr aufschwingen kann (und man sollte dieses Nichtkönnen keinem zum persönlichen moralischen Vorwurf machen; vorwerfen kann man ihm höchstens die fehlende Unterscheidungskraft und die gedankliche Schwäche, die darin liegt, nicht zu erkennen, daß das «fleischgewordene Wort» und der «Gottmensch» des kirchlichen Glaubens etwas anderes sind als der «unüberbietbare Mensch» oder der «einzigartige Sachwalter Gottes»), sollte man rein intellektuell und argumentativ davon überzeugen können, daß alle diese sprachlich hochgegriffenen Bezeichnungen Jesu Christi als des «wahren» und «nicht bloßen» Menschen (S. 440) eigentlich in eine Leere weisen, in der der wahre Christusglaube keinen Halt findet und schließlich in ihr versinken muß; denn dem Weiterdenkenden stellt sich unweigerlich die Frage, warum Christus das endgültige, letzte Wort des Vaters an die Menschheit sein soll und warum er der unüberbietbare, einzigartige, letzte Offenbarer, der engste, vertrauteste und innigste Freund Gottes sein kann. Das Buch und die ihm zugrunde liegende Jesusauffassung kann diese für das Denken wie für den Glauben wesentliche Frage nicht beantworten. Es kann nur immer wieder mit einer gewissen Monotonie wiederholen: Das ist eben so! Jesus ist das letzte und höchste Wort Gottes an die Menschen. Hier kommt das Denken nicht weiter und tritt offensichtlich auf der Stelle. Es ist hier gleichsam auf eine bloße Behauptung festgefahren, die es nicht begründen kann. (Fs)

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