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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Auflösung der christlichen Wahrheit; «Fehlbar?»; dynamistischer Monarchianismus; Trinität - Schöpfungstheologie; unitarischer Gott - Weltbezug; Ziel d. Schöpfung: Verherrlichung Gottes; Hegelianismus - Sünde



Kurzinhalt: ... als daß der Verfasser weder die Existenz eines verbindlichen Glaubens an einen dreieinigen Gott anerkennt noch den Sinn dieses Geheimnisses zu verstehen vermag... denn ein starrer unitaristischer Gott ist eigentlich ohne eine Weltbeziehung nicht ...

Textausschnitt: 5. Die Auflösung der christlichen Wahrheit

20a Wenn man das «Atmosphärische» und «Tendenzielle» dieses Buches erfaßt hat, findet man weitere sichere Anhaltspunkte zu seiner Beurteilung und Kritik in den Sachaussagen über den christlichen Glauben, die alle in einem besimmten Sinne gleichsam «verrutscht», «verrenkt» und aus der normalen Lage herausgeraten erscheinen. Daß man das Buch überhaupt (nach den vorher gegebenen Hinweisen auf sein dem Emphatischen, der «Haltung» und der «Subjektivität» zugeneigtes Interesse) am Inhaltlichen kritisieren darf, ist deshalb gerechtfertigt, weil es sich tatsächlich selbst als «Summe» des Glaubens und der modernen Theologie ausgibt (wenn auch mit der Einschränkung «Kleine Summe»: S. 14). Man darf sogar auf Grund dieser hochgemuten Selbsteinschätzung (die übrigens das ganze Buch durchzieht) den Maßstab der Kritik besonders streng ansetzen. Das ist (entgegen der Auffassung K. Rahners) auch deshalb nicht so schwierig, weil die Grundpositionen des Buches schon in den bisherigen Arbeiten des Verfassers hervortreten und insofern (wenn man von der Zeitanalyse und der Heranziehung der Religionswissenschaft im Teil A absieht wie von der stärkeren Ausführung der Christologie in Teil B und C) auch innerhalb seines eigenen literarisch imponierenden Werkes nicht eigentlich neu und originell sind. Wer die Schriften aus der letzten Zeit wie «Unfehlbar?» (1970), «Wozu Priester?» (1971), «Was in der Kirche bleiben muß» (1972), «Fehlbar?» (1973) kennt, wird feststellen, daß das neueste Buch im Grunde nur eine um gewisse Partien verbreiterte Darstellung seiner bereits bekundeten Grundauffassungen ist, die selbst im eigenen Arbeitsbereich keine Neuerkenntnisse erbringt. Ausdrücklich kennzeichnet der Verfasser sein neues Buch auch als «positives Pendant zum Buch über die Unfehlbarkeit» (S. 14). Das sagt, daß hier nur eine gewisse Umkehrung desselben Bildes vorliegt, ein Umstand, der die theologische Kritik erleichtert, zumal der katholische Theologe, der das kirchliche Lehramt noch ernst nimmt, auch die Erklärung der Glaubenskongregation vom 15. Februar 1975 als Richtschnur nehmen darf, nach der entscheidende Thesen der Bücher «Die Kirche» und «Unfehlbar?» der Lehre der Kirche widersprechen. (Fs)

21a Unter der Voraussetzung des hohen Anspruchs des Buches, das eine neue «Summe» des christlichen Glaubens bieten will, darf die Kritik auch einmal so zu Werke gehen, daß sie danach fragt, was in dieser «Summe» alles an grundlegenden christlichen Wahrheiten nicht enthalten oder in einem verkümmerten Zustand wiedergegeben ist. Da macht sich ein erster wesentlicher Ausfall in der Begründung des christlichen Glaubens bemerkbar. Der Verfasser, der hier sehr kritisch verfahren möchte und mit den Einwänden I. Kants gegen die Gottesbeweise beginnt (wobei er irrtümlich die «praktische Vernunft», die bei Kant den «rein sittlichen Willen» bedeutet, mit dem Handeln des Menschen in Verbindung bringt und so völlig verkennt, daß auch die «praktische Vernunft» eben autonome menschliche Vernunft ist und ein wahres Wissen meint), will den Menschen in der Glaubensfrage «vor eine rational verantwortbare Entscheidung stellen» (S. 60). Aber in eindeutigem Gegensatz dazu heißt es einige Seiten danach, daß weder der Atheismus rational zu widerlegen, noch der Gottesglaube rational zu beweisen sei (S. 65). Deshalb ist der letzte Grund für den Gottesglauben «ein in der Wirklichkeit selbst begründetes Vertrauen» (S. 65). Entsprechend heiß es weiter: «Atheismus und Gottesglaube sind ein Wagnis - und ein Risiko» (S. 66). D. h. daß der Verfasser den Menschen gerade nicht vor eine «rational verantwortbare Entscheidung» stellt, sondern mit der Berufung auf das Grundvertrauen in die Wirklichkeit, das natürlich auch der Nichtchrist haben kann, den vernünftigen Zugang zum Glauben (denn die Forderung nach einem formellen Beweis erhebt niemand) blockiert. Was soll dann die nachfolgend noch einmal aufgestellte Behauptung von einer «kritischen Prüfung» des Gottesglaubens? (S. 73). Der Theologe, der den Glauben genau so als unausweisbar ansieht wie den Unglauben, macht die Entscheidung des Menschen im Grunde zu einem Lotteriespiel zwischen völlig gleichen Möglichkeiten, nur mit dem (denkerisch nicht wesentlichen) Unterschied, daß es in dieser Lotterie nur zwei Lose gibt. Indem die Glaubensbegründung in ein subjektivistisches Urvertrauen zurückgenommen wird, entzieht der Theologe aber auch der Theologie als Wissenschaft den Boden; denn auf einem Glauben, der ein «Wagnis» bedeutet, kann keine Wissenschaft aufbauen. Hier zieht der Autor des Buches die volle Kritik des modernen wissenschaftstheoretischen Denkens auf sich, daß gerade der modernen Theologie «Immunisierungstendenzen» gegenüber den Forderungen einer vernunftgemäßen Hinführung zum Glauben vorwirft. Wer für das sog. «Urvertrauen» keine Vernunftkriterien anzugehen vermag und den Menschen darauf vertröstet, daß er im Vollzug dieses Vertrauens seine Richtigkeit schon erfassen werde, der bricht jedes Gespräch über die vernünftigen Voraussetzungen des Glaubens ab, der kann auch dieses «Urvertrauen» nicht von einer Selbsttäuschung unterscheiden. In diesem ganzen Fragenkomplex hat das Buch die heutige wissenschaftstheoretische Problematik nicht erfaßt. (Fs)

22a Solche brüchige Voraussetzungen lassen es von vornherein zweifelhaft erscheinen, ob der Verfasser in der Darstellung des christlichen Gottesbildes und der Glaubenswahrheit über Gott eine sichere Hand beweisen könne. Schon bei den ersten Stellungnahmen zum Gottverhältnis Jesu fällt auf, wie kritisch der Verfasser dem «Vater-Begriff» gegenübersteht (S. 300). Bezeichnend ist auch die Behauptung, daß Jesus den Gottesglauben des Alten Testamentes nicht verändert habe und daß «Jesu Originalität... in der Tat nicht übertrieben werden» dürfe (S. 299). Dem entspricht die unverhohlene Sympathie für den starren Monotheismus des Islam mit der Betonung «des einen Gottes und seines Gesandten» (S. 105). Man fragt sich unwillkürlich, ob der Verfasser die ungeheure Neuartigkeit der Gottesbotschaft Jesu nicht mehr erkennt, die in der trinitarischen Differenzierung des Gottesbildes durch Jesus besteht. Die Ausführungen über die Trinität machen es zur Gewißheit, daß in dem Buch der Glaube an einen trinitarischen Gott tatsächlich mit einer «Trinitätsspekulation» gleichgesetzt wird. Der Verfasser unterstellt dem Christentum den Glauben an eine «Dreiergottheit» (S. 464), er unterschiebt gegen alle Zeugnisse der Dogmengeschichte dem christlichen Volk einen Glauben an «drei Götter» (S. 465). Es handelt sich angeblich nur um die verschiedenen Weisen der Offenbarung der Dynamik Gottes in der Geschichte (S. 466), womit der Verfasser im Grunde den uralten dynamistischen Monarchianismus des 2. Jahrhunderts neu auflegt. (Fs)

23a Es ist schwerlich anders zu sagen, als daß der Verfasser weder die Existenz eines verbindlichen Glaubens an einen dreieinigen Gott anerkennt noch den Sinn dieses Geheimnisses zu verstehen vermag. Das zeigt auch die Aussage, daß dieser Glaube, falls er überhaupt festgehalten wird, nichts spezifisch Christliches sei. Hier geht das Verständnis dafür verloren, daß ein rein unitarischer, solitärer Gott ein in sich unerfülltes und notwendig auf die Welt angewiesenes Wesen wäre. Es ist hier nicht mehr gesehen, daß es gerade dieses Geheimnis ist, welches die Einzigartigkeit der Weltzuwendung und Weltliebe Gottes in Jesus Christus wahrt; denn wenn diese Liebe nicht aus der Fülle innergöttlicher Beziehungen von gleichwesentlichen Personen hervorkäme, wäre sie entweder aus einem göttlichen Bedürfnis nach einem menschlichen Du oder aus reiner Willkür entsprungen. Von daher ist es eine unaufgebbare Glaubensüberzeugung, daß das Trinitätsgeheimnis, das auch eine immanente Dreiheit in der Einheit meint, gerade das Specificum Christianum ist. Hier könnte der Verfasser von K. Barth lernen und dessen Aussage erwägen: «Die Trinitätslehre ist es, die die christliche Gotteslehre als christliche..., die den christlichen Offenbarungsbegriff vor allen möglichen anderen Gotteslehren und Offenbarungsbegriffen grundlegend auszeichnet». (Fs) (notabene)

23b Dabei ist zu erkennen, daß es nicht genügt, die Erscheinungen Gottes als dreifaltig zu bezeichnen; der christliche Glaube ist vielmehr gewiß, daß Gott in sich dreifaltig ist. Wer diese Wahrheit leugnet oder sie als hellenistische Spekulation abtut oder meint, daß sie zwar als geschichtsmäßiges Faktum ernst genommen werden müsse, aber sie dann doch für die Gegenwart nicht mehr ernst nimmt, der zerreißt den christlichen Glauben in seinem ganzen Zusammenhang. Man könnte schon an dieser Stelle (abgesehen von den exorbitanten Fehlern in der Darstellung der Geschichte der Trinitätslehre) das Urteil rechtfertigen, daß das Buch den christlich-katholischen Glauben entstellt und verzerrt. Es ist wohl nicht zuviel behauptet, wenn man sagt, daß sich in diesem Buch die Betrachtung des christlichen Trinitätsglaubens der kritischen Sichtweise des starren jüdischen und mohammedanischen Monotheismus nähert. (Fs)

23c Das muß verständlicherweise seine negativen Folgen auf alle anderen christlichen Heilswahrheiten zeigen. Daß in dieser «Summe» des christlichen Glaubens die Schöpfungslehre fehlt, wird man möglicherweise nur als einen äußeren Mangel ansehen, der durch die gelegentlichen Hinweise auf den «Schöpfergott» (S. 72,288,346,350) aufgewogen wird. Dem theologisch tiefer blickenden Leser aber wird aufgehen, daß auch dieser Mangel aus dem Verlust des Trinitätsglaubens kommt; denn ein starrer unitaristischer Gott ist eigentlich ohne eine Weltbeziehung nicht zu denken. Auf dem Hintergrund eines unitaristisehen Denkens ist die Schöpfung kein Geheimnis, weshalb sie auch nicht erwähnt zu werden braucht. Aber der hier vorhandene Unterlassungsfehler führt notwendigerweise zu einer falschen Zielbestimmung der Schöpfung. Nach diesem Buch ist «das Ziel des Welthandelns Gottes immer nur das Wohl des Menschen» (S. 241, 242, 250). «Gott will nichts für sich, nichts zu seinem Vorteil, nichts für seine größere Ehre. Gott will nichts anderes als den Vorteil des Menschen» (S. 241), wobei dieser «Vorteil» keineswegs gegen ein rein immanentistisches und hedonistisches Glücksstreben abgegrenzt ist. Mit diesen immer wieder in neuen Variationen auftauchenden Aussagen ist die christliche Wahrheit genau «halbiert»; sie besteht nämlich in ihrer Ganzheit in der Erkenntnis, daß Gott den Menschen zu seiner eigenen (der göttlichen) Verherrlichung geschaffen hat und daß deshalb das letzte Ziel der Schöpfung in der Verherrlichung Gottes gelegen ist. (Fs) (notabene)

24a Aber das ist nach dem Grundansatz dieses Buches unmöglich, weil dieser Gott genau so eine Geschichte hat, also der Entwicklung und der Notwendigkeit unterworfen ist wie der Mensch. Der «Mensch ist in Gott und Gott im Menschen». Darum ist «die Geschichte des Menschen in der Geschichte Gottes aufgehoben und die Geschichte Gottes kommt in der Geschichte des Menschen zur Auswirkung» (S. 367). Das ist vulgärer Hegelianismus, in dessen Konzept sich selbstverständlich auch keine kultische Verehrung Gottes halten (vgl. die Kritik gegen den Kult: S. 414,472) kann. Wenn der Verfasser in diesem Zusammenhang auf das Fehlen einer Erwähnung des Gebetes in dem Buch hinweist und dafür sinnigerweise die römische Inquisition verantwortlich macht, die ihm die dafür notwendige Arbeitszeit raubte (S. 672), so kann man ihn an dieser Stelle von solchen Selbstvorwürfe begründeterweise befreien; denn in dem Rahmen dieser Gotteslehre wird das Gebet tatsächlich nicht vermißt; es kann hier begründet fehlen, weil man tatsächlich zu einem Gott, der sich selbst durch die Geschichte und durch die Solidarisierung mit dem Menschen hindurchringen muß, kaum beten kann. (Fs)

24b Verständlicherweise ist dieses prozessuale Gottes- und Schöpfungsdenken zur Erklärung des Weltprozesses auch nicht auf die Hervorhebung der Sünde angewiesen. Von Sünde und Gnade ist zwar gelegentlich die Rede, aber ohne wesentlichen Austrag für das Verständnis der Tiefen und Höhen der christlich verstandenen Heilsgeschichte (welcher Begriff in dem Buche kaum eine Rolle spielt). Was in diesem Zusammenhang über Urstand und «Erbsünde» der Menschheit gesagt wird (S. 412, 444) ist so anspruchslos und an der Oberfläche haftend, daß man bei nicht-christlichen Philosophen (etwa K. Jaspers) darüber bereits ein viel gründlicheres Verständnis vermittelt erhält. «Letztlich kommt es zu unserem Glück» auch auf die «häßlichen Leistungen des Menschen» (das ist der Ausdruck für «Sünde»: S. 579) ebenso wenig an wie auf die «positiven, schönen und guten Leistungen» (S. 579), sondern nur darauf, «daß der Mensch im Guten wie im Bösen auf gar keinen Fall je sein unbedingtes Vertrauen aufgibt» (S. 579). Daß die Sünde, theologisch gewertet, als Abkehr von Gott gerade auch die Aufkündigung des Vertrauens bedeutet und der Gottvertrauende (d. h. auch der Gottliebende) gar kein Sünder mehr ist, kann von einem solchen verwaschenen Denken nicht mehr begriffen werden, wie man überhaupt sagen kann, daß in dem Buche viel mehr geredet als gedacht wird. (Fs)

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