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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: H. Küng, "Christ sein" - Kritik: Ratzinger, Rahner; Zwiespältigkeit im Urteil; Pluralismus, Relativismus


Kurzinhalt: Der Versuch, «mit Verbeugungen nach links und rechts allem Modernen wohlgesonnen zu bleiben, auch wenn es sich nicht vereinigen läßt», wird treffend als «Trapezakt» bezeichnet, der im Endergebnis deshalb nicht gelingt, weil die Wahrheitsfrage ...

Textausschnitt: 9a Eine ähnliche «Halbherzigkeit», vor allem in der Diskussion mit den modernen Humanisten, stellt auch J. Ratzinger in seiner Kritik fest1. Der Versuch, «mit Verbeugungen nach links und rechts allem Modernen wohlgesonnen zu bleiben, auch wenn es sich nicht vereinigen läßt», wird treffend als «Trapezakt» bezeichnet, der im Endergebnis deshalb nicht gelingt, weil die Wahrheitsfrage unerörtert bleibt. Noch gravierender ist der Einwand, den Ratzinger gegen die exegetische Ausgangsposition des Buches erhebt, die im Grunde einen «Rückweg ins 19. Jahrhundert»2 bedeutet. Ebenso gewichtig erscheinen die Beweise für die in diesem Buche zutage tretende «souveräne Verachtung genauerer dogmengeschichtlicher Untersuchungen», die jede Verteidigung des wissenschaftlichen Anspruchs dieses Buches zunichte machen. Dasselbe aber gilt auch für den in dem Buch aufgestellten Glaubensanspruch. Auch die Antwort auf die gestellte Frage nach dem spezifisch Christlichen in der Ethik «zerrinnt schließlich ins Vage, ins 'Situationsgerechte'.» So ist das Schlußurteil der von Ratzinger mit großer Akribie geführten Auseinandersetzung zutreffend, daß «das Buch im Zentrum sicher das nicht sagt, was die Kirche glaubt»3. (Fs)

9b Am diffizilsten und problemreichsten ist wohl die Kritik K. Rahners ausgefallen4. Rahner geht nur zögernd an die Auseinandersetzung heran, weil er zunächst fürchtet, daß seine Stellungnahme weitere Argumente «gegen Küng für administrative und disziplinäre Maßnahmen Roms»5 liefern könnte (was andere, die kirchenpolitischen Realitäten kennende Theologen für unwahrscheinlich halten). Zudem ist er von einem Umstand sehr beeindruckt, der ihm persönlich eine definitive Stellungnahme als schwierig erscheinen läßt; das ist der Umfang, die Komplexität und Vielschichtigkeit dieses Buches. Dieser Umstand bestimmt ihn zu dem Eingeständnis: «Ich habe Küngs Buch von 667 Seiten aufmerksam gelesen. Aber ich habe es bisher nur einmal gelesen. Man müßte es nochmals lesen...»6. Deshalb will Rahner auch keine abschliessende Stellungnahme bieten, sondern nur «Rückfragen an Küng... und Aufforderungen an seine Leser» stellen, das Buch «genau und kritisch zu lesen»7. (Fs)

9c Trotz dieser Zurückhaltung, die bei einem so kenntnisreichen und überlegenen Theologen nicht ganz plausibel wirkt (sie müßte, grundsätzlich angewandt, das theologische Gespräch bald ins Stocken bringen; sie würde den Befürwortern des Buches, die sich selbst jedenfalls keine solche Zurückhaltung auferlegen, ein unangemessenes Übergewicht verschaffen und sie müßte in dem Falle, in dem es sich um glaubensirrige Lehren handelte, die informationsbedürftigen Gläubigen in gefährlicher Unkenntnis lassen), kommt Rahner doch zu einigen sehr harten Fragen an den Autor, bei denen sich stellenweise schon der Übergang von der rhetorischen Frageform in die Form assertorischer Aussage abzeichnet. Das geschieht etwa in der Bemerkung: «Ich kann die Frage nicht unterdrücken, ob Küngs Buch in jeder Hinsicht 'orthodox' ist». Und weiter: «Die Frage ist die, wie weit Küng mit seiner Christologie faktisch kommt, ob er auf die Weise, wie er faktisch eine solche Aufstiegschristologie betreibt, das verpflichtende Dogma der Christologie wirklich einholt»8. Rahner will damit zu bedenken geben, daß das dauernde Reden von der Maßgeblichkeit Jesu für den Menschen, von seiner Einmaligkeit, Unersetzbarkeit und Einzigartigkeit nicht genügt, um die Glaubensaussage der Kirche von Christus als «derselbe Gott und Mensch zumal» (so das Konzil von Ephesus: DS 253) zu treffen und das abgründige Geheimnis des Gottmenschen zur Sprache zu bringen. Das sind schon nicht mehr zweiflerische Fragten, sondern nüchterne Feststellungen, die sich schließlich in der Überzeugung ausdrücken: Der Autor «scheint mir mehr von den schon zur Zeit des Modernismus gegebenen Voraussetzungen und Problemen auszugehen, als es an sich vielleicht bei der heutigen Situation der Theologie... und Philosophie zu erwarten wäre. Der Versuch scheint mir auf halbem Wege steckengeblieben zu sein»9. Der Hinweis auf den Modernismus besagt nichts Geringes bei Rahner, der diese Etikettierung einmal als lieblos bezeichnet hat und ihren Gebrauch bedauerte10. (Fs)

10a Diese knappen, keine Vollständigkeit beanspruchenden Hinweise auf den Stand der Diskussion lassen ein Phänomen deutlich werden, das eigentlich in seiner schlichten Vorgegebenheit von niemandem bestritten werden kann und das trotzdem von großer Tragweite ist: die Theologen und die an den Glaubensfragen interessierten Gläubigen sind heute nicht nur im Urteil über die Glaubenswahrheiten zwiespältiger Auffassung, sie gehen vielmehr (sozusagen noch ein zweites Mal) auseinander, nämlich in der Beurteilung dieser tiefgreifenden Zwiespältigkeit der Glaubensstandpunkte; die einen sehen sie als natürlichen und legitimen Ausdruck der Vielgestaltigkeit des Glaubens in der Kirche an, die anderen als gefährliche Auflösungserscheinungen. (Fs)

10b So bieten die gegensätzlichen Stellungnahmen zu dem Buch «Christ sein» ein Spiegelbild des heutigen Pluralismus in der Kirche, der nicht mehr nur die Theologie, sondern auch den Glauben betrifft. Ein solcher Pluralismus kann nicht einfach als Schicksal hingenommen werden, wenn er die Kräfte in der Kirche nicht neutralisieren soll. Gegenüber allen Verharmlosungsversuchen eines solchen Pluralismus, der kein Einheitsprinzip mehr angeben kann, spricht ein Soziologe wie P. L.Berger die ernste Warnung aus: «Ich halte den Pluralismus, nicht irgendeinen dunklen Sündenfall des Geistes, für die eigentliche Ursache der schwindenden Plausibilität der Religionen»11. Aber es ist ungemein schwer, gegen ihn anzugehen; denn wenn die Sprachenverwirrung einmal eingetreten ist, kann man sich «in einer Zunge» den vielen anderen Sprachen nicht mehr verständlich machen. Trotzdem muß der Versuch mit den Mitteln des Denkens immer wieder unternommen werden. Es erscheint auch nicht ganz aussichtslos, wenn man bedenkt, daß der Pluralismus, der ja nur eine Spielart des Relativismus ist, zutiefst im Widerspruch gegen die Wahrheit und das Denken steht. Das zeigt sich gerade auch an der Art und dem Vorgehen des Buches «Christ sein». (Fs)

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