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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Krise, Kirche, Glaube; "Krise des Glauben"; H. Jedin; K. Rahner, Urs von Balthasar

Kurzinhalt: H. Jedin: «So paradox es klingen mag, nichts hat die Kirchentrennung so gefördert wie die Illusion, die sich über ihr Vorhandensein täuschte» ... während es heute um die Wahrheit des Christentums als solchem geht und dies mitten im Raum der Kirche.

Textausschnitt: 1. Die Krise des kirchlichen Glaubens1

5a Das Wort von der «Krise des Glaubens» wird heute so häufig gebraucht, daß es beinahe abgeschliffen wirkt. Trotzdem wird es durch die häufige Verwendung nicht falsch. Manche Wahrheit muß öfter wiederholt werden, zumal wenn deutlich wird, daß sie in ihrer Tiefe nicht erkannt ist oder nicht erkannt werden will. Es gehört nämlich auch dies zur Eigenart der heutigen Krisensituation, daß sie von vielen geflissentlich geleugnet wird wie etwa von dem amerikanischen Theologen Gregory Baum, der davon überzeugt ist, daß es um die Kirche noch nie so gut bestellt war wie in der Gegenwart2. (Fs)

Es ist für manche tatsächlich ein schwer vollziehbarer Gedanke, daß die Kirche wie jeder andere Organismus erkranken und in sich selbst ernstlich bedroht werden kann. Der mangelnde Blick dafür ist sogar ein Beweis für die besondere Tiefenwirkung dieser Krise, die in ihrer Bedrohlichkeit nur mit den ganz großen Notsituationen der Kirche zu vergleichen ist, etwa mit dem Versagen in der Reformation. Bezüglich dieses geschichtlichen Beispiels urteilt der Kirchenhistoriker H.Jedin: «So paradox es klingen mag, nichts hat die Kirchentrennung so gefördert wie die Illusion, die sich über ihr Vorhandensein täuschte»3. Dabei darf man verschärfend hinzufügen, daß es in der Reformation «nur» um die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen «Christentümern» und verschiedenen christlichen Kirchen ging, während es heute um die Wahrheit des Christentums als solchem geht und dies mitten im Raum der Kirche. (Fs) (notabene)

5b Wer die Entwicklung des christlich-katholischen Glaubensbewußtseins nach dem Zweiten Vatikanum ohne den Zweckoptimismus der berufsmäßigen Neuinterpreten verfolgt, kann die Frage kaum unterdrücken, ob die «mit den grandiosesten Ansprüchen auftretenden Neuinszenierungen» noch verdecken können, «wie nahe das ganze Unternehmen bereits dem Bankrott ist»4. Man kann heute jedenfalls die Behauptung Fr. Nietzsches nicht mehr gänzlich in den Wind schlagen, daß die Selbstauflösung des Christentums kommen werde5 und daß gerade diejenigen, die unablässig seinen Fortschritt beschwören, «seine besten Zerstörer»6 werden müßten. Man muß diese Behauptung wenigstens als Frage zulassen. (Fs)

5c Man vermag diese Frage neuerdings sogar bei K. Rahner aus der verhaltenen Formulierung zu entnehmen, daß es heute Leute gebe, die die Kirche «gewissermaßen zu unterwandern suchen, das heißt ihre Mentalität zum legitimen und amtlich anerkannten Bekenntnis... zu machen versuchen»7. Dabei ist die «eigentlich säkular gewordene Mentalität» gemeint, die die Kirche zu «einer Art moralischer Aufrüstung ... wandeln würde» und ihr «die Möglichkeit nähme, wahrhaft christlich zu sein». Rahner rechnet hier auch damit, daß «in der Überwindung dieser Tendenz die christlich bleibende katholische Kirche sehr klein werden würde»8. (Fs)

6a Eine ähnliche Besorgnis läßt H. Urs von Balthasar anklingen, wenn er von der «ikonoklastischen Zeit»9 in der heutigen Kirche spricht und von ihrem Zustand erklärt: «Die gleichen Abbruchmaschinen hämmern von außen und innen gegen ihre Mauern»10. Diese Beobachtung stimmt sehr genau mit dem Selbstbekenntnis eines Theologen anläßlich des Holländischen Pastoralkonzils überein, der sich über seine Arbeit in der Kirche äußerte. Von einem Journalisten gefragt, warum er seine gegen das Wesen und die Existenz der katholischen Kirche gerichtete kritische Tätigkeit nicht lieber außerhalb der Kirche betreibe, gab er die entwaffnende Antwort: «Ich keile lieber von innen heraus»11. Damit wollte er zu verstehen geben, daß ihm die Abbruchtätigkeit aus dem Inneren heraus erfolgreicher erscheine, was ja auch wohl zutrifft, wenn man sich einmal ein solches Ziel gesetzt hat. (Fs)

Die Frage, ob es sich bei der heute so genannten Reform nicht vielleicht doch um eine Deformierung der Kirche und ihres Glaubens handle, ob der erwünschte «Umbruch» nicht etwa ein Abbruch sei und ob die «Vorreiter» des Fortschritts in der Kirche nicht in Wirklichkeit nur eine abgesprengte Nachhut des in die Kirche bereits eingebrochenen Zeitgeistes seien, darf heute sachgemäß gestellt werden. (Fs)

6b Es ist eine Frage, auf deren Erörterung die Kirche in Krisenzeiten auch vom Neuen Testament verpflichtet wird; denn es ist ja wohl nicht anzunehmen, daß etwa das Gleichnis vom «guten Hirten und vom Mietling» (Joh 10,1-21) nicht auch für uns und unsere Situation gesprochen sei, oder daß die Mahnung an Timotheus, sich «nicht den Fabeleien hinzuwenden» (2 Tim 4,4), für uns keine Geltung mehr habe oder die Beschwörung der Apokalypse an die Gemeinden zur Abwehr der Irrlehre, zur Treue und Reinheit heute keine Bedeutung mehr hätten. Es ist im Gegenteil zu erkennen, daß sie für die Gegenwart in besonderer Weise bedeutsam werden. (Fs)

Die erwähnte Frage stellt sich in besonderer Weise angesichts des oben genannten Buches von H. Küng. Das umfang- und kenntnisreiche Werk, publizistisch mit ungewöhnlichem Einsatz propagiert und verbreitet, hat schon eine ganze Reihe von Stellungnahmen hervorge-. rufen. Die erste von ihnen erschien (von einem im Nachwort eigens mit Dank bedachten Berater des Autors) bereits zu einem Zeitpunkt, da das Buch noch nicht ausgeliefert und also der Kritik der Leser noch gar nicht zugänglich war12. (Fs)

6c Angesichts der Vielzahl der inzwischen erfolgten Beurteilungen des Buches könnte eine neuerliche Einlassung auf seinen Gegenstand fragwürdig und unnötig erscheinen. Trotzdem erweist sich das nochmalige Aufgreifen des Themas aus zwei Gründen als berechtigt: einmal zeigen die Stellungnahmen so starke Unterschiede (vom höchsten, Lob bis zur schärfsten Ablehnung reichend), daß ein nochmaliger genauerer Blick auf den Gegenstand klärend wirken könnte (zumal wenn er die bisher ergangenen Begutachtungen mitberücksichtigt); zum anderen ist eine solche weitere Erörterung dann nicht unangebracht, wenn man sie mit einem weiträumigen Hintergrund versieht und sie unter den Aspekt der Gesamtsituation des katholischen Glaubensbewußtseins stellt. Unter diesem Aspekt wird z. B. bald erkennbar, daß das Buch keineswegs einen völlig neuartigen Wurf darstellt, sondern nur aus den vielen Rinnsalen der nachkonziliaren Kritik am Glauben zusammengeflossen ist, die sich allerdings hier zu einem breiten und ausufernden Strom vereinen. Aus der nachkonziliaren Situation der Theologie entstanden und ihre Unklarheiten widerspiegelnd, erklärt sich z. T. auch schon die zwiespältige Aufnahme des Buches, die als «Hintergrund» für die Beurteilung nicht unwichtig ist. (Fs)

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