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Autor: Sala, Giovanni B.

Buch: Kontroverse Theologie

Titel: Kontroverse Theologie

Stichwort: (eg: Seelsorgeraum, Pastoralassistent); gefährdete Identität des Priesters; empirische Identität der Gemeinde - Heil, Gnade, Sakrament; deistische Grundtendenz der Moderne

Kurzinhalt: Hinter dieser Weigerung, einen fremden Priester kommen zu lassen, steht die Vorstellung, der entscheidende Wert sei die empirische Identität der Gemeinde ...

Textausschnitt: 7. Gefährdete Identität des Priesters

164b Bei zahlreichen Priesteramtskandidaten gibt es heute so etwas wie einen Erfahrungsverlust von Kirchlichkeit. Wer von ihnen hat denn noch ein lebendiges und intaktes Pfarrleben kennengelernt und ist in den liturgischen Ausdrucksformen der Kirche beheimatet? Es ist kaum überschätzbar, wie viele Priesterberufe früher durch die Vermittlung der Liturgie geweckt und aus dem Ministrantendienst am Altar bzw. aus der Begegnung mit dem die Hl. Messe feiernden Priester hervorgegangen sind. Die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering, daß die Präsenz des Pfarrbeauftragten und die von ihm konzipierten Gottesdienste junge Menschen motivieren werden, das Priestertum anzustreben. Die Kirche manövriert sich mit den Pfarrbeauftragten in einen unheilvollen Zirkel: Der aus der Not des Priestermangels geborene Plan, Laien Gemeinden leiten zu lassen, reproduziert nur wieder sich selbst und macht eine zukünftige Änderung, die vielleicht von den kirchlichen Autoritäten momentan noch gewünscht wird, realistisch immer unmöglicher. Die Ersetzung des Priesters ist faktisch kein Intermezzo: Sie funktioniert unweigerlich als ein sich selbst erhaltendes System, das seine eigene Unüberholbarkeit immer stärker unter Beweis stellt. (Fs)

165a In diesem Zusammenhang ist auch folgendes zu bedenken: In den letzten Jahren ist es in vielen priesterlosen Gemeinden üblich geworden, auf sonntägliche Aushilfen für die Feier der Hl. Messe ganz zu verzichten und zumeist unter der Leitung eines Laientheologen in der eigenen Gemeinde Wortgottesdienste (mit oder ohne Kommunionfeier) abzuhalten. Hinter dieser Weigerung, einen fremden Priester kommen zu lassen, steht die Vorstellung, der entscheidende Wert sei die empirische Identität der Gemeinde, die durch die wechselnden Priester und die Außenorientierung im Fall des auswärtigen Meßbesuches gefährdet werde. Diese Idee ist theologisch unter mehreren Rücksichten sehr angreifbar. (Fs)

165b Die Ideologie der um sich selbst zentrierten Gemeinde, die als solche ohne Quelle und Mittelpunkt im eucharistischen Opfer weiter bestehen kann, ist m.W. besonders in der Diözese Linz in den letzten Jahren, auch durch mehr oder weniger amtliche Anordnungen des Ordinariats, vorangetrieben worden. Damit wird aus der durch die Feier des Herrn entstehenden Ortskirche eine sich selbst feiernde Gemeinde. Da nun diese Ideologie von denselben Kirchenfunktionären vertreten wird, die auf das "Recht der Gemeinde auf Eucharistie" pochen - ohne freilich sich ernsthaft zu fragen, wieso die angeblich sich nach der Eucharistie sehnende Gemeinde so steril im Hinblick auf Priesternachwuchs geworden ist -, so bietet die genannte Gemeinde-Ideologie einen doppelten "Vorteil". Erstens, jedes Ausscheiden eines Priesters aus Altersgründen bedeutet das Freiwerden eines Posten für einen Laientheologen. Zweitens, die Forderung nach Änderung der Zulassungsbedingungen zum Priesteramt (sprich: die Aufhebung des Priesterzölibats und das weiter im Visier gehaltene Priestertum der Frau) gewinnt immer mehr an Virulenz. (Fs)

165c Geradezu vernichtend wird aber diese Auffassung von der Gemeinde im Blick auf Priesterberufungen. Denn in dieser Vorstellung wird das Sakrament in der Güterabwägung hinter den - zweifelsfreien - Wert der lokalen Gemeinschaft zurückgestuft: Wichtiger als die Teilnahme an der Eucharistie ist das Beieinanderbleiben der Territorialpfarrei als solcher. (Fs)

165d Was aber würde ein junger Mensch aus dem umgekehrten Vorgang lernen, wenn die Eltern, vielleicht gemeinsam mit anderen Gemeindemitgliedern, sich allsonntäglich auf den Weg machten, um in einer anderen Pfarrei an der Hl. Messe teilzunehmen? Durch einen solchen Vorgang würde auf ganz konkrete Weise unübersehbar, daß die Eucharistie von unvergleichlicher Bedeutung ist. Jedem, nicht nur dem Kind, stünde damit deutlich vor Augen: Die Meßfeier ist von einer derartigen Gewichtigkeit, daß jeder angebotene Wortgottesdienst in der eigenen Gemeinde und die hier eher mögliche Erfahrung menschlicher Vertrautheit hinter sie zurücktreten muß. So würde die Eucharistie sogar in der schweren Situation des Priestermangels noch einmal in ihrer zentralen Heilsbedeutung hervorgehoben. Die Gläubigen nähmen Entbehrungen mancherlei Art auf sich, um dieses Gutes teilhaft zu werden; der Mangel könnte so zum Zeugnis werden; die Not würde zur inständigen Bitte der Gläubigen an den Herrn, damit er "Arbeiter für seine Ernte aussende" (Mt 9, 38). (Fs)

166a Wenn in der Kirche innerhalb der gegenwärtigen Situation überhaupt noch Priesterberufungen geweckt werden sollen, dann nur durch eine solche Praxis, die allen unmißverständlich die unverzichtbare Bedeutung des Sakramentes veranschaulicht und damit zugleich das priesterliche Amt profiliert hervortreten läßt. Die theologische Bedingung der Möglichkeit einer solchen Praxis ist allerdings der Glaube daran, daß das Heil in der empirisch nicht unmittelbar erfahrbaren Gnade liegt. Daß heute dem menschlichen Erfahrungszusammenhang so große Bedeutung beigemessen wird, hängt mit folgendem Punkt entscheidend zusammen: Die deistische Grundtendenz der Moderne wirkt in einer zumeist präreflexiven Weise auch in den Raum des christlichen Lebensgefühls hinein und läßt viele Christen im Grunde gar nicht mehr davon ausgehen, daß Gott im Sakrament tatsächlich wirksam und gegenwärtig ist. Was dann noch an Befreiendem bleibt, ist allein das Menschliche, das den fehlenden Glauben an den wirkenden Gott kompensieren muß: Die gegenseitige Zuwendung in der Gemeinschaft, die Reflexion der Gemeinde auf sich und ihre Überzeugungen, die diversen Aktionen sozial-politischer Art, die sie unternehmen und die das Gefühl des Zusammenhaltens steigern usw1. (Fs) (notabene)

166b Das entwickelte Pastoralmodell des Pfarrbeauftragten entspricht nun in seinen vorgenommenen Wertsetzungen genau diesem geistigen Grundgefälle der Moderne. Um der natürlich erfahrbaren Gemeinschaftlichkeit willen (die, das soll nochmals betont werden, auch geistlich ein unbestritten wichtiges Gut ist) nimmt man die Relativierung des Sakramentes in Kauf. Die Ortsgemeinde erhält mit ihrem menschlichen Erfahrungsvorteil den Vorrang vor der Gemeinschaft, die "nur" durch die Feier der Eucharistie als Gnaden-Communio konstituiert wird und in der man sich vielleicht (noch) nicht kennt und noch nichts gemeinsam unternommen hat. Wenngleich das Sakrament in offiziellen Verlautbarungen sich noch immer höchster Wertschätzung erfreut, sprechen die Taten doch eine andere Sprache und offenbaren in bedrückender Weise, daß die eigenen Worte so ernst nicht gemeint sein können. (Fs)

166c Wie muß all dies auf einen Seminaristen wirken? Die strukturelle Ersetzbarkeit des Priesters muß jene, die sich auf dieses Amt vorbereiten, erheblich verunsichern und demotivieren. Wird nicht die Identität des Amtes von einigen Bischöfen, die das Pfarrbeauftragtenkonzept vorantreiben, selber in einer Weise verdunkelt, daß ein Alumne sich doch ganz zu Recht die Frage stellen muß, warum er sich denn ein Leben lang in den immer unbedeutender werdenden Dienst einer nebenamtlichen Rolle stellen und trotzdem die für die Weihe notwendigen Einschränkungen in seiner Lebensführung akzeptieren soll? Diese Frage entspringt gewiß nicht nur mangelnder Demut, sondern ist sachlich begründet: Das ehelose Priestertum wird doch nur versteh- und lebbar in einer Konzeption, die den Priester als Repräsentation des um des Reiches Gottes willen ehelosen Herrn selber sieht und dabei die Repräsentation Christi als des Hauptes seiner Kirche nicht nur auf den rein kultischen Raum einschränkt, was ja ganz sachwidrig wäre, sondern auf das ganze Gemeindeleben bezieht. Nur dann kann sich der Priester von seiner "Lebensehe" mit der ihm anvertrauten Gemeinde her begreifen. Nur wenn das "Berufsbild" des Priesters klar definiert und auch in der Praxis abgegrenzt bleibt, wird es überhaupt neue Anziehungskraft für die Zukunft gewinnen können. (Fs)

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