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Autor: Johannes Paul II - Wojtyla, Karol Józef

Buch: Enzyklika Veritatis splendor

Titel: Johannes Paul II., Evangelium vitae

Stichwort: Abtreibung; christliche Tradition: Konfrontation mit der griechisch-römischen Welt (Didachè, Athenagoras, Kindestötung); Exkommunikation latae sententiae (Mittäter)

Kurzinhalt: Die christliche Überlieferung stimmt ... von den Anfängen bis in unsere Tage klar darin überein, daß sie die Abtreibung als besonders schwerwiegende sittliche Verwilderung einstuft. Die erste christliche Gemeinde hat sich seit der ersten Konfrontation ...

Textausschnitt: 61. Auch wenn die Texte der Heiligen Schrift nie von einer vorsätzlichen Abtreibung sprechen und deshalb keine direkten und spezifischen Verurteilungen diesbezüglich enthalten, so weisen sie doch auf eine Betrachtung des menschlichen Lebewesens im Mutterleib hin, deren logische Konsequenz die Forderung ist, daß Gottes Gebot: »du sollst nicht töten« auch auf dieses noch ungeborene Leben anzuwenden sei. (Fs)

Das menschliche Leben ist in jedem Augenblick seiner Existenz, auch in jenem Anfangsstadium, das der Geburt vorausgeht, heilig und unantastbar. Der Mensch gehört vom Mutterschoß an Gott, der alles erforscht hat und kennt, der ihn mit seinen Händen formt und gestaltet, der ihn sieht, während er noch ein kleiner formloser Embryo ist, und der in ihm bereits den Erwachsenen von morgen sieht, dessen Tage gezählt sind und dessen Berufung schon in dem »Buch des Lebens« verzeichnet ist (vgl. Ps 139 1, 1. 13-16). Auch da, wenn er sich also noch im Mutterschoß befindet, ist - wie zahlreiche Bibeltexte bezeugen1 - der Mensch das persönlichste Ziel der liebenden und väterlichen Vorsehung Gottes. (Fs)

Die christliche Überlieferung stimmt - wie die von der Kongregation für die Glaubenslehre diesbezüglich herausgegebene Erklärung gut hervorhebt2 - von den Anfängen bis in unsere Tage klar darin überein, daß sie die Abtreibung als besonders schwerwiegende sittliche Verwilderung einstuft. Die erste christliche Gemeinde hat sich seit der ersten Konfrontation mit der griechisch-römischen Welt, in der die Abtreibung und die Kindestötung weitgehend praktiziert wurden, durch ihre Lehre und ihre Praxis den in jener Gesellschaft herrschenden Gepflogenheiten radikal widersetzt, wofür die bereits zitierte Didachè ein klarer Beweis ist.3 Unter den kirchlichen Schriftstellern aus dem griechischen Raum erwähnt Athenagoras, daß die Christen Frauen, die auf medizinische Eingriffe zur Abtreibung zurückgreifen, als Mörderinnen ansehen, weil die Kinder, auch wenn sie noch im Mutterschoß sind, »bereits das Objekt der Fürsorge der göttlichen Vorsehung sind«.4 Unter den lateinischen Schriftstellern behauptet Tertullian: »Die Verhinderung der Geburt ist vorzeitiger Mord; es kommt nicht darauf an, ob man die schon geborene Seele tötet oder sie beim Zurweltkommen auslöscht. Es ist bereits der Mensch, der er später sein wird«.5

Diese selbe Lehre ist während ihrer nunmehr zweitausendjährigen Geschichte von den Vätern der Kirche, von ihren Hirten und Lehrern ständig gelehrt worden. Auch die wissenschaftlichen und philosophischen Diskussionen darüber, zu welchem Zeitpunkt genau das Eingießen der Geistseele erfolge, haben nie auch nur den geringsten Zweifel an der sittlichen Verurteilung der Abtreibung aufkommen lassen. (Fs)

62. Das päpstliche Lehramt der jüngsten Zeit hat diese allgemeine Lehre mit großem Nachdruck bekräftigt. Insbesondere Pius XI. hat in der Enzyklika Casti connubii die als Vorwand dienenden Rechtfertigungen der Abtreibung zurückgewiesen;6 Pius XII. hat jede direkte Abtreibung ausgeschlossen, das heißt jede Handlung, die das noch ungeborene menschliche Leben direkt zu vernichten trachtet, »mag diese Vernichtung nun als Ziel oder nur als Mittel zum Zweck verstanden werden«;7 Johannes XXIII. hat neuerlich beteuert, daß das menschliche Leben heilig ist, denn »es erfordert von seinem Anbeginn an das Wirken Gottes, des Schöpfers«.8 Das II. Vatikanische Konzil hat, wie bereits erwähnt, die Abtreibung sehr streng verurteilt: »Das Leben ist von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen«.9

Die Rechtsordnung der Kirche hat von den ersten Jahrhunderten an über jene, die sich der Abtreibung schuldig machten, Strafsanktionen verhängt. Diese Praxis mit mehr oder weniger schweren Strafen wurde in den verschiedenen Abschnitten der Geschichte bestätigt. Der Codex des kanonischen Rechtes von 1917 drohte für die Abtreibung die Strafe der Exkommunikation an.10 Auch die erneuerte kanonische Gesetzgebung stellt sich auf diese Linie, wenn sie bekräftigt: »Wer eine Abtreibung vornimmt, zieht sich mit erfolgter Ausführung die Tatstrafe der Exkommunikation latae sententiae zu«,11 das heißt die Strafe tritt von selbst durch Begehen der Straftat ein. (Fs)

Die Exkommunikation trifft alle, die diese Straftat in Kenntnis der Strafe begehen, somit auch jene Mittäter, ohne deren Handeln sie nicht begangen worden wäre.12 Mit dieser erneut bestätigten Sanktion stellt die Kirche diese Straftat als eines der schwersten und gefährlichsten Verbrechen hin und spornt so den, der sie begeht, an, rasch auf den Weg der Umkehr zurückzufinden. Denn in der Kirche hat die Strafe der Exkommunikation den Zweck, die Schwere einer bestimmten Sünde voll bewußt zu machen und somit eine entsprechende Umkehr und Reue zu begünstigen. (Fs)

Angesichts einer solchen Einmütigkeit in der Tradition der Lehre und Disziplin der Kirche konnte Paul VI. erklären, daß sich diese Lehre »nicht geändert hat und unveränderlich ist«.13 Mit der Autorität, die Christus Petrus und seinen Nachfolgern übertragen hat, erkläre ich deshalb in Gemeinschaft mit den Bischöfen - die mehrfach die Abtreibung verurteilt und, obwohl sie über die Welt verstreut sind, bei der eingangs erwähnten Konsultation dieser Lehre einhellig zugestimmt haben - daß die direkte, das heißt als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung immer ein schweres sittliches Vergehen darstellt, nämlich die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt.14

Kein Umstand, kein Zweck, kein Gesetz wird jemals eine Handlung für die Welt statthaft machen können, die in sich unerlaubt ist, weil sie dem Gesetz Gottes widerspricht, das jedem Menschen ins Herz geschrieben, mit Hilfe der Vernunft selbst erkennbar und von der Kirche verkündet worden ist. (Fs)

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